Venus Express oder: You only live twice

Nach langem Hin und Her hat sich die ESA im Herbst 2002 für die Durchführung einer Venus-Mission entschieden.

Autor: Michael Stein.

Nun also doch. Nachdem es noch vor einem Monat so aussah, als wäre die europäische Venus-Raumsonde Venus Express gestorben – Opfer des neuen, unter dem Diktat gekürzter Budgets aufgestellten ESA-Forschungsprogramms Cosmic Visions 2020 -, kann nun mit einiger Wahrscheinlichkeit der Beginn des zweiten Lebens dieser für 2005 geplanten Mission zum Schwesterplaneten unserer Erde gefeiert werden. Aber von Anfang an …

Venus Express im Orbit um den Zielplaneten.
(Grafik: ESA)

Die Vorgeschichte von Venus Express
Im März 2001 hatte die europäische Raumfahrtbehörde ESA die wissenschaftliche Community in Europa im Rahmen eines so genannten „Call for Ideas“ dazu aufgerufen, Vorschläge für eine weitere Mission auf Basis der Mars-Express-Plattform einzureichen. Richtigerweise wollte die ESA das bei der Entwicklung dieser Mission gewonnene Know-How erneut nutzen: Indem für die Mars-Express-Mission entwickelte Raumfahrzeug-Komponenten und zum Teil auch wissenschaftliche Geräte einfach noch einmal gebaut und eingesetzt werden – bedarfsweise auch mit leichten Modifikationen -, kann die extrem aufwändige und teure Neuentwicklung von Komponenten und Instrumenten und die damit notwendigerweise einhergehende Neukonzipierung oder Anpassung von Testverfahren zu erheblichen Teilen entfallen.

Tatsächlich ist diese Vorgehensweise, einmal entwickelte Komponenten bei mehreren Missionen zu nutzen, sogar die elementare Grundlage der Cosmic Visions 2020: Nur so ist trotz schrumpfender Budgets überhaupt an die Verwirklichung der dort definierten ehrgeizigen Ziele für die kommende Dekade zu denken. Die geplante Wiederverwertung der Mars-Express-Plattform ist also gleichzeitig auch ein „Real-Life“-Test für dieses neue Konzept, denn Unwägbarkeiten gibt es genug. Die erwünschten Synergie- und Einspareffekte stellen sich nur dann ein, wenn die jeweiligen Folgemissionen nicht allzu lange auf sich warten lassen. Der dementsprechend denkbar knappe Zeitrahmen für die Konzeption, Auswahl und Umsetzung einer solchen Folgemission bringt die Notwendigkeit von Arbeits- und Managementtechniken mit sich, wie sie vor allem bei wissenschaftlichen Einrichtungen bisher nicht üblich waren – Wissenschaft lebt eben auch davon, (Zeit-)Räume für das Entwickeln und Ausprobieren neuer Ideen und Konzepte zu haben.

Bereits Mitte 2001 wählte die ESA drei Missionskonzepte aus der Vielzahl der eingereichten Vorschläge aus, die anschließend in der rekordverdächtigen Zeit von nur drei Monaten eingehend geprüft wurden: Venus Express sollte insbesondere die Venus-Atmosphäre untersuchen sowie mit Hilfe eines Radars erstmals auch Aussagen über die Beschaffenheit der oberen Bodenschichten unterhalb der Venusoberfläche zulassen; Cosmic DUNE war der Vorschlag für eine Mission zur Untersuchung des interplanetaren Staubes in unserem Sonnensystem, und SPOrt Express sollte die Polarisation der kosmischen Mikrowellen-Hintergrundstrahlung messen. Die wesentlichen Kriterien bei der Entscheidung, welcher der drei Kandidaten zur Umsetzung empfohlen werden sollte, waren die Zusammensetzung der wissenschaftlichen Nutzlast, das Ausmaß der Wiederverwendung der Mars-Express-Plattform sowie der zu erwartende wissenschaftliche Nutzen.

Im Oktober 2001 schließlich wurde eine erste Empfehlung für Venus Express ausgesprochen, und nach dem erfolgreichen Passieren mehrerer Gremien erfolgte dann im Dezember auch gegenüber dem Science Programme Committee (SPC) der ESA die Empfehlung, die Mission in das zu dieser Zeit gerade in Arbeit befindliche neue Wissenschaftsprogramm zu übernehmen – es sah‘ gut aus für die erste europäische Venus-Mission, die zudem den Reigen der ESA-Forschungsmissionen zu den so genannten Inneren Planeten unseres Sonnensystems komplettieren würde: Mars Express zum Mars, Bepi Colombo zum Merkur und nun Venus Express zur Venus?

Venus Express wird abgesetzt

Venus Express kurz vor dem Transport nach Baikonur.
(Foto: ESA-S. CORVAJA)

Als der Wissenschaftsdirektor der ESA, Prof. David Southwood, bei der Sitzung des „Ausschusses für Weltraumwissenschaft“ der ESA am 22. und 23. Mai 2002 in Norwegen dann schließlich das überarbeitete Langzeitforschungsprogramm Cosmic Visions 2020 vorstellte, konnte er zufrieden sein: Trotz geringerer finanzieller Mittel waren nicht nur alle Forschungsmissionen in dieses Programm aufgenommen worden, die bereits im vorhergehenden ESA-Forschungsprogramm Horizons 2000 genannt waren, durch die beschriebenen Änderungen der Verfahrensweisen konnte die Anzahl der geplanten Missionen sogar erhöht werden: Sah Horizons 2000 noch 12 Forschungsmissionen in 11 Jahren vor, so sind im Rahmen der Cosmic Visions 2020 insgesamt 16 Missionen in 10 Jahren geplant!

Doch weil auch die ESA keine Wunder vollbringen kann, war dieses Ergebnis nicht umsonst zu haben. Der Preis ist der annährend vollständige Verlust von Flexibilität bei der Durchführung des Forschungsprogramms und der gleichermaßen drastische Wegfall von zeitlichen und finanziellen Spielräumen für alle an den Projekten beteiligten Parteien: „I will bring trains into the station and if passengers can’t pay for the tickets then, the train doesn’t go“, wie es ESA-Wissenschaftsdirektor David Southwood in einem Vortrag anlässlich des Rosetta/INTEGRAL-Medientages im Juni 2002 bildhaft ausdrückte.

Im gleichen Vortrag äußerte er sich auch noch einmal dezidiert zum Schicksal der Mission Venus Express: „The Executive withdrew Venus Express because not everybody involved could commit to the schedule required to meet the budget“ – eine Bestätigung der Aussage vom Mai und somit das scheinbar endgültige „Aus“ für diese Mission…

Eine zweite Chance für Venus Express
Vier Wochen nach dem vermeintlichen K.O. dann ein neuer, starker Hoffnungsschimmer für die europäische Venus-Sonde. Die ESA meldet am 15. Juli 2002, dass das Science Programme Committee der europäischen Weltraumagentur nach einer erneuten, durch das ESA-Council veranlassten Prüfung der Mission Venus Express nunmehr die Aussichten für einen erfolgreichen Start der Mission im November 2005 für gut genug hält, um mit den Arbeit an diesem Projekt weiter fortzufahren. Allerdings, so geht aus der Pressemeldung hervor, sei das Schicksal dieser Mission noch nicht endgültig geklärt, da der von Italien zu erbringende Missionsbeitrag noch nicht bestätigt sei. Italien habe nun bis zum 15. Oktober 2002 Zeit, um zu erklären, ob es den von ihm zu erbringenden Beitrag tatsächlich zu leisten im Stande sei – erst dann sei die Durchführung der Mission endgültig gesichert.

Dieser Einschränkung zum Trotz wird Venus Express wohl mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in gut drei Jahren starten. Nach der Veröffentlichung der letzten Pressemeldung vom 15. Juli, deren Quintessenz ja bereits in der Überschrift „Venus Express comes into Cosmic Vision“ zu lesen steht, wäre ein erneuter Rückzieher von dieser Mission, für die ESA trotz der italienischen Hintertür kaum ohne Gesichtsverlust machbar – dafür hat man sich nun doch etwas zu sehr aus dem Fenster gelehnt. Auch der Umstand, dass Venus Express als eine „Evaluierungsmission“ für die neuen Arbeits- und Managementverfahren dienen soll, macht den Wegfall dieser Mission unwahrscheinlicher.

Auf Anfrage von Raumfahrer.net erklärte der ESA-Pressesprecher Clovis De Matos, dass Italien noch im Juni erklärt habe, die notwendigen Ressourcen zur Fortführung von Venus Express würden nicht zur Verfügung stehen. Mittlerweile jedoch habe sich die Situation geändert, und der italienische Beitrag zur Mission in Form eines oder mehrerer wissenschaftlicher Instrumente(s) sei nun eventuell doch möglich. Wenn es im Oktober zu einer endgültigen Absage aus Italien kommen sollte, so De Matos, wird die ESA unter den übrigen Mitgliedsstaaten jemanden finden müssen, der die fehlenden Instrumente bereitstellen kann – eine Antwort, die den Schluss nahe legt, das ein „Nein“ aus Italien nicht das endgültige „Aus“ für die Venus-Sonde bedeuten würde.

Die Zeichen für Europas ersten Auftritt beim Schwester-Planeten unserer Erde stimmen nun also wieder optimistisch. Hoffen wir, damit die letzte Wendung von Venus Express miterlebt zu haben …

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