Im Dezember 2010 konnte ein sich gerade bildendes Sturmgebiet auf dem Saturn registriert werden, welches mittlerweile die gesamte nördliche Hemisphäre dieses Planeten umspannt. Wissenschaftlern ist es in den letzten Monaten gelungen, diesen Sturm näher zu untersuchen. Dafür haben sie die mit dem Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte gewonnenen Messergebnisse mit den Daten der Raumsonde Cassini kombiniert.
Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: ESO, JPL, Science.
In der Atmosphäre des zweitgrößten Planeten unseres Sonnensystems, dem rund 120.000 Kilometer durchmessenden Gasplaneten Saturn, geht es normalerweise auch so schon recht turbulent zu. Über dessen Nordpol befindet sich das Zentrum eines gigantischen Polarwirbels, welcher einem Durchmesser von fast 25.000 Kilometern aufweist. Der Zyklon rotiert mit einer Geschwindigkeit von 530 Kilometern pro Stunde innerhalb von etwa 10 Stunden und 40 Minuten einmal um sein Zentrum. Damit erreicht er eine mehr als doppelt so hohe Geschwindigkeit wie die auf der Erde auftretenden Zyklone.
Umgeben ist dieses Sturmgebiet von einer Wolkenstruktur, welche die Form eines nahezu regelmäßigen Sechsecks aufweist. Die dort befindlichen Wolken bewegen sich mit Geschwindigkeiten von bis zu 500 Kilometern pro Stunde. Das anscheinend mehrere 100 Kilometer tiefe Hexagon wurde erstmals in den Jahren 1980 und 1981 von den Raumsonden Voyager 1 und Voyager 2 abgebildet und konnte mittlerweile von der Saturnsonde Cassini, welche den Ringplaneten seit dem Sommer 2004 bereits 149 mal umrundet hat, ausführlicher untersucht werden. Im sichtbaren Licht erscheinen die Wolken innerhalb der Formation dunkler als außerhalb. Mehrere Wolkenbänder begrenzen das Sechseck.
Auch über dem Südpol befindet sich ein ortsfestes Sturmgebiet mit einem Durchmesser von etwa 8.000 Kilometern. Das deutlich ausgeprägte Auge dieses hurrikanähnlichen Wirbelsturms ist von 30 bis 75 Kilometer hoch aufragenden Wolkenstrukturen umgeben. Die von der Raumsonde Cassini gewonnenen Daten zeigen, dass dieser Sturm mit einer Geschwindigkeit von 550 Kilometern pro Stunde im Uhrzeigersinn um den Südpol des Saturn rotiert.
„Dies sind wirklich massive Wirbelstürme – hunderte Male stärker als die meisten Zyklone oder Hurrikans auf der Erde“, so Kevin Baines, ein an der Cassini-Mission beteiligter Wissenschaftler vom Jet Propulsion Laboratory (JPL) in Pasadena/Kalifornien.
Doch durchschnittlich einmal pro Saturnjahr, also etwa alle 30 Erdjahre, gerät die Atmosphäre des Saturn aufgrund der stark ausgeprägten Jahreszeiten während des dann dort herrschenden Frühlings auf der nördlichen Planetenhemisphäre in zusätzlichen Aufruhr. In den unteren Wolkenschichten des Planeten entsteht in dieser Zeit eine Störung, welche so stark wird, dass sie nicht nur verhältnismäßig kurzzeitige und punktuell auftretende Auswirkungen hat, sondern vielmehr die Atmosphäre des gesamten Planeten beeinflussen kann. Dies äußert sich in der Bildung gigantischer Sturmgebiete über den mittleren nördlichen Breiten, welche sich auf Fotoaufnahmen als helle Zonen erkennen lassen und im Gegensatz zu den „normalen“ Saturnstürmen in den mittleren Breiten über mehrere Monate hinweg aktiv sind. Erstmals konnte dieses Phänomen im Dezember 1876 von dem US-amerikanischen Astronomen Asaph Hall beobachtet werden. Weitere Stürme wurden in den Jahren 1903, 1933, 1960 und schließlich im September 1990 registriert.
Seit Anfang Dezember 2010, und somit etwa 10 Jahre früher als erwartet, entwickelte sich erneut ein Sturmgebiet von mittlerweile gigantischen Ausmaßen über der nördlichen Saturnhemisphäre. Erstmals konnte dieser neue Sturm mit einem Radiowellendetektor, dem Radio and Plasma Wave Science Instrument (RPWS), an Bord der Raumsonde Cassini nachgewiesen werden. Bereits wenige Tage später gelang es verschiedenen Amateurastronomen, welche zu diesem Zeitpunkt allerdings keine Kenntnis von den Daten der Cassini-Mission hatten, erste Aufnahmen des Sturmgebietes anzufertigen. In den folgenden Wochen und Monaten erfolgten weitere Beobachtungen durch Berufsastronomen und die Wissenschaftler der Cassini-Mission. Der Sturm hat sich seit seiner Entdeckung immer weiter entlang des 40. Breitengrads ausgebreitet. Mittlerweile umfasst er den Saturn vollständig und dehnt sich dabei vom 20. bis zum 50. nördlichen Breitengrad aus.
Unter anderem ergriff ein Wissenschaftlerteam unter der Leitung von Leigh N. Fletcher von der University of Oxford die bisher einmalige Gelegenheit, mittels der Beobachtung durch erdgebundene Großteleskope und den zusätzlich zur Verfügung stehenden Messdaten der Raumsonde Cassini, nähere Einblicke in die Entwicklung eines solchen Sturmes zu erhalten. Die Wissenschaftler benutzten für ihre Beobachtungen die Infrarotkamera VISIR am Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte (ESO) in Chile sowie die Beobachtungsdaten des Composite Infrared Spectrometer (CIRS), einem abbildenden Infrarotspektrometer an Bord von Cassini.
Die von diesem Instrument detektierte Wärmestrahlung erlaubt zum Beispiel Rückschlüsse auf die chemische Zusammensetzung der beobachteten Materie. Es war das erste Mal in der Geschichte der Saturnforschung, dass ein so großes und andauerndes Sturmgebiet mittels der Untersuchung der ausgehenden Infrarotstrahlung erforscht werden konnte. Dabei konnten die beteiligten Wissenschaftler wichtige Erkenntnisse über die im Inneren des Sturms vorherrschenden Bedingungen gewinnen und unter anderem die Temperaturen, die vorherrschenden Winde und die atmosphärische Zusammensetzung bestimmen.
„Diesmal hat die Störung auf der Nordhalbkugel des Saturn einen sehr groß ausfallenden, heftigen und komplexen Ausbruch von hell leuchtendem Wolkenmaterial erzeugt. Dieses hat sich mittlerweile so weit verteilt hat, dass es den gesamten Planeten umgibt”, so Leigh N. Fletcher. „Wir hatten die großartige Gelegenheit, den Sturm gleichzeitig mit dem VLT und mit Cassini beobachten zu können. Alle früheren Untersuchungen solcher Stürme haben ausschließlich das Sonnenlicht erfasst, welches vom Saturn reflektiert wird. Durch die Erfassung der Wärmestrahlung konnten wir diesmal viel tiefer in die Atmosphäre schauen und die gravierenden Temperaturveränderungen und Windgeschwindigkeiten des Sturms vermessen.“
Mit den Daten den beiden Instrumente konnte das Sturmgebiet im nahen und mittleren Infrarotbereich untersucht werden. Die Messdaten des CIRS-Spektrometers deckten dabei einen Wellenlängenbereich zwischen fünf und 200 Mikrometern ab. Die VLT-Beobachtungen beschränkten sich auf den Bereich zwischen sieben und 20 Mikrometer. In diesem Wellenlängenbereich lässt sich die Atmosphäre des Saturn in einem Druckbereich zwischen 70 Millibar und 3 Bar und somit wesentlich tiefer, als es im sichtbaren Licht möglich wäre, erforschen. Zudem erlauben die Daten auch die Erkundung der höhergelegenen Stratosphäre im Druckbereich zwischen 0,5 und 20 Millibar.
„Unsere Beobachtungen haben gezeigt, dass der gegenwärtig auftretende Sturm einen deutlich nachweisbaren Einfluss auf die gesamte Saturnatmosphäre ausübt. Energie wird freigesetzt und zusammen mit den Gasmassen über große Strecken transportiert. Dabei werden die normalerweise vorherrschenden Windströmungen verändert und es bilden sich windende Jetstreams und riesengroße Wirbel. Durch diesen Prozess wird auch die jahreszeitlich bedingte Entwicklung der Saturnatmosphäre gestört“, so Glenn Orton vom JPL, ein weiteres Mitglied des Teams, welches den Sturm in den vergangenen Monaten ausführlich untersucht hat.
Mit großer Wahrscheinlichkeit hatte der Sturm seinen Ursprung in den tiefer gelegenen Schichten des Saturnatmosphäre, welche sich mit einem Anteil von rund 93 Prozent hauptsächlich aus Wasserstoff zusammensetzen. Vergleichbar mit dem Verhalten der erwärmten Luft in einem beheizten Raum, welche nach oben aufsteigt, drängen auch auf dem Saturn wärmere Gasmassen aus den tiefer gelegenen Atmosphärenschichten nach oben und durchdringen dabei die sonst eher ruhigen Bereiche der äußeren Atmosphäre.
Die aufwallenden Gasmassen führen in den oberen Atmosphärenschichten zu einer deutlichen Temperaturänderung. Die dadurch auftretenden Störungen treten mit den vorherrschenden ostwärts und westwärts gerichteten Windströmungen in eine Wechselwirkung und werden dabei in die Länge gezogen. Das sich bildende Sturmgebiet setzt Energie frei, welche mit den zugehörigen Gasmassen um den gesamten Planeten transportiert wird. Durch diesen Prozess erfolgt eine Beeinflussung der in der Saturnatmosphäre auftretenden Jetstreams. Die auftretenden Wirbel sind sogar in kleineren Amateurfernrohren deutlich erkennbar.
Die großen erdgestützten Observatorien der Berufsastronomen, zum Beispiel die vier Einzelteleskope des Very Large Telescope (VLT) der ESO, können allerdings wesentlich mehr Details darstellen als die Teleskope der Hobbyastronomen. Für die Beobachtungen nutzte das Team um Leigh N. Fletcher die Infrarotkamera VISIR des VLT. Bei dem „VLT Imager and Spectrometer for the mid InfraRed“, so die vollständige Bezeichnung für dieses Instrument, handelt es sich um eine Kombination aus einer Kamera und einem Spektrometer für den mittleren Infrarotbereich.
„Glücklicherweise wurden uns von der ESO für den Beginn des Jahres 2011 sowieso Zeiten für Saturnbeobachtungen genehmigt. Diese Beobachtungen durften wir vorverlegen, um den Sturm nach seiner Entdeckung so schnell wie möglich beobachten zu können. Ein weiterer Glücksfall war, dass Cassinis CIRS-Instrument den Sturm zur selben Zeit ebenfalls beobachten konnte. Uns standen somit Bilder vom VLT und spektroskopische Daten von Cassini zur Verfügung, die wir miteinander vergleichen konnten“, so Leigh N. Fletcher.
Die Bilddaten von VISIR zeigten den beteiligten Wissenschaftlern einige nicht erwartete Phänomene. Eines davon wurde mit dem Namen „stratosphärische Leuchtfeuer“ belegt. Hierbei handelt es sich um starke Temperaturschwankungen in der Stratosphäre des Saturns. Sie befinden sich etwa 250 bis 300 Kilometer über der Wolkendecke der unteren Atmosphärenschichten und zeigen damit an, bis in welche großen Höhen die Auswirkungen des Sturmgebietes reichen. Die Temperatur in der Stratosphäre des Saturns beträgt während der gegenwärtigen Jahreszeit normalerweise etwa minus 130 Grad Celsius. Die Leuchtfeuer sind dagegen etwa 15 bis 20 Grad Celsius wärmer. In dem von der Sonne reflektierten sichtbaren Licht sind die stratosphärischen Leuchtfeuer nicht wahrnehmbar. Für VISIR können sie im mittleren Infrarotbereich dagegen stärker ausfallen als die gesamte restliche von Saturn ausgehende Abstrahlung. Da dieses Phänome noch nie zuvor beobachtet werden konnten, sind sich die Wissenschaftler bisher nicht sicher, ob die Leuchtfeuer regelmäßig bei solchen Stürmen auftreten oder ob es sich hierbei um einen speziellen Einzelfall handelt.
„Natürlich setzen wir unsere Beobachtungen dieses für unsere Generation wahrscheinlich einmaligen Ereignisses derzeit weiter fort“, so Leigh N. Fletcher zu der weiteren Vorgehensweise. Nach wie vor ist nämlich zum Beispiel unklar, warum solche Stürme auf dem Saturn nur während des nördlichen Frühlings auftreten. Eine mögliche Erklärung wäre die Äquatorneigung des Ringplaneten. Der Äquator des Saturn ist mit einem Wert von 26,73 Grad sehr stark gegenüber der Umlaufbahn geneigt. Dies hat zur Folge, dass auch die Effekte der Jahreszeiten sehr deutlich ausgeprägt sind. Es erscheint allerdings fraglich, ob dies für eine vollständige Erklärung der Bildung der Frühjahrsstürme ausreicht.
Ebenfalls ungewöhnlich ist, dass entsprechende Stürme anscheinend nicht auch während des Frühlings auf der südlichen Hemisphäre auftreten. Die Wissenschaftler vermuten, dass hierbei ein Zusammenhang mit dem veränderten Abstand des Saturns zur Sonne besteht. Aufgrund der relativ starken Exzentizität seiner Umlaufbahn fällt die Distanz zwischen dem Saturn und dem Zentralgestirn unseres Sonnensystems während des nördlichen Frühlings größer aus als während des südlichen Frühlings.
Ein weiteres Team, geleitet von Kevin Baines vom JPL, ist gegenwärtig damit beschäftigt, die Daten eines weiteren Instrumentes der Raumsonde Cassini auszuwerten. Durch eine erste Sichtung der Messdaten des Visual and Infrared Spectrometer (VIMS) kann bisher bestätigt werden, dass der aktuelle Sturm extrem heftig ausfällt und deutlich mehr Material aus den tieferen Atmosphärenschichten in die obere Atmosphäre befördert als alle zuvor beobachteten Sturmgebiete. Indikatoren dieser Luftvermischung sind unter anderem die registrierten Mengenanteile von Ammoniak, Azetylen und Phosphorwasserstoff. Die an den Untersuchungen beteiligten Wissenschaftler gehen davon aus, dass durch weitere Datenauswertungen schon bald ein noch aussagekräftigeres Gesamtbild gewonnen werden kann.
Die hier kurz vorgestellten Forschungsergebnisse von Fletcher et al. wurden am 19. Mai 2011 unter dem Titel „Thermal Structure and Dynamics of Saturn’s Northern Springtime Disturbance“ in der Fachzeitschrift Science publiziert.
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- Science (engl.)