Astronomen gelang erstmals die Entdeckung eines Trojaner-Asteroiden am Lagrange-Punkt L5 des Neptun.
Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: Carnegie Institution for Science, Subaru-Teleskop, Minor Planet Center, Wikipedia. Vertont von Peter Rittinger.
Bei den Trojaner-Asteroiden handelt es sich um Asteroiden, welche einem Planeten auf dessen Bahn um die Sonne vorauseilen beziehungsweise folgen. Die Trojaner kreisen dabei um die 60 Grad vor beziehungsweise hinter dem Planeten gelegenen Lagrange-Punkte L4 und L5. Die Lagrange-Punkte, auch Librations-Punkte genannt, sind die nach dem italienischen Astronomen und Mathematiker Joseph-Louis Lagrange benannten Gleichgewichtspunkte des eingeschränkten Dreikörperproblems der Himmelsmechanik.
An diesen Punkten im Weltraum heben sich die Gravitationskräfte benachbarter Himmelskörper und die Zentrifugalkraft der Bewegung gegenseitig auf, so dass jeder der drei Körper (Sonne, Planet und Asteroid) in seinem Bezugssystem kräftefrei ist und bezüglich der anderen beiden Körper immer denselben Ort einnimmt. Auf diese Weise entstehen an den Lagrange-Punkten Zonen mit einem niedrigen Gravitationspotenzial. Drei der Lagrange-Punkte, nämlich L1, L2 und L3 sind dabei relativ unstabil, so dass bereits leichte gravitative Wechselwirkungen zu einem Entweichen von eventuell dort befindlichen Objekten führen können.
Die Punkte L4 und L5, welche sich 60 Grad vor beziehungsweise hinter dem Planeten befinden, sind dagegen stabil, so dass sich dort kleinere Himmelskörper sammeln und über einen unbegrenzt langen Zeitraum aufhalten können. Da die Trojaner-Asteroiden dabei genauso lange für einen Sonnenumlauf benötigen wie der Planet, dem sie folgen beziehungsweise vorauseilen, nähern sie sich diesem nie an und können daher auch nicht mit ihm kollidieren.
Bisher konnten in unserem Sonnensystem lediglich bei drei Planeten Trojaner-Asteroiden nachgewiesen werden. Das erste nachgewiesene Objekt dieser Klasse von Kleinkörpern in unserem Sonnensystem war der im Jahr 1906 von dem deutschen Astronomen Max Wolf in Heidelberg entdeckte Asteroid (588) Achilles, welcher die Sonne auf der Umlaufbahn des Jupiters umrundet. Derzeit sind den Astronomen 4.076 Jupiter-Trojaner bekannt, von denen sich 2.603 am Lagrange-Punkt L4 befinden und dem Riesenplaneten vorauslaufen. Weitere 1.473 Trojaner befinden sich am Lagrange-Punkt L5 und folgen dem Jupiter auf dessen Umlaufbahn um die Sonne (Stand vom Februar 2010).
Seit dem Jahr 1990 gelang der Nachweis von bisher vier Mars-Trojanern, wobei sich drei am Lagrange-Punkt L5 und einer am Lagrange-Punkt L4 befinden. Und auch der äußerste Planet unseres Sonnensystems, der Gasplanet Neptun wird von mehreren kleinen Himmelskörpern begleitet. Seit dem Jahr 2001 konnten auf dessen Umlaufbahn sechs Trojaner-Asteroiden nachgewiesen werden, welche sich alle am Lagrange-Punkt L4 aufhalten. Am Lagrange-Punkt L5 konnten dagegen keine Begleiter nachgewiesen werden. Auf der Suche nach nachlaufenden Neptun-Trojanern durchmusterten die Astronomen Scott S. Sheppard von der Carnegie Institution of Science in Washington/USA und Chadwick A. Trujillo vom Gemini-Observatorium auf Hawaii im Jahr 2008 den Himmelsbereich um den Lagrange-Punkt L5 des Neptun.
Dabei mussten die beiden Wissenschaftler, welche bereits drei der bisher bekannten Neptun-Trojaner entdeckt hatten, eine besondere Herausforderung bewältigen, denn gegenwärtig befindet sich dieser Punkt von der Erde aus betrachtet unmittelbar vor dem Zentrum unseres Milchstraßensystems mit Millionen von Hintergrundsternen. Mit diesen unzähligen Lichtpunkten im Sichtfeld der Teleskope ist es überaus schwierig, einen lichtschwachen Asteroiden auszumachen, welcher sich nur äußerst langsam gegenüber dem Sternenhintergrund bewegt. Die beiden Astronomen griffen daher bei ihren Beobachtungen zu einem Trick.
Für ihre Suche wählten die Astronomen mehrere Himmelsregionen im Bereich um den Lagrange-Punkt L5 aus, wo sich zwischen dem Zentrum unserer Heimatgalaxie und unserem Sonnensystem dichte Staubwolken befinden und so im sichtbaren Licht die meisten Hintergrundsterne ausblenden. In diesen Bereichen des Himmels begannen sie dann mit dem japanischen 8,2-Meter-Subaru-Teleskop auf dem Mauna Kea/Hawaii die Suche nach Neptun-Trojanern und wurden schließlich auch fündig. Die Entdeckung des neuen Trojaners, welcher mit der Bezeichnung 2008 LC18 versehen wurde, konnte anschließend durch weitere Beobachtungen mit den 6,5-Meter-Magellan-Teleskopen in Chile bestätigt werden.
„Wir schätzen, dass der neu entdeckte Neptun-Trojaner über einen Durchmesser von rund 100 Kilometern verfügt und dass sich etwa 150 weitere Trojaner mit einer vergleichbaren Größe am L5-Punkt befinden“, so Scott S. Sheppard. „Dies entspricht auch den Schätzungen bezüglich der Anzahl und Größe der Objekte auf dem Lagrange-Punkt L4. Somit wären die Neptun-Trojaner der 100-Kilometer-Klasse zahlreicher vertreten als vergleichbar große Objekte im Hauptasteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter.“
Dass bis zum jetzigen Zeitpunkt insgesamt lediglich sieben Neptun-Trojaner nachgewiesen werden konnten, so Scott S. Sheppard weiter, liegt in der großen Entfernung von 30 Astronomischen Einheiten – dies entspricht rund 4,5 Milliarden Kilometern – der geringen Größe der Objekte und der daraus resultierenden geringen Helligkeit der Trojaner begründet, wodurch diese lediglich mit den größten Teleskopen sichtbar werden.
Die Untersuchungen von Sheppard und Trujillo legen nahe, dass die Neptun-Trojaner in einer sehr frühen Phase unseres Sonnensystems an den beiden Lagrange-Punkten eingefangen wurden, als Neptun die Sonne noch auf einem Orbit umlief, welcher sich von dem jetzigen grundsätzlich unterscheidet. Eventuell war dabei ein langsamer und stetig ablaufender Migration-Prozess des Gasplaneten für die Ansammlung der Trojaner verantwortlich. In seiner Entstehungsphase stellte das Sonnensystem einen chaotischen Ort dar, wo sich Planeten und Planetesimale vielfach auf ungewöhnlichen Bahnen bewegten.
Erst mit der Zeit erreichten die Planeten ihre gegenwärtigen Umlaufbahnen um die Sonne. Die Untersuchung der verschiedenen Planeten-Trojaner und die Analyse von deren Umlaufbahnen hilft den Astronomen zu verstehen, wie sich unser Sonnensystem mit seinem Planeten einst gebildet hat und wie die Planeten ihre jetzigen Umlaufbahnen erreichten. Mit diesen Erkenntnissen lassen sich auch Rückschlüsse auf die Bildung von extrasolaren Planetensystemen ziehen.
Die Arbeit der beiden Astronomen wurde am 13. August 2010 in der Fachzeitschrift „Science“ veröffentlicht.
Fachzeitschrift Science: