Immer, wenn es in Russlands Weltraumfahrt nicht so gut läuft, erinnert man sich gerne der Helden und der großen ruhmreichen Vergangenheit, findet Andreas Weise, der für Raumfahrer.net den auf DVD und Blu-ray Disc erschienen Film „Gagarin: Wettlauf ins All“ gesehen und begutachtet hat.
Anfang der siebziger Jahre musste die sowjetische Raumfahrt schwere Niederlagen hinnehmen: Der Flug zur ersten bemannte Raumstation 1971 endete bei der Landung der Sojus 11 im Desaster und mit dem Tod von drei Kosmonauten. Von den anderen Tragödien, beispielsweise dem dritten Fehlstart der Superrakete N1, erfuhr die Öffentlichkeit damals erst gar nichts. Zuvor war der Wettlauf zum Mond verloren gegangen. Und wie zum Trotz erschien 1972 der sowjetische Spielfilm „Die Bändigung des Feuers“. Ein Helden-Film über die ersten großen Erfolge der sowjetischen Raumfahrt.
Fast 40 Jahre später ist die russische Raumfahrt durch diverse Tiefschläge wieder auf einem Tiefpunkt angelangt und man braucht erneut Helden auf der Leinwand, um vom Sieg im Kosmos zu künden. Das kommt daher mit dem Film „Гагарин. Первый в космосе“ (Gagarin: Der Erste im Weltraum), welcher im Sommer 2013 in den russischen Kinos startete.
Beide genannten Filme sind großartig – jeder auf seine Weise. Aber damit hören die Gemeinsamkeiten schon auf. Während 1972 die Raumfahrtgeschichte als monumentales Heldenepos mit einem sehr schwammigen Bezug zur realen Geschichte gezeigt wird, versucht der neue Gagarin-Film das zu sein, was man so dem Russischen Kino nicht zugetraut hätte: Einfach und ehrlich.
Es ist erfreulich, dass es dieser Film nun auch nach Deutschland geschafft hat, und das in einer deutschen Synchronisation und rechtzeitig zu Gagarins 80. Geburtstag. Allerdings lässt der deutsche Filmtitel schon wieder argwöhnen. „Gagarin: Wettlauf ins All“. Warum diese Übersetzungsungenauigkeit? Die englische Variante ist da einfach, direkt und wahrheitsgemäß: „Gagarin: First in Space“. Punkt!
Der Film stellt die Ereignisse des 12. April 1961 bis zur Landung von Wostok 1 dar. Darin eingebettet sind unzählige Rückblenden auf das Leben Gagarins vor seinem Raumflug. Dies ist eine typische russische Filmmachart, eben ein Film speziell für das russische Publikum.
Hierzulande tut man sich schwer mit einem solchen Format, was den Schwerpunkt eher auf das gesprochene Wort, als auf die Kraft der Bilder legt. Dieser Raumfahrt-Historien-Film steht in einer Reihe mit den Filmen „Der Stoff, aus dem die Helden sind“ und „Apollo 13“. Allerdings reicht er in der Dynamik und der Kraft der Bilder nicht an letztere Filme heran. Das nun sollte aber kein Hinderungsgrund sein, ihn sich nicht genau anzusehen. Es lohnt sich!
Wir erleben einen jungen Mann, der sucht, der auch Zweifel hat, der nicht der Superheld ist, wie er in der Propaganda Jahrzehnte lang dargestellt wurde. Wir erfahren, dass seine Frau Walja immer für ihn betet. Ein Fakt, der zu Sowjetzeiten geradezu ungeheuerlich für einen sozialistischen Superhelden gewesen wäre. Wer den Film aufmerksam ansieht, findet eine Unmenge von Fakten und Details. Hat man vorab zum Beispiel Kowalskis Gagarin-Buch „Heute 6:07 UT“ gelesen, ist der Wiedererkennungswert garantiert.
Da wird unter den 20 auserwählten Kosmonauten-Kandidaten auch ein gewisser Bondarenko aufgerufen. Dieser Mann kam auf tragische Weise im März 1961, einen Monat vor dem Start von Wostok 1, ums Leben, nachdem er in einer mit reinem Sauerstoff gefüllten Druckkammer einen in Alkohol getränkten Wattebausch auf eine Kochplatte geworfen hatte. Leider wird das im Film nicht erwähnt. Es wäre vielleicht zu viel der Offenheit gewesen. Aber genau diese Druckkammer und auch den Kocher mit der roten Herdplatte sehen wir im Film – in einer Szene mit Gagarin.
Und dann die Tragik, wie die Kandidaten verbissen um die Reihenfolge kämpfen und eben auch scheitern. Wir erleben die unterschiedlichen Charaktere Gagarin, Titow und Neljubow. Wir erfahren, dass Neljubow ein sehr ehrgeiziger Charakter war. Das brachte ihn später auch zu Fall.
Neljubow hatte es nicht verwunden, nicht erster zu sein. Er wurde wegen einer Disziplinlosigkeit später aus der Kosmonautengruppe ausgeschlossen, ja sogar von allen Fotos getilgt. Aber auch Titow wusste, dass man sich nur an den Ersten erinnern würde.
Die Dramatik des Fluges von Wostok 1 wird sehr gut dargestellt. So äußert sich Koroljow verärgert auf die Frage, was man machen solle, wenn die Kapsel nicht auf sowjetischen Territorium landen würde: „Sprengen! Sprengen, damit der Gegner nicht erfährt, mit was für einem Schrott wir ins Weltall fliegen!“ Drastische klare Worte. So lässt sich vielleicht erklären, dass in manchen Berichten Gagarins Überlebenschancen mit 50/50 eingeschätzt wurden.
Dass General Kamanin, quasi der militärische Vorgesetzte von Gagarin, eben nicht den am 9. März 1934 geborenen Gagarin bevorzugte, sondern den rund eineinhalb Jahre jüngeren Titow, ist bestimmt auch für manchen Zuschauer neu. Hier sei zu bemerken: Die Figur Koroljow sieht seinem Original sehr ähnlich. Die andere wichtige Person, General Kamanin, weicht doch optisch sehr vom Vorbild ab.
Das Szenenbild selber ist zum größten fast ausnahmslos nachgebaut und am Computer entstanden. Filmdrehs an den Originalschauplätzen waren wohl zu kostenaufwendig. Auch halten sich hartnäckig Gerüchte, dass die Dreharbeiten nicht unbedingt die Unterstützung der entsprechenden russischen Stellen gefunden haben. Baikonur war zumindest nicht Drehort. Im Großen und Ganzen ist das aber Alles ganz gut gelungen. Und man sollte im Szenenbild nicht gleich nach allen Details der Startanlagen oder der Ausrüstung sucht.
Bemerkenswert ist, dass Gagarins Töchter Galina und Jelena dem Filmprojekt ihren Segen gegeben haben. Bislang hatten Sie sich gegen so manche Verfilmung des Lebens ihres Vaters und gegen eine Kommerzialisierung des Namens Gagarin entgegen gestemmt. Man erinnere sich an die Aufregung, als der Name „Gagarin“ urheberrechtlich geschützt werden sollte, um Missbrauch zu verhindern.
Am 9. März, zu Gagarins 80. Geburtstag wurde der Film im zentralen russischen Fernsehen „Perviy Kanal“ zur besten Sendezeit ausgestrahlt und damit landesweit über die russischen Kinos hinaus bekannt gemacht. Diese Tatsache ist sehr bemerkenswert, wurde doch hier nichts geringeres getan, als das vorherrschende Gagarinbild vom fast gottgleichen Nationalhelden durch eine realistische und menschliche Darstellung zu ersetzen. Für russische Verhältnisse ein ungeheuerlicher Vorgang. Für das Ansehen der Person Gagarins kann das nur positiv aufwertend sein.
Für Raumfahrt- und Geschichtsinteressierte ist dieser Film auf alle Fälle ansehens– und empfehlenswert.
Kleine, nicht ganz ernst gemeinte Anmerkung zum Schluss:
In einer Szene bei medizinische Tests sieht man in einer Großaufnahme ein Gerät und das Typenschild: R-F-T, Funkwerk Erfurt, VEB! Ein Schelm, der hier nicht an einen Zufall glaubt! Denn „Sergej Pawlowitsch (Koroljow) hat deutsche Technik geliebt ….!“ So die Erläuterung im Koroljow-Museum in Moskau mir gegenüber im Jahre 2008 zu einer ähnlichen Situation. Wie wahr, wie wahr!