Nach acht Jahren im Venus-Orbit hat die ESA-Sonde Venus Express (VEX) ihren wissenschaftlichen Auftrag grundsätzlich erfüllt. Zum Missionsende soll Venus Express neben dem Pflichtprogramm noch etwas Bonusmaterial liefern. Dazu gehören autonom geflogene Aerobrake-Manöver und, wenn die Sonde das überlebt, noch einige Monate mit wissenschaftlichen Untersuchungen des Planeten. Spätestens Ende 2014 sollen die letzten Treibstoffvorräte aufgebraucht sein und die Sonde abstürzen.
Ein Beitrag von Roland Rischer. Quelle: ESA, ESA-Blog, Raumcon.
Venus Express umkreist den zweiten Planeten in gegenwärtig 24 Stunden auf einer hochelliptischen Umlaufbahn. Der Venus-fernste Punkt des Orbits ist mit rund 66.000 Kilometer über dem Südpol erreicht. Der Venus am nächsten (Perizentrum) ist über dem Nordpol. Die noch unter „Routine“ fallenden Überflüge des Nordpols fanden in mindestens 190 Kilometer Höhe statt. Die nun anstehenden Atmosphärenbremsmanöver bringen beim European Space Operation Center in Darmstadt nochmal etwas Spannung ins Programm. Mit dem programmieren des Aerobrake-Flugmodus hat man bereits vor Monaten begonnen. Seit 20. Mai 2014 läuft die engere Vorbereitungsphase. Im Rahmen dieses „walk-in“ senkt man das Perizentrum schrittweise und testet die programmierten Aerobrake-Einstellungen zunächst in unproblematischen Höhen. Ab 18. Juni 2014 beginnen die eigentlichen Atmosphärenbremsversuche. Sie laufen, wenn alles gut geht, bis 11. Juli 2014. Begrenzt wird der Zeitraum durch die zu Ende gehenden Treibstoffvorräte. Sie sollen zwar dafür ausreichen, die Berechnungen sind aber durch erhebliche Unsicherheit geprägt.
Venus Express wird ab 18. Juni bei jedem Umlauf immer tiefer in die Venus-Atmosphäre eintauchen, von anfänglich 197 Kilometer bis hinab auf 130 Kilometer. Die Sonde wird dabei in begrenztem Maße Messungen durchführen. So soll die Atmosphärenzusammensetzung analysiert und Daten über das Magnetfeld, den Sonnenwind, die Temperaturen und den Atmosphärenwiderstand aufgezeichnet werden. Für Planetenforscher ist das eine fast einmalige Gelegenheit, weitere Erkenntnisse über die Zusammensetzung der oberen Atmosphärenschichten der Venus zu erlangen. Die Flugingenieure versprechen sich wichtige Erfahrungswerte zum Flugverhalten einer derartigen Sonde in einer im Vergleich zur Erde höchst andersartigen Atmosphäre. Diese könnten in das Design künftiger Missionen einfließen, denn eine Atmosphärenbremsung reduziert die für Bremsmanöver mitzuführenden Treibstoffvorräte. Venus Express bietet die seltene Möglichkeit, Programme für einen autonomen Flug in den hohen Atmosphärenschichten fremder Himmelskörper zu testen und die Unsicherheitsfaktoren einzugrenzen.
Während eines jeden Aerobraking-Manövers wird die Sonde so ausgerichtet, dass sie und ihre Solarpaneele einen möglichst hohen Luftwiderstand erzeugen (ESA-Video hier). Das bedeutet auf der anderen Seite, dass die Antenne nicht auf die Erde gerichtet und eine Kommunikation nicht möglich ist. Doch auch aufgrund der Entfernung zur Erde (momentan 164 Millionen Kilometer) und entsprechenden Signallaufzeiten muss sich die Sonde in jeder Situation selbstständig steuern können. Ganz unvorbereitet ging man beim ESOC nicht die jetzigen Aerobrake-Versuche. Im Rahmen einzelner Umläufe führte man Venus Express in den letzten Jahren auch schon mal unter die Sicherheitsgrenze von 175 Kilometer bis auf 165 Kilometer hinunter, um die auf die Sonde wirkenden Kräfte und ihr „Flugverhalten“ zu messen. Senkt man nun das Perizentrum noch weiter auf 130 Kilometer oder sogar noch darunter, erfordert dies laut Adam Williams, Venus Express Operations Manager am ESOC, eine spezielle und äußerst vorsichtige Flugkontrolle. Ob jedes der jeweiligen Aerobrake-Manöver gelingt, sei dabei keinesfalls gewiss und erst mit Zeitverzögerung feststellbar. Rund zwei Stunden nach jedem Aerobrake werden die gewonnenen Flugdaten über die Bodenstation Cerberos in Spanien abgerufen. Erst dann wird der Zustand von Venus Express klar sein.
Williams sieht eine nicht geringe Wahrscheinlichkeit, dass der verbliebene Treibstoff aufgrund unvorhergesehener, aber notwendiger Steuerbefehle vorzeitig zu Ende geht oder die Sonde aufgrund der auftretenden Reibungshitze und einer an die Grenzen angekommenen elektrischen Energieversorgung das Aerobraking nicht überlebt. Ein solches Manöver beanspruche die Batterien ganz erheblich. Letztendlich könnten Schäden an der Hochgewinn-(High-Gain-)Antenne die Kommunikation mit dem ESOC unmöglich machen.
Sollte Venus Express die Versuche bis zum 11. Juli 2014 ohne gravierende Schäden überstehen und noch Treibstoff vorhanden sein, wird sie wieder auf eine höhere Umlaufbahn gebracht und kann dort ihr wissenschaftliches Programm fortsetzen. Wenn im optimistischen Szenario gegen Ende 2014 der letzte Treibstoff verbraucht ist, wird Venus Express in der Venus-Atmosphäre verglühen.
Diskutieren Sie mit im Raumcon-Forum: