Hat man die Relativitätstheorie bisher unnötig kompliziert formuliert? Neue Berechnungen der TU Wien und der Universität Wien unterstreichen die Bedeutung einer Idee von Roger Penrose. Eine Presseaussendung der Technischen Universität Wien.
Quelle: Technische Universität Wien 23. Mai 2022.
23. Mai 2022 – Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie hält noch immer große Rätsel bereit – das liegt nicht zuletzt daran, dass sie mathematisch sehr kompliziert ist. Sogar Einstein selbst brauchte Jahre, um die Mathematik zu verstehen, mit der man gekrümmten Raum und verbogene Zeit beschreiben kann.
Einsteins Herangehensweise war aber nicht die einzige und auch nicht die eleganteste Möglichkeit, die Geometrie der Raumzeit zu beschreiben. Roger Penrose, der für seine Arbeiten über Schwarze Löcher 2020 mit dem Physiknobelpreis ausgezeichnet wurde, schlug einen originellen alternativen Zugang vor: Anstatt einen gekrümmten vierdimensionalen Raum zu verwenden, geht Penrose von zweidimensionalen Vektorräumen aus – allerdings sind dort dafür komplexe Zahlen erlaubt.
Herbert Balasin vom Institut für theoretische Physik der TU Wien und Peter Aichelburg, Gravitationsphysiker an der Universität Wien nahmen diesen Ansatz von Roger Penrose nun genauer unter die Lupe und konnten zeigen: Auch bestimmte Arten von Gravitationswellen lassen sich in diesem Formalismus korrekt darstellen.
Abstände in Raum und Zeit
Wenn wir im Alltag Abstände berechnen, verwenden wir dafür den Satz des Pythagoras: Man summiert die Abstandsquadrate in jeder räumlichen Richtung und bekommt das Quadrat des Gesamtabstands. In der Relativitätstheorie kommt zu den drei Raumdimensionen als vierte Dimension die Zeit hinzu – nun kann man auf ganz ähnliche Weise einen Raumzeit-Abstand zwischen zwei Ereignissen ausrechnen. Allerdings ändert sich dabei ein Vorzeichen: Das Abstandsquadrat ist das Quadrat des zeitlichen Abstands minus dem Quadrat des räumlichen Abstands – nicht mit Pluszeichen dazwischen, wie beim gewöhnlichen Satz des Pythagoras.
„Das bedeutet, dass der Abstand positiv oder negativ werden kann. Man bekommt drei verschiedene Arten von Abständen“, erklärt Herbert Balasin. Wenn der zeitliche Abstand größer ist als der räumliche Abstand, ist der Gesamtabstand größer als null – man spricht von einem „zeitartigen Intervall“. Im umgekehrten Fall hat man es mit einem „raumartigen Intervall“ zu tun. Und das Licht selbst ist genau an der Grenze dazwischen – es legt pro Sekunde immer genau die Distanz von einer Lichtsekunde zurück. Der raumzeitliche Abstand zwischen zwei lichtartig verbundenen Ereignissen – etwa die Entstehung eines Photons in der Sonne und seine Absorption acht Minuten später auf der Erde – beträgt immer genau null.
Kein Abstand ohne Metrik
„Um herauszufinden, in welche dieser drei Kategorien ein bestimmter Vektor in der Raumzeit gehört, muss man normalerweise allerdings die Metrik kennen“, sagt Herbert Balasin. Die Metrik (oder „metrischer Tensor“) ist ein mathematisches Objekt, das in Einsteins Relativitätstheorie eine zentrale Rolle spielt. Sie legt an jedem Punkt die Beziehung zwischen räumlichen und zeitlichen Abständen fest und beschreibt damit die Krümmung der vierdimensionalen Raumzeit, die etwa durch schwere Massen hervorgerufen wird. „Ohne diese Metrik kann man keine Abstände ausrechnen – sie sagt uns erst, was der Abstandsbegriff überhaupt bedeutet“, sagt Herbert Balasin.
Deswegen klang es für Relativitätstheorie-Profis zunächst überraschend, dass Roger Penrose zeigte: Man kann auch völlig ohne Verweis auf eine Metrik Nullvektoren konstruieren – also die Ausbreitung des Lichts durch Raum und Zeit beschreiben. Der Schlüssel dazu war, dass Penrose statt vierdimensionaler Vektoren in Raum und Zeit zweidimensionale Spinoren verwendet – mathematische Objekte, die etwas anderen Regeln gehorchen. Sie lassen sich außerdem nicht bloß in reellen Zahlen aufschreiben, wie die Koordinaten eines Vektors in Raum und Zeit, sondern in komplexen Zahlen. Unserer physikalischen Intuition mag es schwerfallen, statt über vierdimensionale Raumzeiten über zweidimensionale komplexe Räume nachzudenken, aber mathematisch wird die Sache dadurch klarer. „Die Idee von Roger Penrose ist eine bahnbrechende neue Einsicht, die uns auch viel besser als bisher zeigt, wie eng unterschiedliche Theorien miteinander zusammenhängen – etwa die Relativitätstheorie und die Elektrodynamik“, erklärt Herbert Balasin. „Plötzlich kann man unterschiedliche Theorien auf mathematisch ganz ähnliche Weise darstellen.“
Gravitationswellen im Spinor-Raum
Ob es sich dabei allerdings bloß um mathematische Eleganz handelt, oder um ein praktikables Werkzeug, muss sich zeigen, wenn man die Theorie für konkrete Berechnungen einsetzt. Genau das probierten Herbert Balasin und Peter Aichelburg nun aus, und zwar anlässlich des neunzigsten Geburtstags von Roger Penrose. Sie konnten zeigen, dass man mit dem alternativen Zugang von Penrose ganz ohne Metrik bestimmte Sorten von Gravitationswellen beschreiben kann – die sogenannten „ebenfrontigen Gravitationswellen“.
„Das heißt natürlich nicht, dass die Art, wie man die allgemeine Relativitätstheorie bisher betrachtet hat, falsch war“, sagt Herbert Balasin. Aber wenn sich diese neue Darstellung in komplexen zweidimensionalen Räumen bewährt, kann das weitreichende Konsequenzen haben. Die Betrachtungsweise ermöglicht einfachere, klarere Einblicke in die Zusammenhänge zwischen Theorien – vielleicht rückt damit sogar das große Ziel näher, Relativitätstheorie und Quantentheorie endgültig zu vereinen.
Die Forschungsarbeit über Gravitationswellen in Penroses Spinor-Formalismus wurde nun als „Featured Article“ im Fachjournal AVS Quantum Science publiziert. Auch in der Lehre an der TU Wien fließen die neuen Betrachtungsweisen bereits ein – etwa in Balasins Vorlesung „Geometrie und Gravitation II“.
Originalpublikation
P.C. Aichelburg and H. Balasin: Curvature without metric: the Penrose construction for half-flat pp-waves, AVS Quantum Sci. 4, 020801 (2022).
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