Am 11. Juni 2016 erfolgte ein Start der derzeit leistungsfähigsten US-amerikanischen Trägerrakete Delta IV Heavy. Dabei wurde von Cape Canaveral in Florida aus ein Satellit für die nationale US-amerikanische Aufklärungsbehörde (NRO) in den Weltraum transportiert. Wahrscheinlich ist der Satellit Aufgaben im Bereich der Fernmelde- und elektronischen Aufklärung gewidmet.
Ein Beitrag von Thomas Weyrauch. Quelle: Nautilus Institute, Sputniknews, ULA, USAF, Yorkshire CND.
Gestartet wurde von der Rampe SLC-37B (Space Launch Complex 37B) der Luftwaffenbasis Cape Canaveral (Cape Canaveral Air Force Station, CCAFS). Startzeitpunkt war 17:51 Uhr UTC bzw. 19:51 Uhr MESZ. Es flog die Delta-Rakete mit der Baunummer 374.
Wetterbedingt fand der 32. Start einer Delta IV insgesamt und neunte Start einer Delta IV Heavy zwei Tage später als zuletzt geplant statt. Er wurde unter der Ägide der United Launch Alliance (ULA) durchgeführt. Für die ULA war es die zweite im Jahr 2016 abgewickelte Mission einer von diesem Anbieterkonsortium betriebenen Trägerrakete vom Typ Delta IV.
Der Satellit mit der Bezeichnung NROL 37 erhielt nach dem Start die Tarnbezeichnug USA 268. Die Masse des Raumfahrzeugs wurde von offizieller Seite nicht genannt. Beobachter der US-amerikanischen Aufklärungssatellitenprogramme nehmen an, dass es sich bei dem neuen, vielleicht von Northrop Grumman gebauten Satelliten um einen vom Typ „Advanced Orion“ (auch „Mentor“ genannt) handelt und seine Masse größer ist als 5,2 Tonnen.
Die ULA hatte den Start im Internet live gezeigt, und die Übertragung wie bei Flügen mit NRO-Nutzlasten üblich kurz nach dem Abwurf der Nutzlastverkleidung abgebrochen. Animierte Bilder vom Schluss der Übertragung zeigen einen sehr großen Satelliten auf der zweiten Stufe (Delta Cryogenic Second Stage, DCSS) der Delta-IV-Rakete.
Raumfahrzeug im Dienst der Dienste
Auswahl der Trägerrakete und eingeschlagene Flugrichtung können Hinweise auf einen Einsatz des neuen Raumfahrzeugs in einer geosynchronen, also an die Erdrotation angepassten Umlaufbahn sein. In der Vergangenheit flogen Delta-IV-Raketen von Cape Canaveral bereits mehrfach mit NRO-Nutzlasten für geosynchrone Orbits.
Von der erreichten Übergangsbahn wird NROL 37 sicher mit eigenem Antrieb seinen Arbeitsorbit anstreben. Welche Aufgaben konkret der neue Erdtrabant dort zu erfüllen hat, wurde von Regierungsstellen der Vereinigten Staaten von Amerika nicht konkret beschrieben.
Eine Mitteilung der US-Luftwaffe spricht sparsam nur von einer Mission mit einer der nationalen Sicherheit dienenden Nutzlast für die nationale US-amerikanische Aufklärungsbehörde (National Reconnaissance Office, NRO). Die ULA meldet eine Mission zur Unterstützung der Verteidigung des Landes.
NROL 37 alias USA 268 hat vermutlich Aufgaben im Bereich der Signals Intelligence (SIGINT), dient also der Erfassung von Radiowellen, die absichtlich und unabsichtlich von Anlagen mit elektronischer Ausrüstung abgestrahlt werden. Wie seine Vorgänger Orion 3 bis Orion 8 gehört der jetzt gestartete Satellit damit wohl als Orion 9 in die Gruppe der Advanced-Orion-Satelliten. Die von diesen Satelliten gesammelten Daten werden vom NRO vermutlich etwa 15 weiteren Diensten und Organisationen in den Vereinigten Staaten zur Verfügung gestellt.
Großer Satellit mit großen Ohren
Die Advanced-Orion-Satelliten sollen eine Ausrüstung mit einem regelrechten Antennenwald besitzen und darüber hinaus jeweils eine Antenne mit einem sehr großen, im All zu entfaltenden Gitternetzreflektor. Der Reflektor könnte Mutmaßungen zufolge einen Durchmesser von 100 Metern erreichen oder überschreiten. Als Hersteller des Reflektors kommt beispielsweise die Harris Corporation aus Melbourne in Florida oder Northrop Grumman in Frage. Beide Unternehmen verfügen über langjährige Erfahrung mit großen Gitternetzreflektoren.
Überwacht und gesteuert werden die geosynchronen SIGINT-Satelliten der USA nach der Einschätzung von Fachleuten abhängig von ihrer Position durch Bodenstationen im australischen Pine Gap bei Alice Springs (23.7988 S , 133.7368 E) und im englischen Menwith Hill in der Nähe von Harrogate (54.0085 N , 1.6883 W). Orion 7 alias NROL 32 und USA 223 (COSPAR 2010-063A), der seit dem 21. November 2010 um die Erde kreist und zuletzt bei 95,6 Grad Ost auf rund 3,8 Grad gegen den Erdäquator geneigter geosynchroner Bahn beobachtet wurde, soll sich unter Kontrolle der Station Pine Gap befinden. Orion 8 alias NROL 15 und USA 237 (COSPAR 2012-034A), seit dem 29. Juni 2012 im All, wird wahrscheinlich von Menwith Hill aus überwacht.
Die beiden Bodenstationen gehören nach Informationen des Europäischen Parlaments mutmaßlich zum Spionagenetzwerk ECHELON. Dieses Netzwerk wird von Nachrichtendiensten der USA sowie aus Australien, England, Kanada und Neuseeland betrieben. Die genannten Staaten sollen unter dem Titel UKUSA Geheimabkommen getroffen haben, die ihnen Spionagetätigkeit auf dem Boden der Partnerstaaten erlaubt. Das Spionagenetz wird insbesondere dafür verwendet, Daten aus Telefongesprächen, Fax- und Internet-Verbindungen zu erfassen (Communications Intelligence, COMINT). Eine entsprechende zusätzliche Ausrüstung der Advanced-Orion-Satelliten gilt als wahrscheinlich.
Beispielsweise wird es für möglich gehalten, dass mit Hilfe der Satelliten mit Mobiltelefonen an Bord von Flugzeugen geführte Telefongespräche mitgeschnitten werden können. Erfassen sollen die Satelliten vor allem aber die von Flugkörpern wie Drohen, Marschflugkörpern und Raketen, von militärischen Land-, Wasser- und Luftfahrzeugen, Satelliten und ortsfesten Installationen am Boden abgestrahlten elektromagnetischen Wellen (Electronic Signals Intelligence, ELINT).
Neben dem unmittelbaren Mithören von Daten-, Sprach- und Video-Kommunikation erlaubt auch das Mitschneiden der Abstrahlung anderer Radiostrahlung, Informationen über Fähigkeiten und Zweck fremder Einrichtungen zu gewinnen und die Absichten ihrer Besitzer und Nutzer besser einzuschätzen.
Actio und Reactio
Bezeichnender Weise veröffentlichte das staatliche russische Nachrichtenportal Sputniknews am 14. Juni 2016 passend zum Start des US-amerikanischen Satelliten eine Meldung, nach der russische „Kommunikationssysteme, Radare, Anlagen zur elektronischen Kampfführung und Kommandozentralen“ künftig in neuen Containern unterzubringen seien, die eine Weiterverbreitung elektromagnetischer Strahlung unterdrücken sollen.
Von bisher üblichen Fahrzeugaufbauten und flexibel verwendbaren Großraumbehältern würden sich die neuen Container laut Sputniknews äußerlich kaum unterscheiden. Sie besäßen aber eine spezielle Beschichtung sowie weitere Ausrüstung, die die Verbreitung von elektromagnetischen Wellen verhindern könnten.
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