Simulierter Marsflug hat begonnen

Mit der Isolationsstudie Mars 500 wollen ESA, DLR und die russische Raumfahrtagentur Roskosmos die psychischen Auswirkungen von Langzeitmissionen untersuchen, beispielsweise zum Mars. Das erste 100-Tage-Experiment startete kürzlich in Moskau. Längere Experimente sollen folgen.

Quelle: DLR Pressemitteilung.

DLR
Mars500-Isolationskammer in Moskau
(Bild: DLR)

Wie kann die physische und psychische Leistungsfähigkeit eines Menschen unter den extremen Bedingungen eines Fluges zum Mars erhalten werden? Das höchst ambitionierte Isolationsexperiment startete am 31. März 2009 im Institut für Biomedizinische Probleme (IBMP) der russischen Akademie der Wissenschaften. Sechs Menschen werden für die Dauer von 105 Tagen in einen Container eingeschlossen, um verschiedene Aspekte eines simulierten Marsfluges zu trainieren.

Das Experiment wird von ESA, DLR und der IBMP durchgeführt. Unter den Teilnehmern ist neben vier Russen und einem Franzosen auch der Deutsche Oliver Knickel, ein 28-jähriger Bundeswehr-Offizier aus Eschweiler bei Aachen.

Die bei „Mars500“ vorherrschenden Rahmenbedingungen bilden eine einzigartige Testumgebung. Erstmals wird eine sogenannte elektronische Nase, ein tragbares Gas-Sensorsystem zum Aufspüren mikrobakterieller Verunreinigung, seine Einsatztauglichkeit unter Beweis stellen. Ziel der hier federführend beteiligten Forschungszentren – IBMP, DLR und UFT (Zentrum für Umweltforschung und nachhaltige Technologien der Universität Bremen) – ist es, das Gerät für den Einsatz im russischen Segment der Internationalen Raumstation ISS zu qualifizieren. Im Inneren der russischen Vorläufer-Station MIR hatten Wissenschaftler zahlreiche, teilweise mutierte Bakterien- und Pilzarten nachgewiesen. Diese befanden sich hauptsächlich auf kalten Materialoberflächen, in deren Umgebung Kondenswasser vorhanden war. Zerstörte Glas-, Kabel- und Plastikteile waren die Folge. Gerade bei einer Langzeitmission, zum Beispiel zum Mars, würde das unkontrollierte Wachstum solcher Kulturen ein gravierendes Problem darstellen. Die von der Firma Airsense Analytics mit finanzieller Förderung durch das DLR entwickelte elektronische Nase könnte ein Lösungsansatz sein: Sie ist in der Lage, Gerüche zu erlernen und wiederzuerkennen. Sie liefert objektive Ergebnisse im Minutentakt.

Auch der menschliche Organismus ist bei einer bemannten Weltraummission von entscheidender Bedeutung. Daher gibt es bei „Mars500“ hierzu ein eigenes Experiment: Die Zufuhr von Nahrungsmitteln und der Stoffwechsel der Versuchspersonen wird vollständig überwacht und dokumentiert. Wissenschaftler der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg führen eine Langzeituntersuchung zum Salz- und Flüssigkeitshaushalt des menschlichen Körpers durch. Weitere Experimente beschäftigen sich, darauf aufbauend, unter anderem mit dem Einfluss der Salzzufuhr auf den Blutdruck in Abhängigkeit von Stress und Arbeitsplan. Der erwartbare Erkenntnisgewinn in der Weltraummedizin kommt auch Patienten auf der Erde zugute. Wissenschaftler des DLR aus Köln und Hamburg sowie der Deutschen Sporthochschule Köln sind an diesem Versuch ebenso beteiligt wie an Untersuchungen des Knochenstoffwechsels unter eingeschränkter Aktivität und der psychophysiologischen Leistungsfähigkeit unter Extrembedingungen. Den Auswirkungen von Stress auf das Immunsystem gehen Mediziner der Ludwig-Maximilians-Universität München auf den Grund.

Die Entfernung zwischen der Erde und dem Mars schwankt zwischen 56 und rund 400 Millionen Kilometern. Selbst bei einer günstigen Konstellation müsste eine Hin- und Rückreisezeit von insgesamt knapp 500 Tagen einkalkuliert werden, ein einmonatiger Forschungsaufenthalt auf dem Roten Planeten nicht mitgerechnet.

ESA
Die setzköpfige Besatzung der ersten hundertägigen Mars 500-Simulationsmission
(Bild: ESA)

Eine solche bemannte Mission, die in circa zwanzig bis dreißig Jahren Realität werden könnte, stellt höchste Anforderungen an die Crew: Abgesehen von langen Schwerelosigkeits- und kurzen Hyperschwerkraftphasen sowie dem Einfluss kosmischer Strahlung, die im Rahmen der Mars500-Mission nicht untersucht werden, müsste der Verlust der visuellen Bindung an die Erde kompensiert und lebenswichtige Entscheidungen wegen des verzögerten Funkkontakts zum Boden autonom getroffen werden. Zudem müssten die Astronauten in der Lage sein, die technischen Systeme ihres Raumschiffs ohne Lieferung zusätzlicher Ausrüstung selbst zu warten.

Nur drei Quadratmeter PrivatsphäreBei dem Container, der am 31. März bezogen wird, handelt es sich um ein röhrenförmiges Modularsystem mit einer Wohn- und Arbeitsfläche von 180 Quadratmetern. Hinzu kommen Kühl- und Gefrierzellen für die Nahrungsmittel, die größtenteils von deutschen Zulieferern zur Verfügung gestellt werden sowie eine kleine Quarantänestation. Es herrscht normaler Luftdruck, das Gravitationsfeld ist unbeeinflusst. Jedem Probanden steht eine Kabine von drei Quadratmetern Grundfläche einschließlich eines schmalen Betts zur Verfügung. Der Funkverkehr zur „Bodenstation“ und zurück erfolgt mit bis zu 40-minütiger Verzögerung. Darüber hinaus ist es den Teilnehmern gestattet, E-Mails und Videobotschaften zu versenden.
Zwölf Teilnehmer – die sechsköpfige Containercrew und eine als Bodencrew fungierende Ersatzmannschaft in gleicher Stärke – trainieren bis kurz vor dem Start alle wesentlichen Arbeitsschritte. Parallel laufen abschließende medizinische und psychologische Checks. Zusätzlich fungieren von europäischer Seite die Franzosen Cedric Mabilotte und Arc´hanmael Gaillard als Ersatz beziehungsweise als Teil der Bodencrew.

Voraussichtlich im Dezember 2009 soll das Experiment mit einer realitätsnahen Flug- und Aufenthaltsdauer auf dem Mars von 520 Tagen in die zweite Runde gehen. Eigens hierfür werden derzeit eine Mars-Landeeinheit und eine virtuelle Marsoberfläche konstruiert.

Diese Meldung wurde übernommen aus einer Pressemitteilung des DLR.
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