Sie gehen hervor aus Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie, konnten bis jetzt aber nie nachgewiesen werden. Ist die Existenz von Wurmlöchern überhaupt möglich? Wenn ja, eignen sich die mysteriösen Gebilde wirklich für interstellare Reisen von Stern zu Stern? Fraser Chain (UniverseToday) im Interview mit Dr. Stephen Hsu
Ein Beitrag von Julian Schlund. Quelle: universetoday.
Hintergrundwissen
So genannte Wurmlöcher sind theoretische Resultate der allgemeinen Relativitätstheorie, die nach Albert Einstein Raum und Zeit beschreibt. Im Gegensatz zu schwarzen Löchern würden bei Wurmlöchern weder Ereignishorizont noch extreme Gravitationskräfte das Leben von Astronauten gefährden. Wurmlöcher sind also Gebilde, die theoretisch astronomische Distanzen von vielen tausenden Lichtjahren auf wenige Meter abkürzen, indem sie den vierdimensionalen Hyperraum durchdringen. Ein gewisser Kip Thorne ist jedoch schon damals auf ein entscheidendes Hindernis gestoßen und erweckte damit starke Zweifel an der möglichen Existenz dieser Gebilde.
Fraser Chain von UniverseToday im Interview mit Dr. Stephen Hsu
Wurmlöcher sind ein wichtiger Bestandteil in der Science-Ficition, befördern sie unsere Helden doch auf einfachem und schnellstem Wege durch die Weiten des Universums. Begibt man sich in ein Wurmloch nahe der Erde, so kommt man am anderen Ende unserer Galaxie wieder hinaus. Auch wenn Wurmlöcher als Hauptstütze unzähliger Filme und Bücher erst durch die Science-Fiction populär geworden sind, liegt ihr tatsächlicher Ursprung in der Wissenschaft, wo eine Verzerrung der Raumzeit keinesfalls ausgeschlossen werden konnte. Allerdings ist die Erschaffung eines solchen Wurmloches nach Meinung Dr. Stephen Hsu’s von der University of Oregon praktisch unmöglich.
Fraser: Ich habe jetzt zahlreiche StarTrek-Episoden gesehen. In wie fern hat mich das, wenn überhaupt, auf das eigentliche wissenschaftliche Verständnis vorbereitet?
Dr. Stephen Hsu: In StarTrek nutzen sie nicht wirklich Wurmlöcher. Die diesbezüglich wahrscheinlich beste Aufbereitung, zumindest aus wissenschaftlicher Sicht, ist für mich der Spielfilm „Contact“, der auf einem Buch von Carl Sagan basiert. Letzterer versuchte immer, möglichst realitätsgetreu und wissenschaftlich korrekt zu bleiben, auch in jenem Buch. So kontaktierte Sagan, er selbst war Astronomieprofessor, einen Experten in der allgemeinen Relativität namens Kip Thorne (tätig an der US-Forschungseinrichtung Caltech), um sicherzugehen, dass die Verwendung der Wurmlöcher in „Contact“ wissenschaftlich wirklich so genau wie möglich war. Das gab Thorne wiederum den Anreiz, sich ausgiebig mit Wurmlöchern zu beschäftigen, zahlreiche Überlegungen anzustellen sowie Untersuchungen durchzuführen, sodass unsere heutige Arbeit eigentlich eine Erweiterung seiner Ideen ist.
Fraser: Wenn man, ganz theoretisch gesehen, ein Wurmloch erschaffen will, was müsste man tun?
Dr. Stephen Hsu: Es bedarf einer sehr außergewöhnlichen Art von Materie und diese Materie muss höchst negativen Druck haben. Es hat sich herausgestellt, dass man eine exotische Art von Materie benötigt, um den „Rachen“ sowie die Röhre des Wurmlochs zu stabilisieren. Wir beschäftigen uns damit, wie wahrscheinlich eine solche Art von Materie in den Modellen der Teilchenphysik wäre.
Geschichtlicher Rückblick:
Kip Thorne stieß bei seinen Berechnungen auf ein entscheidendes Hindernis: Wurmlöcher aus normaler Materie sind instabil. Das bedeutet, dass sie nur sehr kurzlebig sind und sofort kollabieren. Die einzige Möglichkeit ein Wurmloch offen zu halten besteht darin, es mit einem Material zu „bauen“, das durch seine Gravitation die Wände auseinanderdrückt und gewaltige Spannungen aushält. Dabei muss die Spannkraft des Baumaterials 100 Billiarden Mal größer sein als dessen Dichte. Stahl hat eine Materialdichte von 30 Gramm pro Kubikzentimeter und eine Zugfestigkeit von 10.000 Kilogramm pro Quadratzentimeter. Ein Stahlrohr wäre somit rund 100 Milliarden Mal zu schwach, um sich der geforderten Wurmlochspannung zu widersetzen: Auch alle anderen Stoffe die wir Menschen kennen scheitern an dieser Grenze. Thorne war es, der eine „exotische“ Materie postulierte, aus der Wurmlöcher bestehen müssten, die er dann Carl zu Ehren „Sagan- Wurmlöcher“ taufte. Dieser mysteriöse Stoff hat unvorstellbare Eigenschaften: Nicht Anziehungs- sondern Abstoßungskräfte gehen von ihm aus. Seine Energie und somit auch seine Masse ist negativ. Das bedeutet, dass bei einem Wesen aus exotischer Materie die Personenwaage „Minus“ Kilogramm angezeigt würden. Wohlgemerkt, es handelt sich hier nicht um Antimaterie, wie sie ja inzwischen im Labor erzeugt werden kann, sondern um Materie aus negativer Energie.
Fraser: Lass uns annehmen, man würde einen Riss in der Raumzeit erstellen und ihn dann mit dieser benötigten exotischen Materie füllen, um ihn offen zu halten, und dann könnte man die zwei Endpunkte des Wurmlochs rund ums Universum bewegen, sie würden sowohl Zeit als auch Raum vermitteln.
Dr. Stephen Hsu: Gut, in einigen Science-Fiction-Stories wird jedoch postuliert, dass nur wenige Wurmlöcher existieren, die vom Big Bang übrig geblieben sind, und dass wir einfach eines entdecken und es benutzen können. Die konstruktive Vorstellung ist tatsächlich, dass eine außerirdische Zivilisation oder wir selbst eigene Wurmlöcher erschaffen. In diesem Fall würden die Enden anfangs aber sehr eng beieinander liegen, man müsste sie erst auseinanderziehen.
Fraser: Wo sind Sie mit ihren Forschungen mittlerweile angelangt?
Dr. Stephen Hsu: Wir studierten fundamentale Vorraussetzungen für etwas, das sich die „Zustandsgleichung der Materie“ nennt – welche Eigenschaften, wie zum Beispiel Druck oder Energiedichte – Materie einnehmen kann. Wir entdeckten einige stabile Bedingungen, es hat allerdings den Anschein, dass diese sehr ungeeignet für die Erschaffung eines Wurmlochs sind.
Fraser: Wie würden sich diese Bedingungen auf Wurmlöcher denn auswirken?
Dr. Stephen Hsu: Für die exotische Materie, die ich vorhin erwähnte, mit sehr negativem Druck ergäbe sich unter den erwähnten Bedingungen immer ein instabiler Wert in der Materie. Die Materie, die für die Stabilität des Wurmlochs sorgt, würde schließlich kollabieren, sobald man das System anstoßen würde.
Fraser: Heißt das, dass man theoretisch einen stabilen Punkt erreichen kann, nur nicht mit dem System in Berührung kommen darf?
Dr. Stephen Hsu: Ich würde sagen, es ist theoretisch unmöglich, klassische Materie herzustellen, die stabil ist und gleichzeitig ein Wurmloch im Gleichgewicht halten kann. Keine Frage, man könnte es einfach nicht beeinflussen, aber es ist ausgeschlossen, eine Person durch ein solches System zu senden, das würde dem Wurmloch einen „Stoß“ versetzen und sehr wahrscheinlich für dessen Zusammenfall sorgen.
Fraser: Angenommen, man will keine Menschen transportieren, sondern sucht lediglich einen Weg, Informationen zu übermitteln – in die Zeit zurücksprechen.
Dr. Stephen Hsu: Das ist nicht ausgeschlossen. Bei den von uns hergeleiteten Bedingungen würde es sich um Materie handeln, in der Quanteneffekte relativ gering sind. Auch bei Materie, in der Quanteneffekte sehr hoch sind, praktisch dem genauen Gegenteil, wäre das Wurmloch vielleicht stabil. („The wormhole itself would be fuzzy in a quantum way.”) Das Wurmloch selbst würde also schwanken/verschwimmen wie ein Quant. Eine Nachricht zurück in die Zeit wäre auch dann noch möglich; vielleicht müsste man eine solche aber mehrmals schicken, dass sie auch da landet, wo man sie haben will. Vom Senden einer Person rate ich ab, so könnte es in einem fluktuierendem (d.h. schwankendem) Wurmloch passieren, dass der Mensch entweder am falschen Ort oder/und in der falschen Zeit landet.
Fraser: Ich habe von Schätzungen gehört, die besagen, dass die Erschaffung eines Wurmlochs mehr Energie benötige, als im ganzen Universum vorhanden ist. Hast du diesbezüglich irgendwelche Rechnungen oder dergleichen?
Dr. Stephen Hsu: Unsere Berechnungen zeigen das nicht unbedingt. Sicherlich wäre ein unermessliches Maß an Energie nötig, um ein Wurmloch zu erstellen, das groß genug ist, um einen Menschen durchbefördern zu können. Aber normalerweise, wenn man über diese Art von Problem so nachdenkt, geht man davon aus, dass – egal welche Zivilisation auch vorhat dies zu tun – man in Besitz unvorstellbar hoch entwickelter Technologien ist. Was wir zu verstehen versuchen, ist, ob es eine Grenze gibt, unabhängig von der Technologie, sondern die tatsächlich von den fundamentalen Gesetzen der Physik kommt.
Fraser: Wo werden ihre Forschungen Sie ab dem jetzigen Punkt hinführen? Gibt es etwas, über das Sie immer noch etwas unsicher bist?
Dr. Stephen Hsu: Unser Arbeitsergebnis handelt von klassischen Wurmlöchern oder Wurmlöchern, deren Raumzeit nicht sehr quantenmechanisch ist. Wir sind sehr interessiert daran, unsere Resultate auszubauen, um über Wurmlöcher Bericht erstatten zu können, in denen die Raumzeit „verschwommen“ ist.
Fraser: Wenn ich schnellstmöglich im Universum herumreisen wollen würde, sollte ich mich also lieber nach einem Warpantrieb umsehen? (WarpDrive: überlichtschnelles Reisen)
Dr. Stephen Hsu: Ich bin ein großer Fan von Science-Fiction, und war es schon von klein auf, aber als Wissenschaftler muss ich leider sagen, dass es den Anschein hat, als ob das Universum einfach nicht für Reisen von Stern zu Stern ausgelegt ist. Allerdings machen wir großartige Fortschritte in Sachen wie der Biotechnologie, der Informationstechnologie oder aber auch in der Entwicklung von intelligenten Systemen, was in Anbetracht der physikalischen Gesetze wohl eher realisierbar sein wird als StarTrek.