Zwei AIP-Wissenschaftler erhalten ERC Advanced Grants

Der Europäische Forschungsrat (ERC) zeichnet gleich zwei Professoren des Leibniz-Instituts für Astrophysik Potsdam (AIP) mit einer der weltweit wichtigsten Würdigungen für etablierte Forschende, dem Advanced Grant, aus – ein außergewöhnlicher Erfolg. Eine Pressemitteilung des AIP.

Quelle: AIP.

Die geförderten Projekte von Prof. Lutz Wisotzki und Prof. Christoph Pfrommer haben beide zum Ziel, unser Verständnis der Galaxienentstehung zu verbessern. Lutz Wisotzki konzentriert sich dabei auf Beobachtungen mit erstklassigen Instrumenten, während Christoph Pfrommer Plasmasimulationen und kosmologische Galaxiensimulationen in neuartiger Weise miteinander verknüpfen wird.

Prof. Christoph Pfrommer.
(Bild: AIP)

„Die Tatsache, dass gleich zwei Spitzenforscher aus dem Fachgebiet der Astronomie in derselben Antragsrunde und dem gleichen Institut unabhängig voneinander erfolgreich die hochbegehrte Förderung eingeworben haben, ist eine herausragende Leistung“, gratuliert Matthias Steinmetz, wissenschaftlicher Vorstand und Sprecher des Vorstands des AIP. „Beide haben sich dem strengen Auswahlverfahren des ERC gestellt und durch ihren Erfolg die wissenschaftliche Exzellenz am AIP bewiesen.“ Die Projekte werden über einen Zeitraum von fünf Jahren mit jeweils etwa 2,5 Millionen Euro gefördert.

Christoph Pfrommer plant mit der erfolgreich eingeworbenen Förderung für das Projekt „Mind the Gap: from Plasma Kinetics to Cosmological Galaxy Formation“ eine Brücke zwischen den Prozessen auf kleinsten Plasmaskalen und den großskaligen Modellen zur Galaxienentstehung zu schlagen. Nach dem derzeitigen Stand der Forschung spielen bei der Entstehung und Entwicklung von Galaxien und Galaxienhaufen sogenannte „Feedback-Prozesse“ eine große Rolle. Beispielsweise explodieren in jungen Galaxien massereiche Sterne als Supernovae, übertragen Energie und Impuls an das umgebende interstellare Medium, beschleunigen Elementarteilchen zu sehr großen Energien, und bilden damit die sogenannte kosmische Strahlung. Die Teilchen der kosmischen Strahlung breiten sich entlang von Magnetfeldern in den Galaxien aus und helfen das interstellare Gas in galaktischen Superwinden aus den Galaxien zu treiben und die damit nachfolgende Sternentstehung zu unterdrücken.

Simulation einer sich bildenden Scheibengalaxie ähnlich unserer Milchstraße, in welcher kosmische Strahlung von Supernova-Überresten beschleunigt wird, um danach ins interstellare Medium zu entweichen und entlang von Magnetfeldlinien zu diffundieren. Zu sehen sind Querschnitte der Scheibe (oben) und vertikale Schnitte (unten) der Anzahldichte der Elektronen der kosmischen Strahlung im stationären Zustand (links), der Magnetfeldstärke (Mitte) und der Radio-Synchrotron-Helligkeit. Die galaktischen Superwinde werden von der entweichenden kosmischen Strahlung aus der Galaxie angetrieben und sind als magnetisierte, radioemittierende Blasen zu sehen, die sich über und unter der Scheibe erstrecken.
(Bild: Pfrommer/AIP)

In Galaxienhaufen formen supermassereiche Schwarze Löcher schnelle Ausflüsse in Form von Jets, welche ebenfalls die kosmische Strahlung beschleunigen. Diese strömt ein und heizt das umgebende Plasma des Galaxienhaufens, so dass eine Kühlimplosion, welche große Teile des Galaxienhaufenmediums in Sterne umwandeln würde, verhindert wird. „Eine einzigartige Kombination von Plasma- und kosmologischen Simulationen wird es meiner Arbeitsgruppe nun ermöglichen, den Transport von kosmischer Strahlung und Wärme in Zwerggalaxien, Galaxien wie der Milchstraße und sogar Galaxienhaufen genauestens zu untersuchen“, so Christoph Pfrommer. „Aus den Ergebnissen lassen sich Voraussagen ableiten, die durch Beobachtungen falsifiziert oder validiert werden können.“

Christoph Pfrommer forscht seit 2017 am AIP, leitet die Abteilung „Kosmologie und Hochenergie-Astrophysik“ und ist Professor an der Universität Potsdam. Sein Physikstudium absolvierte er an der Universität Jena, der Harvard University in den USA und promovierte im Anschluss am Max-Planck-Institut für Astrophysik und der Ludwig-Maximilians-Universität München. Nach einem Forschungsaufenthalt am Canadian Institute for Theoretical Astrophysics in Toronto kehrte er nach Deutschland zurück und forschte am Heidelberger Institut für Theoretische Studien. Nach seiner Habilitation an der Universität Heidelberg wurde er 2016 bereits mit einem ERC Consolidator Grant über 2 Millionen Euro ausgezeichnet. Er nutzte diesen in den vergangenen fünf Jahren und leistete Pionierarbeit, indem er den Zusammenhang von kosmischer Strahlung und Galaxienentstehung herstellte.

Prof. Lutz Wisotzki.
(Bild: privat)

Das Forschungsprojekt von Lutz Wisotzki beschäftigt sich ebenfalls mit Galaxien. Das Projekt „Spectro-Mapping of the Circumgalactic Medium Across Cosmic Times“ zielt darauf ab, einen grundlegend neuen Blick auf die Struktur und Dynamik von Gasströmungen in der Umgebung von Galaxien zu entwickeln, einem Bereich, der als zirkumgalaktisches Medium bekannt ist und eine Art Ökosystem der Galaxienentwicklung darstellt. In den letzten Jahren wurde deutlich, dass das Zusammenspiel von einströmender Materie aus dem intergalaktischen Raum und Ausflüssen, angetrieben durch supergalaktische Winde, maßgeblich die Entwicklung der Galaxien beeinflusst. Allerdings ist bisher immer noch sehr wenig über das zirkumgalaktische Medium bekannt, vor allem aufgrund der extrem geringen Gasdichte und der daraus folgenden schwierigen Beobachtbarkeit.

Das Forschungsteam begegnet diesen Schwierigkeiten durch den Einsatz modernster Beobachtungsverfahren, wie Lutz Wisotzki erläutert: „Insbesondere werden hierbei zwei einzigartige Beobachtungsinstrumente, MUSE und HETDEX, die beide unter Beteiligung des AIP entwickelt wurden, eingesetzt, für die wir innovative Methoden zur ‚spektralen Kartierung‘ des zirkumgalaktischen Mediums entworfen haben“. Diese sollen in den kommenden Jahren weiter verfeinert und auf reichhaltige neue Beobachtungsdaten von internationalen Großteleskopen angewendet werden.

Illustration der zwei wichtigsten und komplementären Methoden zur Untersuchung des zirkumgalaktischen Mediums, das hier als Kombination von ausfließendem (rot) und einströmendem Gas (blau) dargestellt ist. Links: Absorptionsspektroskopie ist äußerst empfindlich selbst für Gas sehr niedriger Dichte und kann mit hoher spektraler Auflösung betrieben werden. Die Methode erfordert jedoch die Anwesenheit einer hellen Hintergrundquelle und ist daher fast immer beschränkt auf eine einzige zufällige Sichtlinie pro Objekt. Rechts: Spektrale Kartierungen (oder abbildende Spektroskopie) liefert Emissionslinienspektren in jedem einzelnen Bildpunkt, simultan für alle Objekte im Gesichtsfeld, allerdings begrenzt durch die extrem niedrige Flächenhelligkeit der zirkumgalaktischen Emission.
(Bild: Hintergrundillustration Glenn Kacprzak; Spektren, Montage Wisotzki/AIP)

Lutz Wisotzki arbeitet seit 2002 am AIP und leitet seither die Abteilung „Galaxien und Quasare“. 2009 wurde er zum Professor an der Universität Potsdam berufen. Er absolvierte sein Physikstudium sowie die Promotion und Habilitation an der Universität Hamburg. Gastaufenthalte führten ihn an die Universität Lyon, zur Europäischen Südsternwarte (ESO), an das Royal Observatory in Edinburgh und zum Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge, USA. Lutz Wisotzki ist auch als Autor eines deutschsprachigen Standardlehrbuchs der Astrophysik bekannt.

Der Europäische Forschungsrat (ERC) ist eine von der EU-Kommission eingerichtete Institution zur Förderung grundlagenorientierter Forschung. Zwei Prinzipien zeichnen das Förderverfahren aus: Exzellenz als das alleinige Förderkriterium und ein unabhängiges und transparentes Auswahlverfahren. ERC Advanced Grants werden an etablierte Spitzenforscherinnen und -forscher vergeben, die wissenschaftlich unabhängig sind und in der jüngeren Vergangenheit hochrangige Forschungserfolge und ein Profil vorweisen können, das sie als führend in ihrem jeweiligen Fachgebiet ausweist. In den Jahren 2008 bis 2019 warben Forschende in der Astrophysik in Deutschland insgesamt 15 ERC Advanced Grants ein. Das nun zwei Wissenschaftler am AIP gleichzeitig Erfolg haben, ist bemerkenswert.

Über das AIP
Das Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam (AIP) widmet sich astrophysikalischen Fragen, die von der Untersuchung unserer Sonne bis zur Entwicklung des Kosmos reichen. Forschungsschwerpunkte sind dabei kosmische Magnetfelder und extragalaktische Astrophysik sowie die Entwicklung von Forschungstechnologien in den Bereichen Spektroskopie, robotische Teleskope und E-Science. Seinen Forschungsauftrag führt das AIP im Rahmen zahlreicher nationaler, europäischer und internationaler Kooperationen aus. Das Institut ist Nachfolger der 1700 gegründeten Berliner Sternwarte und des 1874 gegründeten Astrophysikalischen Observatoriums Potsdam, das sich als erstes Institut weltweit ausdrücklich der Astrophysik widmete. Seit 1992 ist das AIP Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft.

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