Warum existieren kaum Krater auf dem Titan?

Auf dem Saturnmond Titan wurden bisher nur sehr wenige Impaktkrater entdeckt. Der Grund für die somit relativ jung erscheinende Oberfläche dieses Mondes besteht laut einer neuen Studie darin, dass die dortigen Krater im Rahmen eines kontinuierlich ablaufenden Erosionsprozesses durch Sandablagerungen verfüllt werden.

Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: JPL.

NASA, JPL-Caltech
Eine mit dem RADAR-Instrument der Raumsonde Cassini angefertigte Aufnahme eines im Jahr 2011 entdeckten Kraters auf dem Titan.
(Bild: NASA, JPL-Caltech, ASI)

Auf der Oberfläche des größten der bisher 62 bekannten Saturnmonde, dem etwa 5.150 Kilometer durchmessenden Mond Titan, sind durch die Einschläge von Asteroiden und Kometen entstandene Impaktkrater nur sehr selten anzutreffen. Im Gegensatz zu anderen Monden in unserem Sonnensystem, deren Oberflächen teilweise mit tausenden von Einschlagskratern übersät sind, konnten auf dem Titan bisher lediglich wenige Dutzend Impaktkrater von den Planetenforschern zweifelsfrei bestätigt werden.

Normalerweise schätzen Planetenforscher das Alter einer Oberfläche durch die Zählung und Vermessung der dort befindlichen Impaktkrater. Je mehr Krater dort erkennbar sind, desto älter ist diese Oberfläche in der Regel. Wenn jedoch Prozesse wie regelmäßig erfolgende Niederschläge, Winderosion oder wandernde Sanddünen die Oberfläche eines Planeten oder Mondes kontinuierlich umformen, so kann es geschehen, dass die Oberfläche viel jünger – weil ärmer an Kratern – erscheint als dies tatsächlich der Fall ist.

„Die meisten der Saturnmonde – sozusagen die Geschwister des Titan – weisen auf ihren Oberflächen Tausende und Abertausende von Kratern auf. Bisher haben wir auf den 50 Prozent der Oberfläche, welche wir mit einer hohen Auflösung abbilden konnten, jedoch nur etwa 60 Krater entdeckt“, so Catherine D. Neish vom Goddard Space Flight Center der NASA in Greenbelt/Maryland.

Einer der Gründe für diesen „Krater-Mangel“ ist zweifelsfrei die dichte Atmosphäre, welche den Titan umgibt. Beim Durchqueren dieser mehrere hundert Kilometer in die Höhe ragenden Hülle aus Stickstoff, Argon und verschiedenen Kohlenwasserstoffverbindungen zerbersten und verglühen viele der in die Atmosphäre eintretenden Objekte noch bevor sie die Oberfläche erreichen.

Damit alleine lässt sich die geringe Anzahl der Impaktkrater auf dem Titan jedoch nicht erklären. Vielmehr müssen auf dem Titan Kräfte wirken, welche die dortigen Krater erodieren lassen und der Mondoberfläche dadurch ein „jüngeres Aussehen“ verleihen. „Es ist durchaus möglich, dass auf dem Titan viel mehr Krater existieren, welche wir aber aufgrund eines fortgeschrittenen Erosionsprozesses nicht vom Weltraum aus erkennen können“, so Catherine D. Neish.

NASA, JPL-Caltech, ASI, GSFC
Zwei Krater auf dem Titan. Der Krater Sinlap (links) ist kaum mit Sand verfüllt und weist eine ähnliche Tiefe auf wie vergleichbare Krater auf dem Jupitermond Ganymed. Der Krater Soi (rechts) ist dagegen bereits weitgehend mit Sand aufgefüllt.
(Bild: NASA, JPL-Caltech, ASI, GSFC)

In einer neuen Studie hat ein Team aus Wissenschaftlern jetzt untersucht, welche auf dem Titan ablaufenden Prozesse für die Umwandlung der dortigen Oberfläche verantwortlich sind. Für diese Arbeit nutzte das von Catherine D. Neish geleitete Team Radarbilder und andere Daten, welche im Laufe der letzten Jahre durch die Raumsonde Cassini gesammelt wurden und die den Saturn und seine Monde bereits seit dem Sommer 2004 ausführlich mit 12 wissenschaftlichen Instrumenten untersucht.

Im Rahmen ihrer Forschungen verglichen die Wissenschaftler die Krater auf der Titanoberfläche mit Impaktstrukturen auf dem nur geringfügig größeren Jupitermond Ganymed. Im Gegensatz zum Titan verfügt Ganymed über keine Atmosphäre, welche die Krater verändern könnte. Beim Vergleichen der Verhältnisse der Kraterdurchmesser zu ihrer jeweiligen Tiefe zeigte sich, dass die Krater auf dem Titan in der Regel wesentlich flacher ausfallen als auf Ganymed. Im Durchschnitt beträgt dieser Unterschied mehrere hundert Meter. Dies wird als ein sicheres Indiz dafür interpretiert, dass die Krater auf der Titanoberfläche nach ihrer Entstehung mit Sand verfüllt werden. Diese Verfüllung hat wiederrum zur Folge, dass viele der Krater auf dem Titan aufgrund ihrer sich so ergebenden flachen Erscheinungsform auf den Radaraufnahmen der Raumsonde nicht mehr ausgemacht werden können.

Welchen Einfluss übt dabei die Atmosphäre aus?
Die Wissenschaftler haben auch untersucht, inwieweit die Atmosphäre des Titan für dessen Oberflächengestaltung verantwortlich ist. Der Titan ist der einzige Mond im Sonnensystem, welcher von einer dichten Atmosphäre umgeben ist, auf dessen Oberfläche ausgedehnte Seen und Meere existieren und auf dem ein regelrechter Flüssigkeitskreislauf stattfindet (Raumfahrer.net berichtete).

Die Atmosphäre des Titan, welche deutlich dichter ausfällt als die irdische Atmosphäre, besteht hauptsächlich aus Stickstoff, welcher dort mit einem Anteil von rund 98 Prozent vertreten ist. Neben dem Edelgas Argon sind zudem Spuren von Methan, Ethan und weitere komplexe Kohlenwasserstoffverbindungen enthalten.

NASA, JPL-Caltech, Space Science Institute
Der Saturn und sein größter Mond, der von einer dichten, orangefarbenen Atmosphäre umgebene Titan. Diese Aufnahme wurde von der Raumsonde Cassini am 21. Mai 2011 aus einer Entfernung von rund 2,3 Millionen Kilometern zum Titan angefertigt.
(Bild: NASA, JPL-Caltech, Space Science Institute)

Da der Titan jedoch über kein nennenswertes Magnetfeld verfügt, ist speziell die äußerste Schicht seiner Atmosphäre einem ständigen Bombardement durch die von der Sonne ausgehenden ultravioletten Strahlung ausgesetzt. Dies hat zur Folge, dass das in der Titanatmosphäre enthaltene Methan nicht über längere Zeiträume hinweg stabil ist. Vielmehr werden die Moleküle im Laufe der Zeit durch die energiereiche Sonnenstrahlung in einzelne Bruchstücke aufgespalten. Diese Bruchstücke gehen mit anderen Molekülen neue Bindungen ein und „verschmelzen“ dabei teilweise zu größeren und zugleich massereicheren Molekülen.

Schließlich formen sich aus diesen Molekülen feste Aerosole, welche für die charakteristische, orangefarbene Dunstschicht verantwortlich sind, die den Titan umspannt. Letztendlich werden die Partikel so massereich, dass sie langsam auf die Oberfläche des Mondes herabrieseln – vereinfacht gesagt „regnet“ es praktisch Staub. Einmal auf der Titanoberfläche angekommen verklumpen diese Staubpartikel zu feinen Sandkörnern, welche anschließend von den auf der Oberfläche vorherrschenden Windströmungen über die gesamte Mondoberfläche verteilt werden. Dabei lagern sich der Sand auch im Inneren der Impaktkrater ab und füllt diese langsam.

„Da der Sand anscheinend durch das in der Atmosphäre vorhandene Methan erzeugt wird muss dieses Methan bereits seit mindestens mehreren hundert Millionen Jahren in der dortigen Atmosphäre präsent sein“, so Catherine D. Neish. „Anderenfalls könnten die Krater nicht in dem Maße mit Sand verfüllt sein wie wir es beobachtet haben.“

Allerdings sollte das derzeit in der Titanatmosphäre befindliche Methan unter der Einwirkung der Sonnenstrahlung innerhalb von mehreren Millionen Jahren komplett zersetzt werden. Entweder, so die Wissenschaftler, verfügte die Titanatmosphäre in der Vergangenheit über einen deutlich höheren Methananteil, oder aber es existiert eine bisher nicht bekannte Quelle, durch welche der Titanatmosphäre ständig neues Methan zugeführt wird. Die Herkunft des in der Titanatmosphäre enthaltenen Methans stellt für die Wissenschaftler allerdings ganz generell immer noch ein Rätsel dar.

NASA, JPL-Caltech, ASI
Der Krater Ksa auf dem Titan. Dieses Radarbild wurde am 7. September 2006 angefertigt und erreicht eine Auflösung von etwa 500 Metern pro Pixel.
(Bild: NASA, JPL-Caltech, ASI)

Andere Prozesse?
Im Rahmen ihrer Studie analysierten die Wissenschaftler deshalb auch andere Prozesse, welche ebenfalls für eine Verfüllung der Impaktkrater auf dem Titan verantwortlich sein könnten. Eine hierfür in Frage kommende Möglichkeit wäre ein langsames „Fließen“ der Eiskruste, auf der sich die Krater befinden. Tatsächlich besteht die Kruste des Titan hauptsächlich aus Wassereis. Allerdings sind die Temperaturen auf der Oberfläche des Titan so niedrig (etwa minus 180 Grad Celsius), dass sich das Wassereis dort wie ein festes Gestein verhält und auch über Zeiträume von vielen Millionen Jahre hinweg kaum fließen würde. Auch würde eine Deformation der Oberfläche durch fließendes Eis andere Spuren hinterlassen als zu beobachten ist.

Eine weitere in Erwägung gezogene Möglichkeit ist eine Erosion der Krater, welche durch Flüssigkeiten ausgelöst wird. Über die Titanoberfläche fließende Bäche aus Methan und Ethan könnten ganz ähnliche Effekte erzielen wie die auf der Erde stattfindende Erosion durch Wasser. Allerdings würden solche durch Flüssigkeiten ausgelöste Verwitterungsprozesse die Krater zunächst rasch mit Sand und Geröll auffüllen. Sobald die Kraterränder jedoch weitgehend abgetragen sind, wodurch sich auch die Form der Krater ändert, geht die Verfüllung nur noch relativ langsam vonstatten. Deshalb müsste sich auf dem Titan eine Vielzahl von lediglich teilweise verfüllten Kratern befinden, welche über stark erodierte Ränder und in etwa über den gleichen Füllstand verfügen.

„Dies ist jedoch nicht der Fall“, so Catherine D. Neish. „Stattdessen sehen wir Krater in allen Stufen der Verwitterung. Einige sind fast gar nicht mit Ablagerungen verfüllt, andere sind zur Hälfte aufgefüllt und wieder andere sind fast vollständig mit Ablagerungen bedeckt. Diese Beobachtung legt nahe, dass die Verfüllung der Krater durch eine durch Wind ausgelöste Verfrachtung des Sandes erfolgt, durch welche die Krater [nach ihrer Entstehung] in einer konstanten Rate verfüllt werden.“

NASA, JPL-Caltech, ASI
Diese Radaraufnahme eines etwa 440 Kilometer durchmessenden Impaktbeckens auf dem Titan wurde am 15. Februar 2005 angefertigt. Es handelt sich hierbei um die erste Impaktstruktur, welche auf dem Titan zweifelsfrei nachgewiesen werden konnte.
(Bild: NASA, JPL-Caltech, ASI)

Somit erscheint ein äolischer Transport als die wahrscheinlichste Erklärung dafür, dass die Wissenschaftler in den letzten Jahren kaum Impaktkrater auf der Oberfläche des Titan nachweisen konnten. Die Krater werden im Laufe der Jahrmillionen in einem immer weiter zunehmenden Umfang von Sandablagerungen, welche ihren Ursprung in der Titanatmosphäre haben, überdeckt und sind schließlich nicht mehr von ihrer Umgebung zu unterscheiden. Weitere erosive Prozesse könnten dabei jedoch durchaus ihren Teil zu der „Verjüngungskur“ für die Titanoberfläche beitragen.

Somit präsentiert sich der Titan als der einzige bisher bekannte Ort im äußeren Bereich unseres Sonnensystems, an dem ein umfangreicher Austausch zwischen der Atmosphäre und der Oberfläche stattfindet. Ein Fachartikel, welcher sich näher mit der Untersuchung der Impaktkrater auf dem Titan auseinandersetzt, wurde von den an der Studie beteiligten Wissenschaftlern kürzlich unter dem Titel „Crater topography on Titan: Implication for landscape evolution“ in der Fachzeitschrift Icarus publiziert.

Die Mission Cassini-Huygens ist ein Gemeinschaftsprojekt der US-amerikanischen Weltraumbehörde NASA, der europäischen Weltraumagentur ESA und der italienischen Weltraumagentur ASI. Das Jet Propulsion Laboratory (JPL) der NASA in Pasadena/Kalifornien, eine Abteilung des California Institute of Technology (Caltech), leitet die Mission im Auftrag des Direktorats für wissenschaftliche Missionen der NASA in Washington, DC. Nach dem derzeitigen Planungsstand soll Cassini den Saturn und seine Monde noch bis zum Jahr 2017 erkunden und am 15. September 2017 aufgrund des dann nahezu komplett aufgebrauchten Treibstoffvorrates kontrolliert in der Atmosphäre des Ringplaneten zum Absturz gebracht werden.

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