Universität Wien: Wenn sich Sternfamilien trennen

Astrophysiker*innen finden verschollene Sterngeschwister. Eine Pressemitteilung der Universität Wien.

Quelle: Universität Wien.

Panoramaaufnahme des nahegelegenen Sternhaufens Alpha Persei und dessen Corona. Die Haufenmitglieder, welche die Corona bevölkern, verschwinden im üppigen stellaren Hintergrund des Clusters. Nur durch die präzisen Messungen des ESA Gaia Satelliten und innovativem Maschinenlernen gelang es, sie sichtbar zu machen.
(Bild: Stefan Meingast, made with Gaia Sky)

Sternhaufen prägen seit mehreren tausend Jahren die Vorstellung der Menschen. Die nächstgelegensten und hellsten Sternhaufen wie etwa die bekannten Pleiaden sind nachts deutlich als dicht konzentrierte Regionen von Sternen mit freiem Auge beobachtbar. Eine entscheidende Eigenschaft dieser Sternhaufen blieb jedoch bis vor Kurzem verborgen: Sie besitzen massereiche so genannte Halos, die auch als Corona bezeichnet werden. Die erstmalige Entdeckung der Existenz dieser stellaren Hüllen der dichten Haufenzentren gelang nun einem Team von Astronom*innen um Stefan Meingast an der Universität Wien. Messungen zeigen erstmals die gewaltige Zahl an Sterngeschwistern, die die Zentren der Sternhaufen umgeben. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift „Astronomy & Astrophysics“ veröffentlicht.

„Sternhaufen sind große Sternfamilien, welche oft über einen großen Teil ihrer Lebenszeit zusammenbleiben. Nach aktuellem Wissensstand kennen wir zwar bereits einige tausend Sternhaufen in der Milchstraße, jedoch können wir sie zurzeit nur als solche identifizieren, da sie als sternreiche und helle Objekte am Nachthimmel erkennbar sind. Über lange Zeitspannen neigen Sterne aber auch dazu, ihre Krippe zu verlassen und in Nachbarschaften voller fremder Sterne zu wandern, wodurch sie praktisch nicht von ihren Nachbarn unterschieden werden können und ihre Identifikation eine wahre Herausforderung wird“, erklärt Stefan Meingast, Erstautor der aktuellen Studie über die Neuentdeckung der Coronas. „Es wird vermutet, dass auch unsere Sonne innerhalb eines Sternhaufens entstand und im Laufe der Zeit ihre Geschwister weit hinter sich gelassen hat“, fügt er hinzu.

Teleskopaufnahme des Sternhaufens NGC 2516. Nur das kompakte Haufenzentrum hebt sich klar gegen die Vielzahl an umliegenden Nachbarsternen ab. In Wirklichkeit erstreckt sich der Sternhaufen über einen großen Teil des Himmels.
(Bild: Digitized Sky Survey)

Ermöglicht hat diese Entdeckung das ESA-Weltraumteleskop Gaia. Sternhaufen bilden also nur die sprichwörtliche Spitze des Eisbergs einer viel größeren Sternpopulation.

„Unsere Messungen zeigen erstmals die gewaltige Zahl an Sterngeschwistern, welche die bekannten Zentren der Sternhaufen umgeben. Es sieht so aus, als ob Sternhaufen von reich besiedelten Halos oder Coronas umhüllt sind, welche vielfach größer sein können als der ursprünglich bekannte Haufen und somit unsere bisherigen Vorstellungen bei Weitem übertreffen. Die dichten, am Nachthimmel sichtbaren Sterngruppen bilden demnach einfach einen Teil einer viel größeren Einheit“, so Alena Rottensteiner, Koautorin und Masterstudentin an der Universität Wien. Sie fügt hinzu: „Eine große Aufgabe wird vor allem sein, unsere bisherigen Vorstellungen und Konzepte der elementaren Eigenschaften von Sternhaufen zu überarbeiten und zu versuchen, den Ursprung der neu entdeckten Coronas zu verstehen.“

Um die verschollenen Sterngeschwister zu finden, entwickelte das Team eine neue Methode, welche mit Hilfe von maschinellem Lernen Sterngruppen analysiert und nachverfolgt, wie Sterne gemeinsam über den Himmel ziehen. Das Team untersuchte zehn Sternhaufen und identifizierte dabei tausende bisher unerkannte Sterngeschwister, die sich oft hunderte Lichtjahre entfernt vom kompakten Haufenzentrum befinden, jedoch trotzdem eindeutig derselben Sternfamilie angehören. Eine Erklärung für den Ursprung der Coronas gibt es noch nicht, dennoch sind die Forscher*innen zuversichtlich, dass ihre Ergebnisse Sternhaufen neu definieren und nachhaltig zum Verständnis ihrer Entstehungsgeschichte und Entwicklung beitragen werden.

Visualisierung der neu entdeckten Populationen.
(Bild: Stefan Meingast)

„Die von uns betrachteten Sternhaufen galten aufgrund ihrer jahrhundertelangen Erforschung bereits als weitgehend bekannte Prototypen. Nun sieht es jedoch so aus, als müssten Astronom*innen in größeren Maßstäben zu denken beginnen“, so João Alves, Professor für stellare Astrophysik an der Universität Wien und Koautor der Publikation. „Unsere Entdeckung kann uns auch viel über die Entstehung der Milchstraße sagen“, ergänzt Alves. „Wir sehen, dass Sternhaufen und ihre Coronas günstige Orte für die Entwicklung junger Planeten sind.“

Das Forscher*innenteam konzentriert seine Bemühungen nun darauf, weitere Mysterien um die neu entdeckten Coronas zu entschlüsseln. Interessierte Studierende sind dazu eingeladen, sich dem Rennen um neue Entdeckungen über das Projekt From Coronae to Streams: The true Birthplaces of Stars als Teil der Vienna International School of Earth and Space Sciences (https://visess.univie.ac.at) anzuschließen. Unter https://visess.univie.ac.at/how-to-apply/ kann man sich für die Doktoratsschule VISESS bewerben.

Eine interaktive Visualisierung der neu entdeckten Populationen ist unter https://homepage.univie.ac.at/stefan.meingast/coronae.html verfügbar.

Publikation in „Astronomy & Astrophysics“:
DOI: Extended stellar systems in the solar neighborhood – V. Discovery of coronae of nearby star clusters, Stefan Meingast, João Alves, Alena Rottensteiner, Vol., 2020.
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