X-20/Dyna Soar

Noch während das äußerst erfolgreiche und vielbeachtete Experimentalflugzeug X-15 neue Rekorde brach, wurde in den USA die Idee eines bemannten Raumgleiters geboren.

Autor: Felix Korsch

NASA-Konzeption
(Bild: NASA)

Den Anstoß gab letztendlich der Sputnik-Schock und die Forderung, ein bemanntes nationales Raumfahrtprojekt zu initiieren. Die Idee zu ‚Dyna Soar‘ (von DYNAmic SOARing) war geboren und wurde unter dem Namen X-20 entwickelt. Den offiziellen Startschuss erteilte die NACA am 14. Oktober 1957. Doch im Gegensatz zur X-15 war und blieb die X-20 stets ein Projekt unter Federführung der Air Force. Somit war in die Planungen auch von Anfang an die Verwendung der militärischen Titan-Rakete als Träger integriert. Dyna Soar hätte an der Spitze diese Rakete ins All gebracht werden sollen, um dann einige Erdorbits durchzuführen und wieder sicher im Gleitflug wie ein normales Flugzeug zu landen.

Werdegang
Durch den hohen Druck des Regierungszieles MISS (Man In Space Soonest) entschied man sich seitens der NASA allerdings gegen das Konzept eines Raumgleiters und favorisierte eine einfache ‚Konservenbüchse‘ für den bemannten Raumflug. Letztere war einfacher zu bauen, schneller zu realisieren und um ein Vielfaches sicherer als ein experimentales Orbitalflugzeug. Dennoch begannen ab 1961 intensivere Arbeiten und Studien zu Dyna Soar. Unverkennbar ist übrigens auch die enge Verwandtschaft mit dem deutschen Sänger-Projekt „Silbervogel“ – ein transatlantischer Bomber.

Lockheed-Entwurf
(Bild: Lockheed Martin)

Dyna Soar war ausgelegt für nur einen Astronauten und hätte mit einem minimalen Stauraum für 450 kg Materialien hinter dem Pilotensitz kaum Möglichkeiten zur Beförderung von Nutzlasten geboten. Somit war X-20 auch nur für den militärischen Sektor interessant, gab es doch vielfältige Nutzungskonzepte seitens der Air Force. Doch auch hier kam es zu Unstimmigkeiten: während seitens des DoD (Department of Defence) Dyna Soar als orbitales Waffensystem angesehen wurde, wollte die USAF ’nur‘ den Grundstein für spätere Projekte legen und sich zunächst darauf beschränken, ein eigenes, NASA-unabhängiges bemanntes Raumfahrt-Programm zu betreiben.

1960, als man bereits erkannte, dass Dyna Soar für Mercury keine Konkurrenz darstellen konnte, entstanden konkrete Planungen für ein ausgedehntes Flug- und Testprogramm der X-20. Man sah die drei folgenden Entwicklungsstufen vor:

  • Stufe I: 20 Flüge, gestartet von einer modifizierten B-52, durchzuführen im Juli 1963; anschließend fünf suborbitale unbemannte Testflüge mit einer Titan-I-Rakete im November 1963; Abschluss: 11 bemannte Flüge von Cape Canaveral aus mit Landung auf verschiedenen Stützpunkten.
  • Stufe II: umfangreichere Orbitalmissionen und Überprüfen der Tauglichkeit für Waffen- und Aufklärungssysteme
  • Stufe III: ein umfassendes militärisches Raumflugprogramm basierend auf der X-20

Letztendlich musste das Programm durch den Start Juri Gagarins im April 1961 extrem beschleunigt werden, was zahlreiche Änderungen der Konfiguration der X-20 nach sich zog. Außerdem wurde nun die neue Titan-IIIC als Trägerrakete vorgezogen. Gleichzeitig entstanden konkretere Konzepte für eine Modifizierung der X-20 zu Raumbomber, Aufklärer oder Waffenträger. Aus diesen Ansätzen heraus leitete man neue Entwürfe für den Dyna Soar II, III sowie ‚MOWS‘ (Manned Orbital Weapons System) ab, die jedoch alle nicht mehr in eine konkrete Phase überführt werden konnten.

Das technisch interessante Projekt Dyna Soar wurde am 10. Dezember 1963 gestoppt – nur wenige Monate vor den geplanten Tests mit einer B-52 und den ersten Starts. Anstelle der X-20 wurden die Forschungen an anderen, ähnlichen Flugkörpern fortgesetzt. Die dadurch gewonnenen Erkenntnisse halfen bei der Entwicklung des Space Shuttles.

Aufbau
Das gesamte X-20-System setzt sich aus drei wesentlichen Elementen zusammen. Die Grundlage bildet die ‚Abort Stage‘. Diese besteht aus einem Triebwerksblock von 1,80 Metern Länge und einem Durchmesser von 1,50 Meter. Die gesamte Stufe wiegt 1,36 Tonnen und ist nichts weiter als ein XM-92-Triebwerksblock, wie er auch in der Zweitstufe der Minuteman-Rakete Verwendung fand. Diese Stufe würde gezündet im Falle eines Fehlstarts oder eines Notfall-Wiedereintritts.

Es schließt sich die Mittelstufe (‚Transtage‘) an, die das normale Triebwerk für Manöver in der Umlaufbahn beinhaltet. Sie ist 4,60 Meter lang und hat einen Durchmesser von drei Metern. Diese Stufe mit einer Masse von 3,6 Tonnen beinhaltet das Haupttriebwerk des Flugkomplexes Dyna Soar.

Die letzte Stufe ist schließlich die X-20 selbst, welche den Wiedereintrittskörper darstellt. Die X-20 allein ist 10,8 Meter lang mit einer Spannweite von 6,3 Metern. Dem Astronauten stand ein Arbeitsraum von gerade mal 3,5 m³ zur Verfügung. Die Masse der X-20 beträgt 5,165 Tonnen.

Quellen

  • Lexikon der bemannten Raumfahrt; S. 88.; Matthias Gründer
  • Das NASA-Protokoll; S. 50ff.; Harro Zimmer (siehe auch verwandte Websites)

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