Tsyklon

Die Tsyklon war eine der wichtigsten sowjetischen Trägerraketen der 1970er und 1980er Jahre und startete eine ganze Reihe von militärischen Satelliten für die Sowjetunion. Nach dem Untergang der UdSSR soll sie nun kommerziell erfolgreich werden.

Autor: Daniel Maurat.

Geschichte

Start einer Tsyklon 3 mit einem Meteor-3-Wettersatelliten am Bord im Jahr 1991. Eine Tsyklon 2K würde genauso aussehen.
(Bild: NASA)

Anfang der 1960er Jahre war die UdSSR führend in Sachen Raumfahrt, doch bestand für sie ein ganz Grundlegenes Problem für ihre Strategie: Während die USA Mittelstreckenraketen in Europa, so etwa der Türkei oder Großbritannien, stationiert hat und so große Teile der strategisch wichtigen Ziele in der Sowjetunion innerhalb von wenigen Minuten angreifen konnten, konnten die Sowjets nur Interkontinentalraketen stationieren, die aufgrund ihrer Route über dem Nordpol zunächst einmal 30 Minuten brauchten, um überhaupt die USA zu erreichen, diese aber auch schnell und leicht von den Amerikanern entdeckt werden konnten. Zwar wollte man dieses Problem lösen, indem man vor Amerika einfach Mittelstreckenraketen stationierte, wie die USA vor der sowjetischen Haustür, doch führe dieses Vorgehen zur Kuba-Krise und damit beinahe zu einem Atomkrieg.

Eine R-36 O / Tsyklon auf der Startrampe.
(Bild: Juschnoje)

Aus dieser Zwangslage heraus begann man in der Sowjetunion, eine ganz neue Interkontinentalrakete zu entwickeln: Sie sollte einen oder mehrere Atomsprengköpfe nach Amerika bringen, und das über die so genannte Süd-Route (also startet die Rakete nach Süden), was den Amerikanern zwar eine Reaktionszeit von nur noch fünf Minuten gab, aber auch eine stärkere Rakete erforderte als für den Start über die Nordroute. So entstand die 8K67 R-36, eine der stärksten Interkontinentalraketen aller Zeiten. Sie basiert auf der R-16, die schon 1960 zum ersten Mal flog und auch traurige Berühmtheit durch eine Explosion auf der Startrampe, auch als Nedelin-Katastrophe bekannt, bei der am 24. Oktober 1960 126 Menschen starben, darunter auch der Befehlshaber der strategischen Raketentruppen, Mitrofan Nedelin. Später war sie dann aber eine der Stützen der sowjetischen Abschreckungspolitik und war in der Lage, über die Nordroute große Teile der USA anzugreifen, doch bestand das schon genannte Problem mit der Ortung der Rakete. Deswegen vergrößerte man die R-16, damit sie entweder mehr Nutzlast starten konnte, oder einfach eine größere Reichweite hatte. Die daraus entstandene R-36 war in der Auslegung mit der amerikanischen Titan vergleichbar, wobei die R-36 40 t schwerer war. Die Entwicklung wurde geleitet vom Konstruktionsbüro OKB-586, das spätere KB Juschnoje (russ. Кб (Констру́кторское бюро́ ) Ю́жное für südliches Konstruktionsbüro) unter Michail Jangel, in Dnipropetrowsk in der Ukraine. 1966 begann man mit der Stationierung der ersten R-36 in Silos in der ganzen Sowjetunion verteilt.

Eine Tsyklon 2A / Tsyklon 2 auf der Startrampe
(Bild: VideoKosmos)

Schnell erkannte man, dass die R-36 auch in der Lage wäre, verschiedene Satelliten für das sowjetische Militär zu starten. Dafür bekamen sie den Tarnnamen Tsyklon (russ. Циклон für Zyklone). Schnell wurde sie zu einem Standartträger für verschiedene Arten von Spionagesatelliten des UdSSR, unter anderem auch die mit Atomreaktoren betriebenen Satelliten vom Typ US-A, die zu Testzwecken schon mit modifizierten Raketen vom Typ R-7 gestartet wurden. Die ersten Starts fanden schon 1965 statt und im Laufe der Jahre wurden verschiedene Versionen der neuen Tsyklon eingeführt, mit der die Rakete noch effizienter wurde.

Versionen

Die Tsyklon gab es in vier Versionen, wobei sogar zurzeit (Stand: September 2011) zwei entwickelt werden:

  • Die 8K69 Tsyklon, auch Tsyklon 1 genannt, war eine suborbitale Version der Tsyklon. Sie wurde für verschiedene suborbitale Missionen bis in eine Höhe von 1.000 km benutzt. Sie war eine nur leicht modifizierte R-36, sodass eine theoretische Nutzlast eine weitere Oberstufe bräuchte, um in einen Erdorbit zu kommen. Sie kam zwischen 1965 und 1971 24 Mal zum Einsatz und brachte vor allem Nuklearsprengköpfe vom Typ OGCh (russ. ОГХ), die im Orbit geparkt werden können und dann jederzeit einen Deorbit durchführen und so jeden Punkt der Erde mit einer geringen Vorwarnzeit erreichen können. Solche Nuklearsprengköpfe werden FOBS (engl. Fractional Orbital Bombardment System für Orbitales Bombenabwurfsystem) genannt.
Start einer Tsyklon 2 / Tsyklon 2M.
(Bild: Juschnoje)
  • Die 11K67 Tsyklon 2, in der Literatur auch als Tsyklon 2A bekannt, war die erste Tsyklon-Version, die einen Erdorbit erreichen konnte. Sie war gegenüber der Tsyklon 1 nur leicht modifizieert worden und startete zwischen 1967 und 1969 gerade einmal acht Mal. Mit ihr wurde vor allem gezeigt, dass die Tsyklon auch Satelliten in den Erdorbit bringen konnte. Als Hauptnutzlasten wurden erste ASAT-Waffen vom Typ I2 sowie Testeinheiten des US-A-Satelliten, die noch ohne den Atomreaktor flogen, gestartet.
  • Die 11K69 Tsyklon 2M, in der Literatur auch als Tsyklon 2 bekannt, war eine sehr häufig eingesetzte Version der Tsyklon. Sie wurde nun häufig für Starts von verschiedenen Spionagesatelliten und ASAT-Antisatellitenwaffen genutzt. Typische Nutzlasten waren die Satelliten vom Typ US-A, die als Energiequelle einen Atomreaktor mit sich trugen, aber auch Ozeanspionagesatelliten vom Typ US-P und US-PM sowie die ASAT-Zieldarstellungssatelliten vom Typ IS-P, ASAT-Waffen vom Typ IS-A und auf dem Satellitenbus der US-A-Satelliten beruhenden Technologiesatelliten vom Typ Plasma A, mit denen auch das Erdmagnetfeld untersucht wurde. Sie war die erfolgreichste Version der Tsyklon und startete zwischen 1969 und 2006 ganze 106 Mal, wobei es nur einen Fehlstart gab, und das in den Anfängen der Tsyklon 2M Anfang der 1970er.
  • Die 11K68 Tsyklon 3 nutze als erste Tsyklon-Version eine dritte Stufe, um so eine größere Nutzlast in höhere Erdorbits zu bringen. Die Oberstufe stammt dabei von der R-36-O-Interkontinentalrakete, eine Weiterentwicklung der R-36. Sie startete zwischen 1977 und 2009 ganze 122 Mal, wobei es zu acht Fehlstarts kam. Sie startete von Plessetsk aus verschiedene Satelliten, die zuvor zumeist von Raketen der Wostok-Familie gestartet wurde. So flogen auf der Rakete verschiedene militärische und zivile Satelliten, so etwa bei Mehrfachstarts von militärischen Kommunikationssatelliten der Sterla-3-Klasse, elektronische Tselnia-D-Aufklärungssatelliten oder auch zivile Wettersatelliten vom Typ Meteor. Aber auch Meeresforschungssatelliten vom Typ Okean Geos-IK-Satelliten zur geodätischen Untersuchung der Erde sowie Satelliten der Interkosmos-Reihe und der Sonnenforschungssatelliten Koronas Foton gehörten zu den Nutzlasten der Tsyklon 3.
  • Die Tsyklon 2K ist eine verbesserte Version der Tsyklon 2M, die bisher (Stand: September 2011) noch nicht eingesetzt wurde. Sie soll eine neue Oberstufe vom Typ ADU-600, mit der die Nutzlastkapazität gesteigert werden soll. Auch soll sie entweder die gleiche Nutzlastverkleidung nutzen wie die Tsyklon 3 nutzen oder eine neue, die speziell für die Tsyklon 2K entwickelt wurde. Bisher gab es noch keine Nutzlasten, geschweige denn Starts, des neuen Trägers, doch ist man bei KB Juschnoje sicher, dass noch Aufträge kommen. Die Starts sollen dabei von Baikonur aus stattfinden.
Eine Tsyklon 4 im Flug – Künstlerische Darstellung
(Bild: KB Juschnoje)
  • Die Tsyklon 4 soll gegenüber der vorherigen Tsyklon-Versionen weiter verbessert werden. So ist eine neue Oberstufe geplant, die die Nutzlastkapazität im Vergleich zur Tsyklon 3 um 50% steigern soll. Sie soll auf Basis der Oberstufe der Tsyklon 3 entstehen, aber mehrfach wiederzündbar sein und über größere Tanks als die Oberstufe der Tsyklon 3 verfügen. Auch soll die restliche Rakete überarbeitet werden, so sollen auch Teile der R-36 M, die im Westen als Dnepr vermarktet wird, benutzt werden und ein neues digitales Lenksystem verwendet werden.

Technik

Die Tsyklon bestand aus zwei Stufen, die wiederum durch verschiedene Oberstufen ergänzt werden konnten:

  • Die erste Stufe der Tsyklon stammt direkt von der R-36 und der R-36 O ab. Sie ist 18,9 m lang, hat einen Durchmesser von 3 m und wiegt voll betankt, je nach eingesetzter Version, zwischen 122,3 und 127,42 t. Die Stufe verfügt über ein Triebwerkbündel vom Typ NPO Energomash RD-251, das aus drei Triebwerke vom Typ NPO Energomash RD-250 besteht. Diese besitzen wiederum jeweils zwei Brennkammern, sodass die Rakete über sechs Brennkammern verfügt. Diese haben je nach eingesetzter Version einen Schub von 2.336 kN bei einer Brenndauer von 113 Sekunden. Dieses wurde später durch das leistungsstärkere NPO Energomash RD-261 mit einem Schub von 2.502 kN bei einer Brenndauer von 112 Sekunden und das NPO Energomash RD-261M für die Tsyklon 2K und die Tsyklon 4 bei einem Schub von 2.607,6 kN bei einer Brenndauer von 107 Sekunden. Zusätzlich besitzt die Stufe über vier Verniertriebwerke vom Typ RD-855, auch als RD-68M bekannt, die in einem Winkel von 90° um die Erststufentriebwerke angeordnet sind. Mit ihnen kann die Rakete im Flug gesteuert werden. Als Treibstoff nutzt die Stufe gut lagerbares, aber hochgiftiges UDMH (Unsymmetrisches Dimethylhydrazin) und als Oxydator das genauso gut lagerbare und hochgiftige N2O4 (Distickstofftetroxid).
  • Die zweite Stufe stammt auch, wie die Erststufe, direkt von der R-36 / R-36O ab. Sie ist 10,86 m lang, hat einen Durchmesser von 3 m und wiegt voll betankt, je nach eingesetzter Version, zwischen 50,4 t und 51,657 t. Als Triebwerk nutzt man ein Triebwerk vom Typ NPO Energomash RD-252, das aus zwei Brennkammern besteht. Es hat, je nach eingesetzter Version, einen Schub von zwischen 941,4 kN und 975,8 kN bei einer Brenndauer von zwischen 140 und 151 Sekunden. Wie die Erststufe auch besitzt die Zweistufe über vier Verniertriebwerke vom Typ RD-866, auch als RD-69M bekannt, die, wie bei der Erststufe auch, in einem Winkel von 90° um die Stufe angeordnet sind. Sie dienen dazu, die Stufe bei der Zündung zu unterstützen, indem sie den Treibstoff am Boden halten und so einen konstanten Treibstofffluss ermöglichen, aber auch die Stufe während des Betriebs unterstützen. Als Treibstoff nutzt die Stufe UDMH und als Oxydator N2O4.
  • Die dritte Stufe der Tsyklon 3 mit der Bezeichnung S5M basiert auf der Wiedereintrittseinheit der R-36O basiert. Diese sollte die Nuklearwaffen vom Typ FOBS abbremsen, damit sie ein Ziel angreifen konnten. An sich ist die S5M 2,72 m lang, hat einen Durchmesser von 2,42 m und wiegt voll betankt 4,6 t. Das einzelne PA Juschmasch RD-861-Triebwerk hat einen Schub von 78,71 kN bei einer Brenndauer von 126 Sekunden. Im Triebwerk integriert sind vier Vernierdüsen, mit denen die Stufe gesteuert werden kann. Als Treibstoff nutzt man UDMH und als Oxydator N2O4.
  • Die dritte Stufe der Tsyklon 2K mit der Bezeichnung ADU-600 ist eine Neuentwicklung für die Tsyklon 2K. Sie ist 2,9 m lang, hat einen Durchmesser von zwischen 1 m und 2 m und wiegt voll betankt 1,64 t. Als Triebwerk nutzt man ein S7.21 mit einem Schub von 2,44 kN bei einer Brenndauer von 720 Sekunden. Als Treibstoff nutzt man UDMH und als Oxydator N2O4.
  • Die dritte Stufe der Tsyklon 4 ist eine komplette Neuentwicklung, die aber auf der Drittstufe der Tsyklon 3 basiert. Diese Oberstufe wird auch die größte der gesamten Tsyklon-Familie sein. Sie ist an sich 7,2 m lang, hat einen Durchmesser von 4 m und wiegt voll betankt 13,88 t. Das einzelne PA Juschmasch RD-861K-Triebwerk liefert einen Schub von 77.63 kN bei einer Brenndauer von 370 Sekunden. Als Treibstoff nutzt man UDMH und als Oxydator N2O4.

Starts

Insgesamt starteten (Stand: September 2011) zwischen 1965 und 2009 insgesamt 259 Raketen vom Typ Tsyklon, wobei es zu 16 Fehlstarts kam. Dabei startete man sowohl von Baikonur als auch von Plessetsk aus. Die Tsyklon 4 soll dagegen auch von Alcantara, dem brasilianischen Weltraumbahnhof, starten. Dazu unterschrieben der ukrainische Präsident Viktor Juschtschenko und der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva im Jahr 2009 eine Vereinbarung zur Nutzung Alcantaras für die Tsyklon 4. Hier eine kleine Statistik:

  • Tsyklon: 24 Starts, 5 Fehlstarts; Erstflug: 16. Dezember 1965, Letzter Flug: 8. August 1971
  • Tsyklon 2: 8 Starts, 2 Fehlstarts; Erstflug: 27. Oktober 1967 , Letzter Flug: 25. Januar 1969
  • Tsyklon 2M: 106 Starts, 1 Fehlstart; Erstflug: 6. August 1969 , Letzter Flug: 25. Juni 2006
  • Tsyklon 3: 122 Starts, 8 Fehlstarts; Erstflug: 24. Juni 1977, Letzter Flug: 30. Januar 2009
  • Tsyklon 2K: 0 Starts, 0 Fehlstarts; Erstflug: – , Letzter Flug:
  • Tsyklon 4: 0 Starts, 0 Fehlstarts; Erstflug: – , Letzter Flug: –

Die bekanntesten Nutzlasten der Tsyklon sind wohl Satelliten und ASAT-Waffen vom Typ IS-A und IS-P, Aufklärungssatelliten vom Typ US-A (mit Atomreaktoren) und US-P, sowie Kommunikationssatelliten der Strela-Reihe und Wettersatelliten vom Typ Meteor.

Zukunft

Die Zukunft der Tsyklon ist zwar nicht ganz gewiss, doch könnte sie rosig werden: je nachdem wie es in den nächsten Jahren für Juschnoje mit der Vermarktung läuft, können schon in wenigen Jahren wieder Raketen vom Typ Tsyklon 2K, Tsyklon 3 und Tsyklon 4 von Plessetsk, Baikonur und Alcantara starten. Vor allem in die Tsyklon 4 setzt man große Hoffnungen, dass sie kommerziell erfolgreich wird. Da Alcantara die für Starts in niedrige Inklinationen (so etwa auch den geostationären Orbit) beste Lage hat, nämlich nahe dem Äquator (sogar näher als Kourou, von wo aus die Ariane 5 startet und in Zukunft die Sojus 2 und die VEGA starten werden).

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