Unbemanntes NASA-Marsprogramm am Wendepunkt?

Ausgelöst durch die technischen und finanziellen Probleme mit der nächsten NASA-Marsmission, dem ‚Mars Science Laboratory‘, ist in der US-Raumfahrtszene eine Debatte entstanden, ob es nicht an der Zeit ist, dem NASA-Marsprogramm eine neue Richtung zu geben.

Ein Beitrag von Axel Orth. Quelle: NASA, JPL-Caltech, Space.com, Leonard David.

Der Mars – eine leblose Wüste? Aufnahme des Phoenix-Landers.
(Bild: NASA/JPL-Caltech/U. of Arizona)

Der US-amerikanische Raumfahrtjournalist Leonard David berichtete auf der Webseite Space.com neulich über eine Diskussion unter US-Marswissenschaftlern, die die Marserkundung durch unbemannte, robotische Raumsonden der NASA betrifft. Eine Fraktion der Forscher möchte diesem Programm eine neue Ausrichtung geben, die andere Fraktion ist eher für eine kontinuierliche Anpassung. Stellvertretend nannte er zwei Wissenschaftler, die für die jeweiligen Standpunkte Stellung beziehen.

Auslöser der Debatte sind die Probleme mit dem Mars Science Laboratory (MSL). Dieser nächste große NASA-Marsrover, doppelt so groß und dreimal so schwer wie die bekannten Mars Exploration Rover, sollte eigentlich in diesem Jahr starten, musste aber wegen ungelöster technischer Probleme auf 2011 verschoben werden (Raumfahrer.net berichtete). Dazu kommt, dass die aufwändige Entwicklung des technisch anspruchsvollen MSL das ursprünglich vorgesehene Missionsbudget von 1,5 Milliarden US-Dollar längst überzogen hat und zur Zeit bei 2,2 Milliarden Dollar steht. Wie diese Überziehungen finanziert werden, ist noch unklar; beispielsweise wurde mal erwogen, die MER-Mission Spirit einzustellen, um mit den Einsparungen ein Laserinstrument des MSL zu finanzieren. Zum Vergleich: Die Primärmission der beiden Marsrover Spirit und Opportunity hat 0,82 Milliarden Dollar gekostet; die Primärmission der Saturnsonde Cassini 3,27 Milliarden Dollar. Das Mars Science Laboratory ist damit also selbst in die Größenordnung einer so genannten NASA-„Flaggschiffmission“ aufgerückt.

Das Ziel der MSL-Mission ist dabei – wie bei den früheren Missionen auch – die Suche nach Spuren von früherem oder jetzt noch existierendem Leben auf dem Roten Planeten. Die zurückliegenden Missionen seien in dieser Hinsicht bisher enttäuschend verlaufen. Den Ansatz, Landemissionen relativ ungezielt auf der Oberfläche abzusetzen und nach Spuren von Leben suchen zu lassen, könne man getrost als gescheitert betrachten. Wenn es je Leben auf dem Mars gab, oder noch gibt, dann war oder ist es offensichtlich nicht so weit verbreitet wie auf der Erde, oder zumindest haben sich seine Spuren nicht breitflächig erhalten. Es gibt zwar dank der Beobachtung aus dem Mars-Orbit immer noch vielversprechende Stellen, an denen man genauer nachsehen könnte und sollte – aber dazu müsste man gezielt dorthin hoch entwickelte Roboter schicken, die etwa in der Lage sein müssten, an mehreren Stellen im Boden zu bohren oder gar Höhlen zu erforschen. Nicht jedes dieser Gelände ist so gut zur Landung geeignet wie die bisher ausgesuchten Gebiete, wo die Sicherheit der Landung mit zu den höchsten Prioritäten zählte. Alle diese Faktoren treiben die Kosten für weitere Marsmissionen nach oben.

Allgemein könne man es so sehen: Die einfachen Möglichkeiten, auf dem Mars nach Lebensspuren zu suchen, scheinen ausgeschöpft – was jetzt noch kommen kann, wird stetig aufwändiger und teurer. Ist unbemannte Marsforschung nur noch in „Flaggschiffdimensionen“ denkbar?

Hinzu kommt, dass der Mars mittlerweile Konkurrenz bekommen hat, was die Ziele für die Suche nach Leben angeht: Auf mindestens drei Monden des äußeren Sonnensystems (Europa, Kallisto, Enceladus) werden unterirdische Wasserozeane vermutet, in denen sich mikrobielles Leben gebildet haben könnte. Ein weiterer Mond, Titan, ähnelt der frühen Erde stärker als jeder andere Körper im Sonnensystem, wovon sich die Forschung ebenfalls Einiges verspricht.

In der Aprilausgabe von The Mars Quarterly, einer Publikation der Mars Society, fordert daher der langjährige Marsforscher Chris McKay vom Ames Forschungszentrum der NASA, dass die unbemannte robotische Marsforschung einem Paradigmenwechsel unterzogen werden müsse, um konkurrenzfähig zu bleiben. Der Mars sei neben der Erde der einzige Planet, auf dem in naher bis mittlerer Zukunft langfristige Präsenz von Menschen vorstellbar sei. Anstelle der bisherigen astrobiologischen Ausrichtung des Marsprogramms solle man daher zur Vorbereitung einer menschlichen Besiedlung übergehen: „Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass der Mars weiterhin ein Ziel für die unbemannte Erkundung sein sollte, gerade weil er die Zukunft der bemannten Erkundung sein wird.“ Als ersten Schritt dazu fordert er Sample-Return-Missionen, also die Rückführung von Mars-Bodenproben zur Erde. (Wobei solche Bodenproben durchaus auch für die Suche nach Leben sehr gelegen kämen.)

Als seinen Kontrahenten nennt Leonard David den Marsforscher Bruce Jakosky von der Universität von Colorado. Jakosky räumt ein, dass das NASA-Marsprogramm durch die MSL-Probleme aus dem Tritt geraten ist. Aber er sieht keine Notwendigkeit dafür, das Programm deswegen komplett zu überarbeiten. Er argumentiert, dass die Forschung nach Lebensspuren auf dem Mars noch nicht ausgereizt sei. Jakowsky ist Chefforscher der Mission Mars Atmosphere and Volatile Evolution mission (MAVEN), die 2013 starten soll. Seiner Ansicht nach ist das intellektuelle Fundament des Marsprogramms solide – basierend auf den Ergebnissen jeder Mission würden die Ziele der jeweils nächsten Missionen kontinuierlich angepasst und nach den Erfordernissen neu definiert. Missionen ins äußere Sonnensystem hätten sich als sehr teuer erwiesen und würden sehr lange dauern. Als Beispiel nannte er einen Orbiter um den Jupitermond Europa, der 2-3 Milliarden Dollar kosten würde. „Die damit zu erbringende Wissenschaft würde wahrscheinlich mit dem vergleichbar sein, was eine Mars-Scout-Mission für eine halbe Milliarde Dollar erbringen würde. Kein Grund, es nicht zu tun – ich bin sehr für eine Mission wie diese – aber lassen Sie uns die Kosten in der richtigen Perspektive sehen.“

Natürlich dürfte eine Mission zum Mars immer günstiger zu haben sein als eine Mission zum Jupiter. Aber es bleibt eben auch eine Mission zum Mars. Es ist sicher eine arge Vereinfachung zu sagen, dass auf dem Mars neue Erkenntnisse nur noch für teures Geld zu haben sind. Aber die Tendenz ist sicher gegeben, und wenn sich nach drei Jahrzehnten Forschung mittlerweile andeutet, dass der Mars tatsächlich das ist, wonach er aussieht, nämlich eine leb(en)lose Wüste – warum sollte man dann dort nicht zu einer anderen Tagesordnung übergehen und sich für die Suche nach Leben neue, vielversprechendere Ziele suchen?

Verwandte Webseiten: Originalartikel auf Space.com (engl.)

Diskutieren Sie mit im Raumcon-Forum:

Nach oben scrollen