Was Sie schon immer über das ISS-Leben wissen wollten

Am 22. Februar 2013 konnten über das Internet in Echtzeit Fragen an die drei englischsprachigen Besatzungsmitglieder der ISS gestellt werden. Eine Premiere für die NASA und damit Grund genug für eine Nachlese ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

Ein Beitrag von Roland Rischer. Quelle: NASA.

Die NASA hat den hohen Stellenwert einer umfassenden Öffentlichkeitsarbeit seit langem verinnerlicht. Nahezu ideal ist es, wenn man Astronauten in ihrem schwerelosen Arbeitsumfeld vor Kamera und Mikrofon hat. Aber auch auf der Erde wirken sie immer wieder ausgesprochen authentisch, wenn sie den Alltag im All schildern und den Anblick der Erde beschreiben. Die NASA hat nun erstmals neue Wege beschritten und weltweit zu einem Echtzeit-Gespräch mit den Astronauten der 34. ISS-Besatzung Kevin Ford (Kommandant, USA), Chris Hadfield (Flugingenieur, Kanada) und Tom Marshburn (Flugingenieur, USA) eingeladen. Daneben sind derzeit noch die russischen Flugingenieure Oleg Novitiskiy, Jewgeni Tarelkin und Roman Romanjenko an Bord. Eingebunden in die Übertragung (Aufzeichnung hier) waren nicht nur die drei englischsprachigen ISS-Mitglieder, sondern am Boden auch Nicole Stott (STS 128 und 133) und Ron Garan (STS 124 und ISS-Expedition 28). Die beiden sorgten nicht nur dafür, dass die Inanspruchnahme der aktuellen Besatzung sich auf eine halbe Stunde beschränkte. Sie waren auch so etwas wie eine Art Notfallreserve, falls die Verbindung zur ISS nicht so wie gewünscht funktioniert hätte.

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Die Astronauten Marshburn, Ford und Hadfield im Destiny-Labor vor der Kamera (v.l.n.r.)
(Bild: NASA)

Bei einer derartigen Veranstaltung ist es natürlich Glücksache, wer zum Zuge kommt. Die Live-Zuschaltungen aus Schulen beschränkten sich auf die USA. Zusätzlich kamen weltweit Fragen über die Systeme verschiedener Betreiber sozialer Netzwerke herein. Es konnte nur eine Frage gestellt werden. Ein Chat im Sinne eines entspannten Gesprächs, bei dem Ideen ohne jegliche Formalitäten wechselseitig ausgetauscht werden, war es dann doch nicht.

Angesichts eines bei ziemlich jung beginnenden Alters des Publikums war die Spanne der Fragen sehr groß. Eine gewisse Naivität tat der Sache dabei keinen Abbruch. Kinder stellen ja durchaus Fragen, die man auch als Erwachsener hat, aus intellektueller Eitelkeit heraus aber lieber für sich behält. Die NASA antwortet gerne auf solche Fragen, hat sie hier doch Gelegenheit, Dinge zu erklären, die im kommunikativen Alltag rund um die Eroberung des Weltraums irgendwie zu banal erscheinen. Dazu zählt beispielsweise die Frage, was passiert, wenn ein ISS-Astronaut eigentlich schnellstens im Krankenhaus auf einem OP-Tisch liegen müsste.

Die einleitende Frage war ein Klassiker. Was fasziniert oder überrascht denn da oben am meisten? Nicole Stott war absolut überzeugend und keineswegs pathetisch, als sie erklärte, dass der Anblick der Erde, das Blau des Planeten, das „schwarze Schwarz“ des Alls, die Sternschnuppen unter einem und die leuchtenden Städte bei Nacht trotz aller Vorbereitung überwältigend waren. Das müsse man auch in seinen Träumen verarbeiten. Nichts wirklich Neues, aber immer wieder faszinierend, wenn Weltraumfahrer davon berichten. Ron Garan ergänzte, ihm habe der von oben beobachtbare Wechsel der Jahreszeiten fast das Gefühl gegeben, bei der Erde handele es sich um einen lebenden, atmenden Organismus. Übereinstimmend erklären beide, dass für sie ein großer Traum in Erfüllung gegangen sei. Für Nicole Stott, Ron Garan und Kevin Ford war übrigens der Apollo-11-Flug ausschlaggebend für ihren Wunsch, ins Astronauten-Corps zu kommen.

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Katzen-Reflex als Demonstration zur Frage nach der Bewegung im All
(Bild: NASA, Google+)

Breiten Raum nahmen Fragen rund um die medizinischen Probleme des menschlichen Körpers in der Schwerelosigkeit ein. Unausgesprochen, aber erkennbar war hierbei das Publikumsinteresse an künftigen Langzeitmissionen im All. Stott und Garan erklärten den permanenten Kampf gegen Knochen- und Muskelschwund. Die Erkenntnisse seien auch nützlich für die Behandlung entsprechender Krankheiten auf der Erde. Das man nur rund sechs Monate an Bord der ISS bleibe, läge an der technischen Auslegung der Sojus-Raumschiffe. Der Mensch könnte bei entsprechendem Training für Muskel- und Knochenaufbau erheblich länger im All bleiben. Hinsichtlich der Strahlenbelastung sei die ISS wegen Nähe zur schützenden Erde kein Vorbild für weiter weg führende Expeditionen. Da bedürfe es noch weiterer Forschung. Der Tag-und-Nachtrhythmus werde an Bord durch ein spezielles Beleuchtungsprogramm hergestellt. Darüber hinaus wird mit permanenten Körpertemperaturmessungen der Tagesrhythmus der Astronauten analysiert, um Arbeits- und Erholungszeiten zu optimieren. Extrem wichtig für das Wohlbefinden seien die Kommunikationsmöglichkeiten mit Familie und Freunden auf der Erde. Hier sei man auf der ISS in einer vergleichsweise privilegierten Situation.

Die ISS-Besatzung wurde erst nach einer halben Stunde zugeschaltet. An sie ging die Frage, ob man sich in der Schwerlosigkeit auch ohne den Griff nach einem festen Gegenstand drehen könne. Als Demo wurde der Drehreflex einer fallenden Katze gezeigt. Spontan führte Tom Marshburn vor, dass es geht – mit katzen-ähnlichen Verrenkungen, aber erfolgreich. Offen blieb, ob dies nun dem Luftwiderstand in der Raumstation geschuldet war oder auch im luftleeren Raum funktionieren würde. Man wagt sich die Übung im Raumanzug kaum vorzustellen.

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Der Beweis – Tom Marshburn dreht sich ohne Anpacken annähernd mit der Eleganz einer Katze
(Bild: NASA)

Und wie empfand man den Kommunikationsausfall vor ein paar Tagen? Das sei nichts Besonderes gewesen, so Chris Hadfield. Die Raumstation sei sehr robust. Das Team an Bord und die Spezialisten am Boden hätten professionell zusammengearbeitet, ganz so, wie es für vergleichbare Situationen trainiert wurde, mit Erfolg.

Welchen historischen Wissenschaftler würde man gerne mit ins All nehmen? Galileo, Kepler …? Tom Marshburn durfte Antworten. Er würde Isaac Newton einladen, weil man an Bord der ISS täglich sehen und erleben könne, was er sich nur vorstellen konnte.

Welches sind die Herausforderungen beim Fotografieren an Bord? Das sei eine sehr komplexe Angelegenheit, so Hadfield. Zu Glück werde man mit Tipps und Tricks professioneller Fotografen am Boden versorgt. Der Helligkeitskontrast zwischen dem schwarzen All und der Erde, insbesondere der weißen Wolken, stelle jeden Amateur vor ein Problem. Von Vorteil sei, dass selbst größte Objektive nichts wiegen. Davon könne jeder Fotograf auf der Erde nur träumen.

Und dann die Frage nach dem medizinischen Notfall. An Bord gebe es immer zwei medizinisch ausgebildete Besatzungsmitglieder und mehrere medizinische Notfallpakete. Daneben stünden am Boden ständig Ärzte für Diagnose und Instruktionen zur Verfügung. Dies solle sicherstellen, dass eine erkrankte oder verunglückte Person 24 Stunden am Leben erhalten werden kann. Wenn es richtig ernst werde, bliebe nichts anderes übrig, als den Patienten an Bord eines der Sojus-Raumschiffe zu bringen und zur Erde zurückzufliegen.

Damit war der Live-Chat mit der ISS beendet. An die beiden vom Boden aus teilnehmenden Astronauten gingen weitere Fragen, so etwa, wie man die Raumstation noch verbessern könnte. Nicole Stott wünscht, dass sich die Besatzungsmitglieder mehr um die wissenschaftlichen Experimente kümmern können. Da gebe es noch viel Verbesserungspotenzial. Ron Garan erläutert die zentrale Rolle der Robotik in und außerhalb der Station. Der Robotereinsatz könnte noch ausgebaut werden. So wäre es sinnvoll, für Außeneinsätze langfristig Roboter vorzusehen. R2D2 lässt grüßen.

Die Schlussfrage knüpfte wieder an die Eingangsfrage an. Was war der erste Eindruck, wenn man nach einem langen Weltraumaufenthalt wieder auf der Erde ist. Für Ron Garan war es das Gefühl, wieder in der Heimat zu sein, auch wenn dies bei seiner letzten Landung die kasachische Steppe war, die er durch das Fenster sah. Der Weltraumaufenthalt relativierte für ihn den Heimatbegriff. Nicole Stott wurde nachdenklich wie eingangs. Es sei die frische, erdige Luft gewesen, die sie nach Landung und Öffnung der Luken noch im Space Shuttle wahrgenommen habe. Daran könne sie sich nachhaltig erinnern. Und danach, fügt sie hinzu, fühlte sie sich die ersten zwei Tage einfach nur schwer. Man könnte auch sagen, sie war nach der ganzen Euphorie dort oben einfach nur wieder geerdet.

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