Universum: Ausdehnung vielleicht nicht gleichmäßig

Kosmologie neu betrachtet: Die Ausdehnung des Universums ist vielleicht nicht gleichmäßig. Eine Information der Europäischen Raumfahrtagentur (European Space Agency, ESA).

Quelle: ESA.

Ausdehnung in unterschiedlichen Himmelsbereichen nach Daten von Chandra, ROSAT und XMM-Newton.
(Bild: K. Migkas et al. 2020, CC BY-SA 3.0 IGO)

Astronomen gehen seit Jahrzehnten davon aus, dass sich das Universum in allen Richtungen gleich schnell ausdehnt. Eine neue Studie, die auf Daten der XMM-Newton-Mission der ESA, der NASA-Mission Chandra und des deutschen ROSAT-Röntgensatelliten (DLR) basiert, legt nahe, dass diese Schlüsselprämisse der Kosmologie falsch sein könnte.

Konstantinos Migkas, ein promovierter Astronom und Astrophysiker an der Universität Bonn, und sein Professor Thomas Reiprich wollten ursprünglich eine neue Methode verifizieren, mit der Astronomen die so genannte Isotropie-Hypothese überprüfen können. Nach dieser Annahme hat das Universum trotz einiger lokaler Unterschiede im Großmaßstab in jeder Richtung die gleichen Eigenschaften.

Diese Hypothese ist als Ergebnis einer gut etablierten Fundamentalphysik weithin anerkannt und wurde durch Beobachtungen des kosmischen Mikrowellenhintergrunds gestützt. Dieser ist ein direkter Überrest des Urknalls und spiegelt den Zustand des Universums in seinen Anfängen, im Alter von nur 380 000 Jahren, wider. Die gleichmäßige Verteilung des kosmischen Mikrowellenhintergrunds am Himmel deutet darauf hin, dass sich das Universum in diesen frühen Tagen schnell und mit gleicher Geschwindigkeit in alle Richtungen ausdehnte.

Im heutigen Universum ist dies jedoch möglicherweise nicht mehr der Fall.

„Gemeinsam mit Kollegen von der Universität Bonn und der Harvard University haben wir das Verhalten von über 800 Galaxienhaufen im heutigen Universum untersucht“, sagt Konstantinos. „Wenn die Isotropie-Hypothese richtig wäre, wären die Eigenschaften dieser Haufen über den ganzen Himmel gleichförmig. Aber wir sahen tatsächlich signifikante Unterschiede.“

Die Astronomen verwendeten Röntgen-Temperaturmessungen des extrem heißen Gases, das die Galaxienhaufen durchdringt, und verglichen die Daten damit, wie hell die Haufen am Himmel erscheinen. Haufen, auch Cluster genannt, mit gleicher Temperatur und in ähnlicher Entfernung sollten ähnlich hell erscheinen. Aber das ist nicht das, was die Astronomen beobachtet haben.

„Wir sahen, dass Cluster mit den gleichen Eigenschaften, mit ähnlichen Temperaturen, weniger hell zu sein schienen als das, was wir in einer Richtung des Himmels erwarten würden, und in einer anderen Richtung heller als erwartet“, sagt Thomas. „Der Unterschied war recht signifikant, etwa 30 Prozent. Diese Unterschiede sind nicht zufällig, sondern weisen ein klares Muster auf, das von der Richtung abhängt, in der wir am Himmel beobachtet haben.

Bevor das weithin akzeptierte kosmologische Modell, das die Grundlage für die Schätzung der Haufenabstände bildet, in Frage gestellt wurde, haben Konstantinos und seine Kollegen zunächst andere mögliche Erklärungen untersucht. Vielleicht könnte es unentdeckte Gas- oder Staubwolken geben, die die Sicht versperren und die Haufen in einem bestimmten Gebiet schwächer erscheinen lassen. Die Daten unterstützen dieses Szenario jedoch nicht.

Es wird angenommen, dass Galaxienhaufen ziemlich gleichmäßig über den Himmel verteilt sind. (Bild:
ESA/XMM-Newton (X-rays); CFHT-LS (optical); XXL Survey)

In einigen Regionen des Weltraums könnte die Verteilung von Galaxienhaufen durch Massenströme beeinflusst werden, d.h. durch großräumige Materiebewegungen, die durch die Gravitationskraft extrem massiver Strukturen wie etwa großer Clustergruppen verursacht werden. Diese Hypothese erscheint aber auch unwahrscheinlich. Konstantinos fügt hinzu, dass die Ergebnisse das Team überrascht haben.

„Wenn das Universum wirklich anisotrop ist, und sei es auch nur in den letzten Milliarden Jahren, dann würde das einen gewaltigen Paradigmenwechsel bedeuten, denn die Richtung jedes Objekts müsste bei der Analyse seiner Eigenschaften berücksichtigt werden“, sagt er. „Zum Beispiel schätzen wir heute die Entfernung von sehr weit entfernten Objekten im Universum durch die Anwendung einer Reihe von kosmologischen Parametern und Gleichungen. Wir glauben, dass diese Parameter überall gleich sind. Aber wenn unsere Schlussfolgerungen richtig sind, dann wäre das nicht der Fall, und wir müssten alle unsere früheren Schlussfolgerungen noch einmal überdenken“.

„Das ist ein unglaublich faszinierendes Ergebnis“, kommentiert Norbert Schartel, XMM-Newton-Projektwissenschaftler bei der ESA. „Frühere Studien haben angedeutet, dass sich das gegenwärtige Universum möglicherweise nicht gleichmäßig in alle Richtungen ausdehnt, aber dieses Ergebnis – zum ersten Mal wurde ein solcher Test mit Galaxienhaufen im Röntgenlicht durchgeführt – hat eine viel größere Bedeutung und zeigt auch ein großes Potenzial für zukünftige Untersuchungen.“

Die Wissenschaftler spekulieren, dass dieser möglicherweise ungleichmäßige Effekt auf die kosmische Expansion durch dunkle Energie verursacht wird, der geheimnisvollen Komponente des Kosmos, die den Großteil – etwa 69% – seiner Gesamtenergie ausmacht. Über die dunkle Energie ist heute nur sehr wenig bekannt, außer, dass sie offenbar die Expansion des Universums in den letzten Milliarden Jahren beschleunigt hat.

Weltraumteleskop Euclid im All - künstlerische Darstellung (Bild: ESA / C. Carreau)
Weltraumteleskop Euclid im All – künstlerische Darstellung (Bild: ESA / C. Carreau)

Das geplante ESA-Teleskop Euclid, das Milliarden von Galaxien abbilden und die Ausdehnung des Kosmos, seine Beschleunigung und die Beschaffenheit der dunklen Energie untersuchen soll, könnte in Zukunft zur Lösung dieses Rätsels beitragen.

„Die Ergebnisse sind wirklich interessant, aber die in die Studie einbezogene Stichprobe ist noch relativ klein, um solch tiefgreifende Schlussfolgerungen zu ziehen“, sagt René Laureijs, Euclid-Projektwissenschaftler bei der ESA. „Das ist das Beste, was man mit den verfügbaren Daten machen kann, aber wenn wir das weithin akzeptierte kosmologische Modell wirklich überdenken würden, bräuchten wir mehr Daten.“

Und Euclid könnte genau das tun. Der Satellit, der 2022 gestartet werden soll, könnte nicht nur Beweise dafür finden, dass die dunkle Energie das Universum wirklich ungleichmäßig in verschiedene Richtungen ausdehnt, sondern wird den Wissenschaftlern auch ermöglichen, mehr Daten über die Eigenschaften einer großen Anzahl von Galaxienhaufen zu sammeln, die die derzeitigen Erkenntnisse unterstützen oder widerlegen könnten.

Weitere Daten werden demnächst auch von dem vom Max-Planck-Institut für Extraterrestrische Physik gebauten Röntgeninstrument eROSITA kommen. Das Instrument an Bord des kürzlich gestarteten deutsch-russischen Satelliten Spektr-RG wird die erste vollständige Himmelsdurchmusterung im mittleren Röntgenbereich durchführen und sich auf die Entdeckung Zehntausender bisher unbekannter Galaxienhaufen und aktiver galaktischer Zentren konzentrieren.

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