Zero-G-Sickbay

Münchner Raumfahrttechnik-Studenten entwickeln Krankenstation für bemannte Raumfahrt

Autor: David Langkamp. Vertont von Dominik Mayer.

Eine Person erleidet einen Herzinfarkt oder bricht sich ein Bein. Innerhalb weniger Minuten ist durch das ausgeklügelte Rettungssystem in den Industrieländern eine medizinische Versorgung garantiert. Rettungshelikopter sind in der Lage, Schwerverletzte in nur wenigen Minuten zur nächsten Klinik zu fliegen. Doch was passiert bei einem medizinischen Unfall im Weltall – möglicherweise abertausende Kilometer weg von jeglicher medizinischen Einrichtung?

(Grafik: Sickbay)

Traurige Tatsache ist, dass die medizinischen Versorgungsmöglichkeiten im All derzeit noch äußerst begrenzt sind. Der Grund dafür liegt wohl darin, dass die Raumfahrtmissionen der letzten 40 Jahre oftmals nur recht kurze Vorstöße ins All waren. Die Astronauten wurden gesundheitlich perfekt durchgecheckt. Einen medizinischen Notfall sah man als unwahrscheinliches „Worst Case“ Szenario an, welches man als akzeptables Risiko aus den Überlegungen ausklammerte.

Doch mit der russischen Raumstation MIR und schließlich mit der ISS wurde eine neue Ära der ständigen menschlichen Präsenz im All eingeleitet. Stets befinden sich Menschen in der Umlaufbahn um unseren Planeten. Wichtige Voraussetzung für diese permanente Präsenz ist die Möglichkeit medizinischer Versorgung. Noch prekärer wäre die fehlende Möglichkeit einer notfallmedizinischen Versorgung bei einer Jahre dauernden bemannten Mission zum Mars.

Mit dem Wandel in der Raumfahrt – auch hin zu mehr Weltraumtourismus – wird die medizinische Versorgung unverzichtbar. Die Herausforderungen bei der Entwicklung von Versorgungsmöglichkeiten liegen in den stark abweichenden Rahmenbedingungen des Weltalls. Vor allem die Abwesenheit der Schwerkraft stellt die Entwickler vor eine Reihe großer Probleme. Diese reichen von der Tatsache, dass eine Infusion in der Schwerelosigkeit nicht von alleine fließt, bis zu der Notwendigkeit, eine Herzdruckmassage anders durchzuführen als gängig. Alle beteiligten Personen und Geräte müssten ständig fixiert sein, um ein vernünftiges Arbeiten zu ermöglichen.
Daneben müsste die Ausrüstung allgemeinen Kriterien der Raumfahrt wie beispielsweise geringe Masse, außerordentliche Zuverlässigkeit sowie eine einfache und sichere Handhabung genügen.

(Grafik: Sickbay)

Jetzt hat es sich ein junges Team werdender Ingenieure der Technischen Universität München rund um Prof. Eduard Igenbergs, den Leiter des Fachgebiets Raumfahrttechnik, zur Aufgabe gemacht, sich diesen Herausforderungen zu stellen und eine geeignete Krankenstation für den Einsatz im Weltall zu entwickeln. Im Rahmen ihres Zero-G-Sickbay Projekts, zu Deutsch „Schwerelosigkeits-Krankenstation“, sollen folgende vier Schwerpunkte bearbeitet werden:

Ergonomisch gestaltetes Krankenbett
Da der menschliche Körper in der Schwerelosigkeit eine andere Haltung (null-G-Position) annimmt, als auf der Erde, muss ein Krankenbett auch nach entsprechenden ergonomischen Gesichtspunkten konzipiert sein. Außerdem ist es unerlässlich, den Patienten in seinem Bett zu fixieren, damit dieser auch dort bleibt.
Ein eigens für die null-G-Sickbay entwickeltes Gurt-System ermöglicht es zudem, Gurte an zu versorgenden Körperpartien zu öffnen, ohne die Fixierung des Patienten negativ zu beeinflussen. Des Weiteren ist die Integration eines Life Pack vorgesehen, das die Versorgung und Stabilisierung von Wunden, Brüchen und sonstigen Verletzungen (toxikologische Unfälle o.ä.) sicherstellt.

Fixierung des Ersthelfers
Eine gute Fixierung des Ersthelfers ist ein weiterer entscheidender Punkt bei der medizinischen Notversorgung in der Schwerelosigkeit, um zu gewährleisten, dass sich der Helfer nicht ständig mit einer Hand irgendwo festhalten muss, um nicht davon zu schweben. Dazu wurde das Konzept des Munich Space Chair übernommen, und für die konkrete Anwendung modifiziert.

(Grafik: Sickbay)

Integration einer Reanimations – Einheit
Bis dato sind die Möglichkeiten, eine Herzdruck-Massage bei Weltraum-Missionen auszuführen, noch nicht gegeben, da der Ersthelfer, in Folge der fehlenden Schwerkraft, keinen Druck auf den Brustkorb des Patienten ausüben kann, und auch noch keine geeigneten Geräte an Bord von Raumstationen sind, beziehungsweise bei Raumflug-Missionen mitgenommen werden. Das zukunftsorientierte Konzept der null-G-Sickbay sieht daher die Integration einer Reanimations-Einheit vor. Diese Maschine führt parallel die Herzdruck-Massage und die künstliche Beatmung aus, sodass sich der Ersthelfer währenddessen um eventuell bestehende, weitere Verletzungen kümmern kann.

Integration eines EKG
Das Konzept der null-G-Sickbay sieht außerdem die Integration eines EKG und eines Defibrilators vor, um Patienten mit Problemen des Herzkreislaufes (bis hin zum Herzstillstand) im Weltraum behandeln zu können.

Das Flugteam: Kilian Engel, Tobias von Rad, Andreas Kruselburger und Andreas Wildschek
(Grafik: Sickbay)

Die Krankenstation müsste natürlich auch getestet werden. Ein echter Raumflug ist hierfür schlicht zu kostspielig. Doch es gibt verschiedene Verfahren, um zu experimentellen Zwecken Mikrogravitationsbedingungen zu schaffen. Dazu gehören in erster Linie die Verwendung von Falltürmen, sowie der raketengestützte und der flugzeuggestützte Parabelflug. Der flugzeuggestützte Parabelflug nimmt dabei eine besondere Stellung ein, da er als einziges die Möglichkeit bietet, Mikrogravitationsexperimente auch unter Einbeziehung des Menschen durchzuführen.

Die Studenten haben sich, im Rahmen der diesjährigen Parabelflugkampagne der Europäischen Weltraumbehörde (ESA) beworben, ihr Projekt testen zu dürfen. Das Flugteam setzt sich aus vier Studenten der TU zusammen.

Das Logo der Mission
(Grafik: Sickbay)

Die Realisierung dieses umfangreichen, multidisziplinären Konzepts ist nur durch die finanzielle Unterstützung seitens der Industrie möglich. Hierfür suchen die jungen Münchner noch Sponsoren. Nähere Informationen zum Sponsoring finden Sie auf der Internetseite des Projekts.

Das Zero-G-Sickbay Team erhofft sich Spin-Offs für Anwendungen auf der Erde. Die Stunden hoffen, dass sich das gewonnene Know-how vielleicht auch für die medizinische Versorgung unter extremen Bedingungen einsetzen ließe. So zum Beispiel bei der Seerettung oder bei der Versorgung in abgelegenen Gegenden.

Nach oben scrollen