Wissenschaftler rufen „Schiebung!“

Eine neue Studie scheint eine Erklärung für einen mysteriösen Aspekt des Kuiper-Gürtels, ein Gürtel aus eis-haltigen Objekten jenseits des Planeten Neptuns, zu liefern.

Ein Beitrag von Michael Aye. Quelle: Spacedaily, NASA.

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Künstlerische Darstellung des Kuiper-Gürtels .
Bild: Calvin J.Hamilton

Eine neue Studie von Forschern des Southwest Research Institute (SwRI) in Texas und des Observatoire de la Cote d’Azur (OCA) in Nizza will ein Problem der Entstehung des Kuiper-Gürtels lösen.

Der Kuiper-Gürtel ist eine Region des Sonnensystems, die sich außerhalb der Umlaufbahn von Neptun erstreckt. Er enthält Milliarden von eisigen Objekten mit Durchmessern von einigen Kilometern bis zu einigen tausend Kilometern, die so alt sind wie das Sonnensystem selbst.

Der Kuiper-Gürtelwurde 1992 entdeckt und seitdem wurden fast 1000 Objekte katalogisiert. In ihm werden mindestens 70.000 Objekte mit Durchmessern von mehr als 100 km vermutet. Außerdem glaubt man, dass dieser Gürtel die Quelle für die sogenannten kurz-periodischen Kometen darstellt, so wie die Oortsche Wolke außerhalb unseres Sonnensystems als Quelle für die lang-periodischen Kometen zu dienen scheint.
Bei der näheren Untersuchung dieser Struktur haben Astronomen ein Mysterium aufgedeckt. Wie bei der Theorie zur Planetenentstehung wird auch für die Kuiper-Gürtel Objekte vermutet, dass sich die größeren unter ihnen durch Kollision von kleineren Objekten gebildet haben, welche nach der Kollision zusammenhafteten. Aber damit diese Theorie auch in den entfernten Regionen des Neptuns funktioniert, müsste der Kuiper-Gürtel zehn Mal die Erdmasse enthalten.

Je weiter man von der Sonne aus nach außen geht, desto mehr Fläche bietet eine Scheibe. Um Kollisionsraten zu erzeugen, die zu einer Zusammenklumpung von Material führt, braucht man gemäß dieses einfachen geometrischen Flächen-Effekts mehr Masse, je weiter man sich vom Zentrum der Scheibe entfernt. Beobachtungen der Kuiper-Gürtel Region mit Teleskopen lassen jedoch vermuten, dass sich im Moment dort nur etwa ein Zehntel der Erdmasse oder weniger befindet.

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Größenvergleich des bisher größten 2002 entdeckten Kuiper-Gürtel -Objekts Quaoar mit anderen Objekten des Sonnensystems.
Bild: NASA and A. Feild (STSci)

Um dieses Puzzle zu lösen, haben Forscher in den letzten Jahren in theoretischen Modellen nach einem Weg gesucht, irgendwie 99 Prozent dieser vorhergesagten notwendigen Masse loszuwerden.

Aber Dr. Harold Lewison (SwRI) und Dr. Alessandro Morbidelli (OCA) beschreiben in ihrer jüngsten Forschungsarbeit „Formung des Kuiper-Gürtels durch Auswärts-Transport von Objekten während der Neptun Migration [lat.=Wanderung]“, dass der Kuiper-Gürtel vielleicht gar nicht so viel Masse verloren hat.

„Das Massen-Abbau Problem steckt nun seit einiger Zeit [wie ein Frosch] in unserem Hals“, sagt Levison, wissenschaftlicher Mitarbeiter im SwRI Space Studies Department. „Es sieht so aus, als ob wir endlich eine mögliche Antwort haben.“
Levison und Morbidelli argumentieren, dass die proto-planetare Scheibe (griechisch: proto = vor, vorher (zeitlich)), aus der sich die Planeten, Asteroiden und Kometen gebildet haben, eine bislang nicht vorausgesehene Kante an der gegenwärtigen Position Neptuns besaß, welcher sich bei 30 AE (Astronomische Einheit = etwa 150 Mill. Kilometer, die Entfernung von der Erde zur Sonne) befindet und dass die Region, in der sich gegenwärtig der Kuiper-Gürtelbefindet, früher leer war. Demnach hätten sich alle Objekte die wir heute im Gürtels jenseits von Neptun sehen, in viel kleinerer Entfernung zur Sonne gebildet und wurden in den Endstadien der Planetenentstehung nach außen transportiert.

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Position des Kuiper-Gürtel -Objekts 1998 WW 31
Bild: NASA and A. Feild (STSci)

Die Wissenschaftler wissen seit 20 Jahren, dass sich die Umlaufbahnen der Gasriesen (die äußeren Planeten Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun) bei ihrer Bildung laufend verschoben haben.
Insbesondere Uranus und Neptun haben sich in größerer Nähe zur Sonne gebildet und migrierten dann auswärts.
Levison und Morbidelli zeigen, dass Neptun bei dieser Migration alle bisher beobachteten [sprich die großen] Objekte des Kuiper-Gürtels mit nach außen geschoben haben könnte.

„Eigentlich haben wir das Massen-Abbau Problem nicht gelöst, sondern umgangen,“ sagt Levison. „Unserer Arbeit zufolge enthielt der Raum hinter Neptun wahrscheinlich vorher keine Objekte.“ Der Raum innerhalb 30 AE jedoch enthielt, diesem neuen Modell folgend, genügend Material um die Kuiper-GürtelObjekte zu formen. Die Mechanismen aber, die Neptun den Gürtel nach außen schieben liessen, wirkten nur auf einen kleinen Teil der Objekte.
Diese Objekte wurden die Gürtel-Objekte die den Astronomen heutzutage bekannt sind; der Rest wurde durch Neptun aus dem Sonnensystem hinausgestreut. Diese neue Theorie erklärt viele der beobachtbaren Eigenschaften des äußeren Sonnensystems, einschließlich der Charakeristiken der Umlaufbahnen von Kuiper-GürtelObjekten und der Position von Neptun.
„Einer der rätselhaften Aspekte von Neptuns Migration ist, warum sie dort aufgehört hat, wo sich Neptun jetzt befindet,“ sagt Morbidelli. „Unser neues Modell erklärt dies ebenfalls. Neptun migrierte, bis er die Kante in der proto-planetaren Scheibe traf, an dessen Punkt die Migration abrupt stoppte.“

Dieses neue Modell ist im Moment besonders interessant, da NASA mit ihrem New Horizons-Projekt bald eine Möglichkeit haben wird, Vorhersagen dieses Modells genauer zu testen und zu bestätigen (siehe „Verwandte Artikel“).
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