Charles Conrad und Alan Bean landeten in der Nähe einer ausgedienten Mondsonde und statteten ihr einen Besuch ab wie Touristen einem Denkmal.
Ein Beitrag von Axel Orth.
Stell‘ dir vor, du fliegst zum Mars und trittst hinaus auf die düstere, rötliche Ebene. Du fühlst dich so leicht, musst in der um zwei Drittel verringerten Schwerkraft bei jedem Schritt achtgeben, nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Du gehst mit deinen Kameraden zu einem Ort, wo schon vor langer Zeit ein Marsroboter sein Ende fand. Vielleicht steht er einfach nur da, seit Jahrzehnten erstarrt. Vielleicht haben auch seine Erbauer ein letztes gewagtes Manöver in seinen Computer übertragen und jetzt liegen seine Überreste am Fuß einer Klippe verstreut, halb vom Sand begraben…
Zu einer solchen Szene könnte es in einigen Jahrzehnten durchaus kommen, wenn bis dahin die technischen und menschlichen Probleme eines bemannten Marsflugs gelöst sind. Neu wäre eine solche Szene aber keineswegs. Denn sie hat sich so ähnlich schon einmal zugetragen – auf dem Mond.
Vor 35 Jahren begann dort, bei 3,01239 Grad südlicher Breite und 23,42157 Grad westlicher Länge der feine Puderstaub, sich zu erheben. Er flog empor und verschleierte den Horizont. Die Mondlandefähre Intrepid setzte auf und brachte zwei weitere Menschen auf die Oberfläche einer fremden Welt. Es war 1:54 Uhr und 35 Sekunden am 19. November des Jahres 1969.
Der Apollo-12-Kommandant Charles „Pete“ Conrad und der Pilot Alan Bean würden mehr als 31 Stunden auf dem Mond verbringen, während über ihnen, im Orbit, ihr Mannschaftsgefährte Dick Gordon im Kommandomodul Yankee Clipper wartete.
Durchaus ein bemerkenswertes historisches Ereignis, war es doch nicht das erste Mal, dass heiße Verbrennungsgase an diesem Ort Mondstaub aufgewirbelt hatten. Fast zweieinhalb Jahre zuvor hatte schon ein anderes Raumschiff die Reise von der Erde zum „Meer der Stürme“ hinter sich gebracht. Aber es hatte keine Astronauten getragen.
Denn diese Robotsonde, Surveyor 3, war eine von vielen gewesen, die die NASA eingesetzt hatte, um Conrad, Bean, und den anderen Astronauten des Programms Apollo überhaupt erst den Weg zu bereiten. Und wenn auch seine Batterien schon lange erschöpft waren, seine Antenne schon lange stumm und seine Kamera schon lange blind, war der alte Surveyor nun wieder Teil der Erforschung des Weltraums, ein Vorposten der äußersten Grenze der Menschheit.
„Neil und Buzz leisteten ganze Arbeit mit Apollo 11, aber sie brauchten über sechs Kilometer, um zu landen“, sagte Conrad 1997 in einem Interview (er starb 1999 an den Verletzungen, die er sich bei einem Motorradunfall zugezogen hatte). „Um die Dinge zu tun, die die Jungs von der Wissenschaft auf dem Mond getan haben wollten, eine Menge davon nahe an den Bergen und so, musstest du zeigen, dass du einen bestimmten Fleck aus einer halben Million Kilometer Entfernung anpeilen und darauf landen konntest. Der Surveyor schien ein gutes Ziel dafür zu sein.“
Neil Armstrong und Edwin „Buzz“ Aldrin waren ihre Vorgänger gewesen, die beiden Astronauten von Apollo 11. Armstrong hatte, als er als erster den Mond betrat, den heute legendären Satz gesagt: „Dies ist ein kleiner Schritt für einen Menschen, aber ein großer Sprung für die Menschheit.“
Das Surveyor-Programm (deutsch „Landvermesser“) hatte aus sieben robotischen Mondmissionen bestanden, die zwischen Mai 1966 und Januar 1968 gestartet wurden und am Jet Propulsion Laboratory (JPL) der NASA gemanagt wurden. Fünf der sieben Surveyors legten erfolgreich eine weiche Landung auf der Mondoberfläche hin und demonstrierten damit die grundsätzliche Möglichkeit, überhaupt auf der Mondoberfläche zu landen, statt sofort metertief im Mondstaub zu versinken wie ein Kamel im Wüstentreibsand, was damals die eine der größten Sorgen der Wissenschaftler war. Sie testeten die Eigenschaften des Mondbodens und sendeten insgesamt über 86.000 Bilder zur Erde. Die einfacheren Ranger-Vorgängersonden waren noch alle „hart gelandet“, also ungebremst auf den Mond gestürzt. Wenn sie überhaupt bis zum Mond gekommen waren, denn seine spätere Perfektion musste das JPL damals erst lernen.
Während ihres Abstiegs zur Oberfläche identifizierten Conrad und Bean eine Formation aus fünf Kratern namens „Schneemann“, von der die NASA-Navigatoren zwar sicher waren, dass dort die Surveyor-Sonde stand, aber kein Astronaut hatte den als Aluminiumgestell gebauten Mondroboter auf seinen drei Beinen bisher gesichtet. Nun, fünfeinhalb Stunden nach der Landung, klangen Charles Conrads aufgeregte erste Worte von der Oberfläche aus den Lautsprechern im Mission-Control-Raum: „Woow!! Mann, das war vielleicht ein kleiner für Neil, aber es ist ein langer für mich!“ Und nur Momente später stieß Conrad einen hohen Schrei aus – Surveyor 3 stand kaum mehr als 150 Meter weit weg.
„Der Surveyor war genau da, stand in einem Winkel in diesem Krater“, sagte Conrad. „Aber wir hatten jede Menge anderes Zeug zu tun und mussten bis zu unserem zweiten Mondausflug warten, bis wir mal einen Blick drauf werfen konnten.“
Zwei Stunden nachdem dieser zweite Ausflug begonnen hatte, bewältigten Conrad und Bean den 13-Grad-Hang des „Surveyor-Kraters“ und bewegten sich in Richtung des einzigen von Menschen gemachten und auf dem Mond zurück gelassenen Gegenstandes, der je erneut von Menschen aufgesucht wurde. Surveyor 3 war 1967 auf dem Mond fünfzehn Tage lang aktiv gewesen. Conrad und Bean verbrachten weniger als eine Stunde bei der Raumsonde.
Die beiden Mondgänger benahmen sich wie rüpelhafte Touristen bei einem ehrwürdigen Denkmal – natürlich mit voller Billigung der NASA -, indem sie alles fotografierten, was sie interessierte und mit der Sonde umgingen, als sei sie ihr Eigentum. Sie hackten einige Souvenirs von dem zwei Meter hohen Aufbau von Surveyor, unter anderem seine TV-Kamera und sein Grabwerkzeug, und wühlten und gruben im Boden rund um die Raumsonde. Conrad rüttelte an der Sonde, um ihre Standsicherheit zu testen. Zwar hatte sie eine Masse von gut 300 Kilogramm, wog auf dem Mond aber nur so viel wie 50 kg auf der Erde.
Conrad und Bean hatten während ihres Rendezvous‘ mit dem Roboter noch etwas anderes im Sinn. Diesmal nicht mit voller Billigung der NASA, aber sie waren sicher, dass es sie auf die Titelseite des „Life“-Magazins bringen würde.
„Nach dem Flug würden die Jungs von der Öffentlichkeitsarbeit die Filme durchgucken und die interessantesten Bilder für die Presse frei geben“, sagte Conrad. „Ich versteckte also am Starttag diesen Zeitauslöser für Hasselblad-Kameras, wie wir sie benutzten, in meinem Raumanzug, so dass niemand wusste, dass ich ihn hatte. Und ich nahm ihn den ganzen Weg zum Mond mit. Unser Plan war, dass wir beide uns zusammen vor den Surveyor stellen und davon ein Bild machen wollten. Wir wussten, dass sie es nehmen würden, und bestimmt würde jemand fragen ‚Und wer hat das Foto gemacht?‘.“
Aber Conrad und Bean nahmen den Selbstauslöser zu der Surveyor-Landestelle in einer Tasche mit, die, als sie bei der Raumsonde ankamen, schon überquoll von Steinen und anderen Proben. Das Duo hatte niemanden in den Gag einweihen wollen, für den Fall, dass es nicht funktionierte.
„Jetzt sind wir also da und tun für die anderen so, als ob wir uns unterhalten und versuchen, dieses Ding zu finden. Al versucht, die Steine und alles zu halten, während ich in der Tasche herum grabe.“ Und als Conrad und Bean den Auslöser endlich fanden, waren sie fast am Ende ihres zweiten und letzten Mondausflugs und schon weit weg von dem Surveyor.
Bean nahm das kleine Gerät und warf es weg, schleuderte es so weit wie er konnte. Bis heute liegt da irgendwo im Meer der Stürme, bei 3,01239 Grad südlicher Breite und 23,42157 Grad westlicher Länge, ein mechanischer Selbstauslöser der Marke Hasselblad.
Auch wenn die Apollo 12-Mondspaziergänger ihr preiswürdiges Überraschungsbild am Ende nicht heim bringen konnten, schaffte es doch ein anderes Bild der Mission auf das Titelbild von „Life“. Und ihre Bilder von einem Astronauten in einem Raumanzug, der auf einer fremden Welt einem Roboter die Hand zu reichen scheint, sind noch heute ein bewegendes Porträt und inspirieren zu einer Vision, wie bemannte und unbemannte Missionen Hand in Hand zusammen arbeiten und der Menschheit die Möglichkeit geben können, den Weltraum zu erforschen.