Bereits zum fünften Mal hat ein Team aus 25 internationalen Wissenschaftler*innen den CYGNUS-Versorgungstransporter der ISS dafür genutzt, im Weltraum Experimente mit offenem Feuer durchzuführen. Eine Pressemitteilung des Zentrums für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation (ZARM) der Universität Bremen.
Quelle: ZARM.
Dieses Mal wurden vom Rückweg Richtung Erde erstaunliche Daten übermittelt, die selbst für die Verbrennungsforschenden vom Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation (ZARM) der Universität Bremen nicht vorhersehbar waren: in der Schwerelosigkeit breitet sich eine Flamme nur entgegengesetzt zur Luftströmung aus. Auf einem Raumfahrzeug eine Flamme auspusten zu wollen, wäre demnach eine wirklich schlechte Idee.
23 Stunden dauerte das Experiment, das am 6. Januar 2021 auf CYGNUS im Rahmen der SAFFIRE V Kampagne durchgeführt wurde und testen soll, wie sich ein Feuer in einem Raumfahrzeug mit astronautischer Crew verhält. Da offenes Feuer im Weltraum, auch wenn es bewusst und kontrolliert gezündet wird, immer ein großes Risiko darstellt, nutzt das Forschungsteam seit 2016 den CYGNUS-Transporter, der auf dem Hinweg Versorgungsmaterialien zur ISS bringt und auf dem Rückweg mit Abfällen in der Erdatmosphäre verglüht. In der Phase zwischen dem Abdocken und vor dem Eintritt wird das Feuer entzündet.
Der Experimentaufbau im All
Das Experiment des ZARM besteht aus einer strukturierten Plexiglasprobe (PMMA). Die Probe ist 40 Zentimeter breit, 20 Zentimeter lang und 10 Millimeter dick, mit Rippen unterschiedlicher Breite darauf, die von einem kontinuierlichen Luftstrom (20 Zentimeter pro Sekunde) angeblasen wird, der das Lüftungssystem, das gleichzeitig das Sauerstoffversorgungssystem ist, eines Raumfahrzeugs simulieren soll. Der Druck beträgt etwa 70% des normalen Luftdrucks bei einer erhöhten Sauerstoffkonzentration von 26% und entspricht damit den Bedingungen, wie sie auf zukünftigen astronautischen Explorationsmissionen vorgesehen sind.
Tatsächlich war es ein Zufall, der zum vielleicht erfolgreichsten – weil lehrreichsten – aller bisherigen Experimente des SAFFIRE-Projekts führte. Zunächst sollte eine Flamme an dem Ende der Materialprobe entzündet werden, die aus Luftströmungsrichtung betrachtet am Anfang der Plexiglasscheibe liegt. Die Flamme würde sich also mit der Strömung ausbreiten. Von diesem Versuch erwarteten die Wissenschaftler*innen eigentlich die besseren Erkenntnisse, aber der Zünder hatte offenbar seinen Kontakt verloren, so dass die Flamme nicht zündete. Beim zweiten Teil des Experiments wurde aber erfolgreich eine Flamme am anderen Ende der Plexiglasscheibe entzündet – also im Gegenstrom – und zeigte dann ein völlig unerwartetes Verhalten: In der Schwerelosigkeit breitete sich die Flamme rasch aus, indem sie der Luftströmung entgegen kam – ein Prozess, der unter „normalen“ Gravitationsbedingungen so kaum stattfände. Da die Plexiglasscheibe durch den Ausfall des ersten Zünders noch unversehrt war, konnte dieses Verhalten sehr deutlich und über die gesamte Probenlänge hinweg beobachtet werden.
Wieso breitet sich die Flamme in die „falsche“ Richtung aus?
Die Beobachtungen lassen mehrere Schlussfolgerungen zu. Die grundlegendste ist, dass sich eine Flamme in Schwerelosigkeit nicht mit der Strömung ausbreiten kann. Es findet also genau das Gegenteil von dem statt, was wir intuitiv erwarten. Woran liegt das? Generell werden die eine Flamme umgebenden Luftschichten erhitzt und dehnen sich aus. Die geringere Dichte führt unter normaler Erdanziehungskraft dazu, dass diese leichteren Schichten nach oben aufsteigen und neuer sauerstoffreicher Luft Platz machen. Die großen Geschwindigkeitsunterschiede dabei führen zur Faltung der Strömung, die die bekannte lodernde Flamme verursacht. Dabei wird Sauerstoff auch aus anderer als der Strömungsrichtung an das Material geführt. In der Schwerelosigkeit gibt es aber keine Gewichtsunterschiede und daher auch keinen Auftrieb. Die heißen Gasbereiche dehnen sich zwar ebenfalls aus, sie bleiben aber in Strömungsrichtung geschichtet – ohne Faltung und ohne das bekannte Lodern. Ganz ohne Luftströmung würde die Flamme sogar in ihrem Abgas ersticken. Soweit ist das Phänomen bereits bekannt. Durch die vorhandene Luftströmung beim SAFFIRE-Experimentaufbau wird aber ausschließlich die vordere Flammenbasis – dort wo der Luftstrom auf die Flamme trifft – ausreichend mit Sauerstoff versorgt. Dementsprechend ist die Flamme hier am aktivsten und propagiert überraschend schnell der Luftströmung entgegen.
Eine weitere Erkenntnis ist, dass die Flamme den unter ihr aufgeheizten und ausgasenden Bereich vor Luftzutritt und Verbrennung schützt. Die gegen die Anströmung propagierende Flammenfront hinterlässt also keine brennende Fläche. Stattdessen wird unter ihr viel brennbares aber unverbranntes Rauchgas produziert. Das bedeutet weiterhin, dass die kleinste Störung der Schichtung, die dieses heiße, unverbrannte Rauchgas mit Sauerstoff versorgen würde, zu dramatischen Verpuffungen führt. So einen „Backdraft“ gibt es zwar auch am Boden, jedoch bedarf es unvergleichlich stärkerer Störungen, um diesen auszulösen. Am ehesten bekannt ist dieser Begriff in Verbindung mit Feuer in geschlossenen Räumen. Hier bildet sich unter der Decke ebenfalls eine Schicht heißer brennbarer Gase und durch das Öffnen einer Tür oder das Bersten eines Fensters kann neuer Sauerstoff eingemischt und eine Verpuffung ausgelöst werden. Dieses Phänomen musste das Forschungsteam beim vorherigen Flug beobachten, bei dem die Strömung offenbar zu kurz nach Verlöschen der Probe wieder eingeschaltet wurde und hat nun auch eine Erklärung für dieses dramatische Ende des SAFFIRE IV-Experiments.
Feuerbekämpfung in Schwerelosigkeit
Welche Konsequenzen haben diese neuen Erkenntnisse für das Verhalten einer Weltraum-Crew im Fall, dass ein Feuer ausbricht? Ein Crew-Mitglied, das sich in einem Feuerszenario bewegt oder gar Löschversuche mit einem Strahl unternimmt, kann die plötzliche Verbrennung aller akkumulierten Rauchgase auslösen und damit die Situation eskalieren. Bei der Auswahl der Feuerlöschtechnik wird man also ganz anders abwägen müssen, ob ein aktives Eingreifen überhaupt sinnvoll sein kann.
Das Projekt „SAFFIRE“ wird von der NASA finanziert. Beteiligt sind neben vielen US-Wissenschaftler*innen auch Forschende aus Europa, Russland und Japan.
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