In Kürze startet Europa eine verbesserte Ausführung der Ariane 5, die in der Lage sein wird, bis zu 10 Tonnen Nutzlast in die Übergangsbahn zum geostationären Orbit zu befördern (geplanter Starttermin: 28. November).
Ein Beitrag von Dominik Mayer. Quelle: ESA.
Diese neue Entwicklung ist für die absehbare Zukunft der Schlüssel zur Wahrung der Wettbewerbsfähigkeit Europas auf dem kommerziellen Raumtransportmarkt und seines eigenständigen Zugangs zum Weltraum.
Wie schon die Ariane-1 aus dem Jahr 1979, der die Ausführungen 2, 3 und 4 folgten, so war auch die Ariane-5 von Anbeginn als erstes Mitglied einer neuen Trägerfamilie gedacht, die Europas sicheren und wettbewerbsfähigen Zugang zum Weltraum weiterhin gewährleisten sollte. Daher beschlossen die ESA-Mitgliedstaaten auf einer Ratstagung auf Ministerebene in Toulouse im Oktober 1995 – also noch vor dem Jungfernflug des neuen Trägers -, die Arbeiten an einer verbesserten Ausführung der Ariane-5 mit höherer Nutzlastkapazität einzuleiten.
Der kommerzielle Raumtransport, der das Gros der Ariane-Einsätze ausmacht, hängt in großem Umfang von der Entwicklung des Satellitenmarktes ab. Während der 90er Jahre war diese Entwicklung von einer erheblichen Zunahme der Kapazität (und damit der Masse) geostationärer Nachrichtensatelliten geprägt, auf die allein mehr als 95 % der kommerziellen Startdienste entfallen. Innerhalb von 10 Jahren hat sich die Masse großer Satelliten von 2,5 auf knapp 5 Tonnen quasi verdoppelt. Seit dem Jahr 2000 wurden gar Aufträge für Satelliten mit einer Masse von 6 Tonnen und mehr vergeben.
Gleichzeitig hat sich das Wettbewerbsumfeld verändert. Die Aufträge für neue Satelliten sind zurückgegangen, der Kommunikationssektor durchläuft eine Konsolidierungs- und Rationalisierungsphase, und mittlerweile macht eine Vielzahl anderer Träger dem Ariane-System Konkurrenz, was in Überkapazitäten resultiert.
Eine Antwort auf neue Marktbedürfnisse
Um wettbewerbsfähige Startkapazitäten anbieten zu können, wurde beim Ariane-System seit Beginn der 80er Jahre auf Doppelstarts geostationärer Satelliten gesetzt. Die neuen Marktbedingungen zeigen, wie richtig die damalige Entscheidung war. 1995 hat die ESA Studien und Vorentwicklungsarbeiten mit dem Ziel in Auftrag gegeben, die Nutzlastkapazität der Ariane-5 noch stärker zu erweitern, und im Mai 1999 hat der ESA-Rat auf Ministerebene einen neuen Plan zur Verbesserung des Trägers genehmigt, um seine Kapazität für Starts in die Übergangsbahn zum geostationären Orbit bis 2002 auf 10 Tonnen und bis 2006 auf 12 Tonnen zu steigern. Die technische Leitung dieser Ariane-5-Weiterentwicklungsprogramme hat die ESA wie schon früher der französischen Raumfahrtagentur CNES übertragen; für die Vermarktung wird auch künftig die Gesellschaft Arianespace zuständig sein.
Die neue Nutzlastkapazität und die gleichzeitig angestrebte Senkung der Produktionskosten werden die Ariane-5 in die Lage versetzen, praktisch alle auf dem Markt vorhandenen Satelliten paarweise zu starten. Dank ihrer Nutzlastverkleidung mit einem Durchmesser von 5,4 m wird sie auch die sperrigsten Satelliten aufnehmen können.
Die Doppelstartkapazität geht einher mit einer größeren Flexibilität bei den Auslastungsanforderungen. Der Träger wurde mit dem Ziel konzipiert, eine erhebliche Senkung des Startpreises pro kg zu erreichen, was bedeutet, daß er auch dann noch konkurrenzfähig ist, wenn er zwei Satelliten ins All befördert, die zusammen weniger als 10 Tonnen wiegen.
Als Ergebnis dieser Verbesserungen wird die Ariane-5 in der Praxis künftig in einer leistungsstarken und standardisierten Ausführung angeboten. All diese Merkmale stellen Trümpfe dar, die die herausragende Marktposition von Arianespace auch in den kommenden Jahren sichern werden.
Bewährte Architektur
Die erste Ariane-5 mit einer Nutzlastkapazität von 10 Tonnen soll beim Flug Nr. 157 eingesetzt werden, der 11. kommerziellen Mission des Trägers seit seiner Indienststellung durch Arianespace im Jahr 1999 und seinem insgesamt 14. Start. Bei diesem am 28. November geplanten Start in Kourou (Französisch-Guayana) sollen zwei Satelliten, der Nachrichtensatellit Hot BirdTM-7 von EUTELSAT und der Technologiesatellit STENTOR der französischen Raumfahrtagentur CNES, ins All befördert werden.
Die „Zehn-Tonnen-Ariane“ – offizielle Bezeichnung: Ariane-5 ECA – beruht auf derselben Grundarchitektur wie die Ariane-5: zwei Feststoff-Zusatzraketen (EAP) für den Start, eine kryotechnische Hauptstufe (EPC), die den größten Teil des für das Verlassen der Erdschwere notwendigen Schubs liefert, und eine Oberstufe, die die Satelliten in die Zielbahn befördert – in den meisten Fällen eine Übergangsbahn zum geostationären Orbit in bis zu 36 000 km Höhe, von wo aus sie dann mit Hilfe ihres Bordtriebwerks in ihre endgültige Umlaufbahn gelangen.
Um die Nutzlastkapazität für Doppelstarts von 5,9 auf 10 Tonnen zu erhöhen, wurden alle Stufen der Ariane-5 leistungsfähiger gemacht.
Stärkere Triebwerke
Die von der italienisch-französischen Firma Europropulsion hergestellten Feststofftriebwerke der beiden Zusatzraketen bestehen aus je drei Segmenten, von denen das kleinste, das Bugsegment, nun 10 %, d.h. rund 2,5 t mehr Treibsatz enthält. Wegen seines Innenprofils brennt dieses Segment am raschesten ab und verleiht dem Träger seinen Anfangsschub. Die zusätzliche Treibsatzmasse erhöht den Schub in den ersten 20 Sekunden nach dem Abheben um 50 t. Somit liefern die beiden Zusatzraketen zusammen einen Schub von 1.400 t, zehnmal mehr als das Triebwerk der Hauptstufe. Im Ergebnis bedeutet dies 400 kg mehr Nutzlast. Hinzu kommt, daß die Zusatzraketen mit einer neuen Schubdüse ausgestattet sind, die aus weniger Teilen besteht und daher leichter und billiger zu fertigen ist.
Auch am kryotechnischen Triebwerk „Vulcain“ der Hauptstufe, das von Snecma (Frankreich) gebaut wird, wurden Änderungen vorgenommen, um seinen Schub um 20 % auf 137 t zu steigern. Die neue Ausführung Vulcain-2 verbrennt eine um 20 % Flüssigsauerstoff angereicherte Treibstoffmischung unter leicht höherem Druck als die Vorgängerversion. Wegen dieser Änderung in der Treibstoffmischung mußte Fiatavio (Italien) eine neue Sauerstoff-Turbopumpe entwickeln, die auf eine Drehzahl von 13 000 U/min kommt und einen Förderdruck von 161 bar erzeugt. Außerdem mußte das Fassungsvermögen des Flüssigsauerstofftanks in dieser Stufe um 15 t erhöht werden. Dies wurde ohne Änderung der Stufenstruktur erreicht, indem der gemeinsame Zwischenboden des Flüssigsauerstoff- und Flüssigwasserstoffbehälters einfach um 640 mm verlegt wurde. Eine weitere Verbesserung von Vulcain-2 ist eine neue Expansionsdüse von Volvo Aero (Schweden), die so ausgelegt ist, daß die Abgase der Turbopumpen in den Triebwerkshauptstrahl eingeleitet werden, was die Triebwerksleistung in großen Höhen verbessert.
Insgesamt stellt das Triebwerk Vulcain-2 allein eine zusätzliche Nutzlastkapazität von 1 300 kg für den Transport auf die Übergangsbahn zum geostationären Orbit bereit.
Das Vermächtnis der Ariane-4
Die wichtigste Neuheit bei der „Zehn-Tonnen-Ariane“ ist die Oberstufe. Die Stufe EPS für lagerfähige Treibstoffe wurde durch eine kryotechnische Oberstufe (ESC-A) ersetzt, die 14,6 t Flüssigsauerstoff und -wasserstoff mitführt. Diese in Bremen unter der Federführung von Astrium (Deutschland) gebaute Stufe macht weitgehend von bewährten Technologien Gebrauch, darunter der Flüssigsauerstofftank, das Schubgerüst und das Antriebssystem aus der Drittstufe der Ariane-4 sowie das von Snecma gelieferte Triebwerk HM-7B. Der Flüssigwasserstofftank beruht auf denselben Technologien, wie sie für den Behälter in der Hauptstufe entwickelt wurden. Das einzige völlig neue Bauteil ist die domförmige Bodenwand des Flüssigwasserstoffbehälters, in die der Flüssigsauerstoffbehälter eingepaßt ist.
Die Stufe ruht auf einem 2,8 m hohen zylindrischen Ring in Verbundbauweise mit 5,4 m Durchmesser, der von EADS CASA Espacio (Spanien) hergestellt wird.
Die ESC-A krönt die an der Ariane-5 vorgenommenen Verbesserungen. Sie bringt 60 % der Leistungssteigerung gegenüber der vorangehenden Trägerversion auf, ohne die Produktionskosten wesentlich zu erhöhen. Sie hat auch sicherzustellen, daß die Satelliten mit höchster Präzision abgesetzt werden, damit sie eine optimale Lebensdauer erreichen.
Ein rigoroses Qualifikationsprogramm
Alle diese Änderungen des Ariane-5-Konzepts wurden im Rahmen der ESA-Entwicklungsprogramme und des Begleitenden Forschungs- und Technologieprogramms für den Träger Ariane (ARTA), das ebenfalls von der ESA geleitet und von den europäischen Regierungen finanziert wird, äußerst strengen Qualifikationsverfahren unterzogen.
Der vergrößerte Treibsatz in den Zusatzraketen und ihre neue Düse wurden in Kourou im Mai 2000 und November 2001 in zwei Heißläufen mit naturgroßen Prüflingen qualifiziert, während das Triebwerk Vulcain-2 auf den Prüfständen in Vernon in der Normandie und in Lampoldshausen in Baden-Württemberg über 130 repräsentative Tests mit einer Gesamtlaufzeit von 50 000 Sekunden absolviert hat, was rund 100 Flügen entspricht.
Die Stufe ESC-A durchlief das übliche Qualifikationsprogramm, das dynamische und Schwingungsversuche im Erprobungszentrum der IABG in Ottobrunn (Deutschland) umfasste. Obwohl das Triebwerk HM-7B bereits über 130 Flüge hinter sich hat, wurde es einer eigenen Versuchskampagne unterzogen, um sich zu vergewissern, daß es unter den beim Einsatz auf Ariane-5 herrschenden Bedingungen – wozu vor allem eine 200 Sekunden längere Brennzeit gehört – einwandfrei funktioniert. Ferner wurden in Kourou mit einer kompletten Stufe Betriebsversuche durchgeführt, um die Verfahren und Nahtstellen für die Betankung und Aktivierung der Stufe auf dem Startkomplex einschließlich des Einsatzes der neuen kryotechnischen Arme des fahrbaren Nabelschnurmastes auf dem Starttisch zu erproben.
Nächstes Ziel: Wiederzündfähigkeit
Die „Zehn-Tonnen-Ariane“ wird die Standardausführung der Ariane-5 für die nächsten Jahre sein. Schon jetzt wird aber ihre Nachfolgerin im Rahmen des Programms Ariane-5 Plus geplant, das der Ministerrat der ESA auf seinen Tagungen 1999 in Brüssel und 2001 in Edinburgh genehmigt hat. Denn das Wachstumspotential der Ariane-5 ist noch keineswegs ausgeschöpft: Die neue Ausführung könnte ihre Nutzlastkapazität weiter erhöhen und letztlich bis zu 12 t auf die Übergangsbahn zum geostationären Orbit hieven!
Im Hinblick darauf wird eine noch leistungsstärkere Oberstufe untersucht. Sie soll mit dem neuen Triebwerk „Vinci“ ausgerüstet werden, das sich bereits in Entwicklung befindet und nicht nur dreimal mehr Schub liefern, sondern auch mehrfach zündbar und für ballistische Phasen geeignet sein soll. Die Möglichkeit wiederholter Zündungen wird der Ariane-5 die angesichts der Marktentwicklung erforderliche erhöhte Einsatzflexibilität verleihen, um Satelliten auf andere Bahnen zu befördern oder komplexe Aufgaben wie die Positionierung von Satellitenkonstellationen (z.B. Galileo) auf mittelhohen Erdumlaufbahnen zu erfüllen.