Sternbedeckung durch den Asteroiden (472) Roma

Am späten Abend des 8. Juli 2010 steht den Betrachtern des Sternenhimmels in Nord- und Westdeutschland ein seltenes astronomisches Ereignis bevor. Der 2,7 mag helle Stern Delta Ophiuchi im Sternbild Schlangenträger wird in dieser Nacht von dem lediglich 13,5 mag hellen Asteroiden (472) Roma bedeckt. Diese Sternverfinsterung kann mit dem bloßem Auge verfolgt werden.

Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: IOTA-ES, Vereinigung der Sternfreunde, ESA.

Oliver Klös, IOTA-ES
Der Verlauf der berechneten Zentrallinie über Nordeuropa und Deutschland wird in dieser Grafik durch die grünen Linien markiert. Hier ist die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Beobachtung der Bedeckung am größten. Zur Vergrößerung der Grafik klicken Sie bitte auf die Lupe.
(Bild: Oliver Klös, IOTA-ES)

Sternbedeckungen durch Asteroiden sind an sich kein allzu seltenes astronomisches Ereignis. Allerdings können diese Sternverfinsterungen in den meisten Fällen nur von „Spezialisten“ beobachtet werden, denn normalerweise verdeckt dabei ein sehr lichtschwacher und mit bloßem Auge nicht erkennbarer Asteroid einen ebenfalls sehr lichtschwachen Stern. Diese Sterne sind dabei meistens nicht viel heller als der bedeckende Asteroid, so dass der Lichtabfall nur mit einem entsprechenden Teleskop beobachtet werden kann und zudem nicht sonderlich spektakulär ausfällt. Die Beobachter müssen dabei zusätzlich darauf vertrauen, dass die Vorhersagen über den Verlauf des Finsternispfades korrekt waren und sie ihre Instrumente auch an den richtigen Orten platziert haben.

Anders jedoch in der Nacht des 8. Juli 2010, wenn der Asteroid (472) Roma von der Erde aus gesehen direkt vor dem Stern Delta Ophiuchi, dem vierthellsten Stern im Sternbild Schlangenträger, vorbeizieht und diesen dabei bedeckt. Zwar ist auch (472) Roma mit einer Helligkeit von lediglich 13,5 mag viel zu lichtschwach, um mit dem bloßen Auge erkennbar zu sein, der Stern Delta Ophiuchi weist dagegen jedoch eine Helligkeit von 2,7 mag auf und ist ohne technische Hilfsmittel erkennbar. Delta Ophiuchi, sein Eigenname lautet Yed Prior, ist etwa 170 Lichtjahre von unserem Sonnensystem entfernt. Aufgrund des voraus berechneten Pfades des Finsternisverlaufs können somit theoretisch zwischen 23:57 Uhr MESZ in Südfinnland und 00:01 Uhr MESZ in Südportugal Millionen von Menschen Augenzeugen dieses astronomischen Schauspiels werden, ohne dabei ein optisches Hilfsmittel zur Hand nehmen zu müssen.

Der am 11. Juli 1901 von dem italienischen Astronomen Luigi Carnera entdeckte Asteroid (472) Roma verfügt über einen Durchmesser zwischen 47 und 51 Kilometern und wird zum Zeitpunkt der Bedeckung des Sterns Delta Ophiuchi etwa 300 Millionen Kilometer, dies entspricht in etwa zwei Astronomischen Einheiten, von der Erde entfernt sein. Daraus ergibt sich, dass der Streifen, in welchem die erfolgende Sternverfinsterung zu beobachten ist, lediglich etwa 70 Kilometer breit sein wird. Der berechnete Finsternispfad verläuft dabei direkt über Südfinnland, Südschweden, die zu Dänemark gehörende Insel Seeland, Nord- und Westdeutschland, Belgien, Frankreich, Spanien und Portugal. Mehrere europäische Großstädte wie zum Beispiel Stockholm, Kopenhagen, Hamburg, Bremen, Essen, Köln, Bordeaux und Bilbao liegen dabei entweder direkt im vorausberechneten Finsternispfad oder aber an dessen Rändern. Auch die portugiesische Algarve-Küste und die Kanaren befinden sich laut der Berechnungen innerhalb des Pfades der Verfinsterung.

Oliver Klös, IOTA-ES
Auch Beobachter innerhalb der mit gestrichelten Linien begrenzten Gebiete könnten die Bedeckung erfolgreich beobachten, da der exakte Verlauf des Finsternispfades nur sehr schwer zu bestimmen ist.
(Bild: Oliver Klös, IOTA-ES)

Der Schatten des Asteroiden bewegt sich im Verlauf der Sternverfinsterung mit einer Geschwindigkeit von etwa neun Kilometern pro Sekunde über den europäischen Kontinent. Der in Deutschland liegende Streifen der Sternverfinsterung befindet sich dabei im Zeitraum zwischen 23:57:30 Uhr MESZ an der Ostseeküste und 23:57:59 Uhr MESZ im Grenzgebiet zwischen Deutschland und Belgien im „Asteroidenschatten“.

Der Asteroid verfügt, wie bereits erwähnt, über eine Helligkeit von lediglich 13,5 mag. Der bei der Bedeckung des Sterns erfolgende Lichtabfall beträgt somit 10,8 Größenklassen. Nur ein Beobachter, welcher in der Phase der Verfinsterung ein Teleskop mit einer Öffnung von mindestens acht Zoll einsetzt, kann diesen Lichtabfall im vollen Umfang direkt verfolgen. Für die Benutzer kleinerer Instrumente oder für das bloße Auge wird der Stern dagegen kurzfristig „verschwinden“. Für Beobachter, welche genau in der Mitte der Verfinsterungslinie positioniert sind, ergibt sich dabei eine maximale Bedeckungszeit des Sterns von etwa 5,6 Sekunden. Die Verfinsterung des Sterns wird allerdings nicht schlagartig erfolgen, sondern vielmehr wird es eine deutlich wahrnehmbare Phase geben, in der die Helligkeit abnimmt beziehungsweise am Ende des Ereignisses wieder zunimmt. Diese Phase wird einen Zeitraum von jeweils weniger als einer Sekunde einnehmen.

Da sich der Stern Delta Ophiuchi zum Zeitpunkt der Verfinsterung in einer Höhe von über 30 Grad über dem süd-südwestlichen Horizont befindet, bieten sich optimale Bedingungen für dessen Sichtbarkeit. Die Sichel des abnehmenden Mondes steht zum Zeitpunkt der Verfinsterung noch weit unterhalb des Horizonts und wird die Beobachtung des Ereignisses deshalb nicht weiter stören. Sollten Sie sich jedoch in einer Stadt aufhalten, so könnten Lichtverschmutzung und Dunst die Wahrnehmung der schwächeren Sterne im Sternbild des Schlangenträgers zum Teil erheblich beeinträchtigen. Besonders in Norddeutschland ist der Himmel zudem durch die im Sommer herrschende Mitternachtsdämmerung etwas aufgehellt. Unter diesen Umständen sollten sie es in Betracht ziehen, die Sternbedeckung durch einen Feldstecher zu beobachten, welcher dabei möglichst auf einem Stativ montiert sein sollte.

Erstellt mit Stellarium
Das Sternbild Schlangenträger befindet sich im Juli gegen Mitternacht über dem süd-südwestlichen Horizont. Als Leitstern kann der direkt über dem Horizont befindliche, in einem rötlichen Licht strahlende und deshalb sehr auffällige Stern Antares im Sternbild Skorpion herangezogen werden.
(Bild: Erstellt mit Stellarium)

Wie auch bei einer Sonnenfinsternis kann eine Sternbedeckung nur auf der Zentrallinie der Bedeckung in voller Länge wahrgenommen werden. Außerhalb der im Fall von (472) Roma und Delta Ophiuchi rund 70 Kilometer breiten Finsterniszone wandert der Asteroid vom Beobachter aus gesehen knapp am Stern vorbei. Allerdings ist der exakte Verlauf der Zentrallinie nicht genau bekannt. Sie kann infolge von minimalsten Unsicherheiten bezüglich der Position des Sterns und des exakten Verlaufs der Umlaufbahn des Asteroiden um die Sonne um mehrere Kilometer von dem in den weiter oben gezeigten Karten abweichen.

Zur Verdeutlichung dieses Unsicherheitsfaktors muss erwähnt werden, dass (472) Roma zum Zeitpunkt der Sternbedeckung etwa 300 Millionen Kilometer von der Erde entfernt sein wird. Bei einem Durchmesser des Asteroiden von rund 50 Kilometern entspricht dies einem Winkeldurchmesser von lediglich 34 Millibogensekunden. Somit ist es denkbar, dass sich die tatsächliche Finsterniszone um bis zu 30 Kilometer von dem vorausberechneten Gebiet verschiebt. Zusätzlich beeinflussen der nicht genau bekannte Durchmesser des Asteroiden und dessen Form die Ausdehnung der Finsterniszone. Die vorhergesagte Finsterniszone ist somit lediglich als ein allgemeiner Anhaltspunkt zu verstehen.

Überhaupt sollte man sich bei dieser Sternbedeckung auf Überraschungen einstellen, denn Delta Ophiuchi ist möglicherweise Teil eines Mehrfachsternsystems. Es ist denkbar, dass der Stern einen sehr engen Begleiter besitzt, welcher dann ebenfalls von (472) Roma bedeckt werden könnte. Außerdem sollten Teleskopbeobachter auf Helligkeitsschwankungen des Sterns unmittelbar vor und nach dem Hauptereignis Ausschau halten, denn vielleicht besitzt (472) Roma einen bislang unbekannten Mond, welcher den Stern ein weiteres Mal für einen kurzen Augenblick verschwinden lässt. Aus diesem Grund sollte Beobachter dieses Ereignisses den Stern rechtzeitig „ins Visier“ nehmen und die Beobachtung auch nach dem Ende der Bedeckung für einen geraumen Zeitraum fortsetzten.

Erstellt mit Stellarium
Eine Auffindkarte für den Stern Delta Ophiuchi – sein Eigenname lautet Yed Prior. Vermeiden Sie bei der Beobachtung der Bedeckung eine Verwechslung mit dem fast genauso hellen Nachbarstern Yed Posterior!
(Bild: Erstellt mit Stellarium)

Die Sternbedeckung am 8. Juli 2010 bietet die seltene Gelegenheit, ohne den Einsatz großer Instrumente wichtige Daten über den Asteroiden (472) Roma zu sammeln. Mitglieder der IOTA-ES, der International Occultation Timing Association – European Section, werden die Bedeckung deshalb europaweit beobachten und den Zeitpunkt und die Dauer des Ereignisses genau vermessen und auswerten. Sofern genügend Datensätze zusammengetragen werden können, lässt sich aus diesen Daten eine hochgenaue Positionsangabe des Asteroiden erstellen, indem man den exakten Verlauf des Verfinsterungspfades bestimmt. Aus der genauen Dauer der Sternverfinsterung lässt sich zudem der Durchmesser des Asteroiden bis auf wenige Kilometer genau ermitteln. Wenn sich zusätzlich sehr viele Beobachter senkrecht zu dem erwarteten Finsternispfad positionieren, kann dabei sogar das Profil des Asteroiden bestimmt werden. Aus einem solchen Profil lassen sich dann wiederum Rückschlüsse auf die Form von (472) Roma ziehen.
Aus diesem Grund werden Amateurastronomen dazu aufgerufen, ihre Beobachtungsergebnisse an die IOTA-ES zu übermitteln. Die Daten müssen neben den per GPS ermittelten genauen Koordinaten des Beobachtungsstandortes auch die genauen Zeitpunkte der einzelnen Kontaktzeiten enthalten, welche am besten durch ein DCF77-Zeitsignal ermittelt werden. Visuelle Beobachter der Bedeckung verwenden am besten eine Stoppuhr und ein Tonbandgerät, auf welches ein entsprechendes Zeitsignal akustisch eingespielt werden kann. Noch effektiver ist allerdings die optische Aufzeichnung der Bedeckung mittels eines Camcorders oder einer Webcam. Eine genauere Anleitung für eine astronomisch auswertbare Beobachtung des Ereignisses hat die IOTA-ES hier bereitgestellt.

Oliver Klös, IOTA-ES
Auch in Frankreich, Spanien, Portugal und auf den Kanaren wird das Ereignis zu beobachten sein.
(Bild: Oliver Klös, IOTA-ES)

Ihre Beobachtungsresultate können Sie anschließend an die IOTA-ES übermitteln. Ein entsprechendes Formular finden Sie auf dieser Internetseite in deutscher Sprache. Dabei sollten auch erfolglose Beobachtungen weitergeleitet werden. Mit der Kenntnis der „negativen“ Beobachtungskoordinaten kann der exakte Verlauf des Finsternispfades eingegrenzt werden, was zum Beispiel für die Ermittlung eines Profils für (472) Roma von Bedeutung ist. Besuchen Sie diese Seite auch noch einmal vor dem Ereignis, denn eventuell werden dort von der IOTA-ES noch weitere Updates zu der Verfinsterung bereit gestellt.

Die Helligkeit des mit dem bloßem Auge sichtbaren Sterns Yed Prior, die günstigen Sichtbedingungen zum Zeitpunkt des Ereignisses und die optimale Lage des Finsternispfades, welcher ganz Europa abdeckt, bietet die Gelegenheit, die Verfinsterung von Delta Ophiuchi durch (472) Roma zu einer der am besten dokumentierten Sternbedeckungen in der Geschichte der Astronomie werden zu lassen. Voraussetzung hierfür ist allerdings, wie immer in der beobachtenden Astronomie, dass das Wetter mitspielt und der Himmel in der betreffenden Nacht möglichst klar und wolkenfrei erscheint. Außerdem müssen die Beobachter der Sternbedeckung sicherstellen, dass sie auch den richtigen Zielstern ins Auge gefasst haben, denn lediglich 1,04 Grad von Yed Prior entfernt befindet sich der lediglich etwa 0,5 mag lichtschwächere Nachbarstern Yed Posterior.

Raumfahrer.net wünscht Ihnen eine erfolgreiche Beobachtung dieses in dieser Form nur sehr selten zu beobachtenden astronomischen Himmelsschauspiels. Zum letzten Mal konnte eine Sternbedeckung durch einen Asteroiden mit dem bloßen Auge von Europa aus am 19. Oktober 2005 verfolgt werden. An diesem Tag bedeckte der Asteroid (166) Rhodope den 1,36 mag hellen Stern Alpha Leonis im Sternbild Löwe, welcher auch unter seinem Eigennamen Regulus bekannt ist.

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