Doktor Sigmund Jähn, Fliegerkosmonaut und erster Deutscher im All, feiert am 13. Februar 2017 seinen 80. Geburtstag. Wir gratulieren herzlich!
Viele berühmte Persönlichkeiten definieren sich in der Geschichte nur durch eine einzige große Tat.
Der preußische General Blücher wäre bestimmt heute nicht so bekannt, wenn er nicht in der Schlacht bei Waterloo am 18. Juni 1815 entscheidend eingegriffen hätte.
Charles Augustus Lindbergh war ein einfacher Pilot. Durch eine einzige Tat wurde er weltberühmt, sein Atlantikflug 1927.
Ein kleiner bis dato völlig unbekannter Oberleutnant wurde im April 1961 vom Schicksal an eine Stelle gestellt, die ihn zum Symbol des Beginns eines neuen Zeitalters machte, der bemannten Raumfahrt: Juri Gagarin.
Ist es aber gerechtfertigt, die Lebensleistung nur durch eine einzelne Tat zu definieren? Eine schwere Frage und nicht leicht zu beantworten.
Der hier genannte Jubilar hat auch so eine Tat vollbracht, mit der er, ob er will oder nicht, immer in Zusammenhang gebracht wird. Mit dieser Tat ist er im Bewusstsein vieler Landsleute verankert. Sigmund Jähn ist als erster Deutscher 1978 ins All geflogen.
Viel wurde seinerzeit darüber berichtet und bis in die heutigen Tage wieder und immer wieder. Der Start von Sojus-31. Die Arbeit auf der Orbitalstation Salut-6. Die Landung mit Sojus-29. Viele große und kleine Geschichten über und um diesen Flug wurden erzählt. Alles wurde schon hunderte male berichtet und wieder berichtet. Ausgeschmückt oder kleingeredet. Immer, wie man es gerade zu sehen glaubte. Diese eine Woche Aufenthalt im Weltraum wurde von einigen Zeitgenossen als überragender Beweis der Überlegenheit des damals herrschenden Systems gewertet. Für andere war es „nur“ eine Propagandashow. Beides stimmt nicht. Aber der Akteur kann sich nur schwer gegen eingefahrene Vorurteile wehren.
Für den Autor dieser Zeilen definiert sich die Lebensleistung nicht in dieser einzigen Tat. Der Jubilar hat ein nicht gerade eintöniges Leben geführt. Nur einige Stationen seines Lebens seien hier genannt. Er wird in Morgenröthe-Rautenkranz (Sachsen) geboren. Ein Ort im tiefsten Vogtland, dessen Name noch heute manchen Unkundigen zum Schmunzeln anregt. Als junger Mann lernt er den bodenständigen Beruf eines Buchdruckers. Er will fliegen. Das ist für ihn nur bei den Luftstreitkräften der DDR möglich. So wird er Militärpilot. Hier sieht der junge Unterleutnant und frisch gebackene Pilot erstmals dem Tod ins Auge. Er muss sich aus einer MiG-17 nach Triebwerksausfall katapultieren. Ein Stück verkohlte Karte aus den Flugzeugtrümmern wird zum Talisman. Er studiert in Moskau an der Militärakademie in Monino und erlebt dort 1968 den tragischen Unfalltod von Juri Gagarin. Er wird Inspekteur für Jagdfliegerausbildung und Flugsicherheit. 1976 folgt dann unerwartet die Auswahl in den streng geheimen Kader für Interkosmonauten.
Die Sowjetunion hatte mit den sozialistischen Bruderländern vereinbart, dass auch Bürger dieser Länder mit sowjetischen Raumschiffen fliegen durften. Jähn setzt sich gegen alle Mitbewerber zum Schluss durch. Auch bedingt durch sein warmherziges Auftreten. 1978 dann die ersten Interkosmos-Raumflüge. Zuerst fliegt der Tschechoslowake Remek. Die Reihenfolge ist aus politischen Gründen gesetzt. Danach soll ein DDR-Bürger starten. Doch Polen interveniert und setzt sich durch. So ist der Nächste der Pole Hermaszewski. Jähn soll diese „Zurückstellung“ mit den Worten kommentiert haben: „Somit hatten wir mehr Zeit, uns noch besser auf das wissenschaftliche Forschungsprogramm vorzubereiten … .“
Am 26. August 1978 ist es soweit. Jähn ist nicht nur der erste DDR-Bürger in der Umlaufbahn. Die Machthaber betonen auch, dass er der erste Deutsche im All ist. In der alten Bundesrepublik wird diese Tatsache damals nicht gerade mit Beifallstürmen aufgenommen. Jähn selber absolviert den Raumflug ganz professionell, aber auch mit Warmherzigkeit und Witz. Unvergessen ist die Geste am Fuße der Startrampe. Daumen hoch. Mindestens zwei Bildreporter halten diesen ganz kurzen Augenblick fest. Das Bild wird zum Symbol. Auf geht’s!
Später gerät die Ankopplung an die Orbitalstation Salut-6 zur Zitterpartie. Die Luke klemmt. Aber alles geht gut. Auf der Raumstation steht dann ein dicht gedrängter Zeitplan für wissenschaftliche Forschung an. Eines der Hauptexperimente ist die Erdfernerkundung mit der Multispektralkamera MKF-6, im DDR-Volksmund spöttisch als „Multispektakelkamera“ bezeichnet. Dass diese Kamera damals technischer Höchststand war und sich auch auf dem West-Welt-Markt hätte gut verkaufen lassen können, das ist weniger bekannt. Nach dem Raumflug wird Jähn bei Professor Marek, einem der Väter der MKF-6, auf dem Gebiet der Fernerkundung promovieren.
Die Tage im Weltraum vergehen buchstäblich wie im Fluge. Die Landung ist dann mehr als hart. Das Ausklinken des Fallschirms erfolgt nicht so, wie vorgesehen. Der Wirbelsäulenschaden, den Jähn dabei davon trägt, wird ihn sein weiteres Leben begleiten.
Nach der Landung ist vor dem Jubel. Jähn wird in der DDR zum Superstar hochstilisiert. Einer von vielen Witzen erklärt die neue Längeneinheit in der DDR: „Ein Jähn“ – Der Abstand von einem Plakat zum nächsten. Der Mann, dem der Jubel gilt, leidet darunter. Ihm ist der ganze Rummel um seine Person eher peinlich. Er mag nicht im Rampenlicht stehen. Er bleibt bescheiden, bodenständig, liebenswürdig und volksverbunden. Die Menschen erkennen das an. So ist der Jubel und die Bewunderung ehrlich und hält bis heute an.
In den 1980er Jahren kommt es zu ersten Kontakten auch mit westlichen Raumfahrern. Im Herbst 1989 ist das Ende der DDR gekommen. Mit einer für viele unmöglich gehaltenen Geschwindigkeit schreitet die Geschichte voran. Die Berliner Mauer fällt. Ein knappes Jahr später ist die DDR Geschichte und Deutschland eins. Jähn, inzwischen Generalmajor, ist plötzlich arbeitslos. Da erinnert man sich seiner in einer Zeit des Tauwetters mit dem aus dem Rest der Sowjetunion erstandenen Russland. Russland hat Schwierigkeiten, die kostspielige Raumfahrt zu unterhalten.
Die Raumstation MIR ist chronisch unterfinanziert. Mangel an allen Ecken. In dieser Situation sehen die Westeuropäer die Chance zur Zusammenarbeit in der bemannten Raumfahrt. Und Russland schlägt in die hingehaltene Hand ein. Wie können aber auf die Schnelle ehemalige Gegner, die sich bis vor Kurzem sogar feindlich gegenüber standen, überhaupt zusammen arbeiten? Schließlich sind die zukünftigen Westkosmonauten teilweise auch Kampfpiloten in ehemals feindlichen Luftwaffen. Ideal wäre ein Mittler. Jemand der loyal zu seiner Heimat ist und gleichzeitig auch die russische Seele begreift. Der Russland von innen kennt und auch versteht. Der dort auch anerkannt und geachtet ist. Die Rolle ist für Jähn wie auf den Leib geschrieben.
Er wird freier Berater für das Astronautenzentrum des DLR und später auch für die ESA im russischen Kosmonautenausbildungszentrum bei Moskau. Er verlegt seinen Arbeitsplatz in das Sternenstädtchen und bezieht dort ein kleines Büro. Alle europäischen Kosmonauten werden von ihm begleitet. Er plant, organisiert, vermittelt. Er kümmert sich nicht nur um Ausbildungspläne, sondern auch um die vielen tausend Problemchen, die das Leben in Russland so mit sich bringt. Dabei bleibt er immer im Hintergrund. Bescheiden und diskret. Das beschert ihm die Hochachtung aller seiner Kosmonautenkollegen. Es gibt ein Foto aus der Euro-MIR-Zeit. Der junge Raumfahrtanwärter Thomas Reiter posiert, sitzend im Sokol-Raumanzug, vor der ESA-Fahne. Hinter Ihm stehend sein Mentor Sigmund Jähn. Für mich ein Bild mit Symbolcharakter.
Längst als Pensionär kommt der Jubilar trotzdem nicht zur Ruhe. Er wird zu Tagungen, Raumfahrtveranstaltungen und Foren eingeladen. Die Säle sind immer voll. Geduldig gibt er Autogramme, wann immer er danach gefragt wird. Seien es nun Treffen mit Schulkassen oder mit schon betagteren Autogrammjägern.
Seine volle Unterstützung und Kraft gilt der Deutschen Raumfahrtausstellung in seinem Geburtsort Morgenröthe-Rautenkranz. Ohne sein Wirken hätte sich diese Ausstellung nicht zu so einem einzigartigen Ort der Präsentation der Geschichte der Raumfahrt entwickelt. Man ist sich dort dieser Tatsache auch voll bewusst.
Im Mai 2014 wird er noch einmal nach Baikonur gerufen. Zusammen mit Ulf Merbold und Thomas Reiter verabschiedet er Alexander Gerst zu seinem Flug zur Internationalen Raumstation. Damit setzt sich die Geschichte deutscher Raumfahrer nun in der dritten Generation fort, die mit Jähn begann. Und mit Astro-Alex steigt dort ein pfiffiger, weltoffener, intelligenter und feinsinniger junger Mann in die Sojus, der ganz im Sinne Jähns ist. Der Staffelstab ist weiter gegeben. Es ist zu hoffen, dass Sigmund Jähn noch lange mit uns verfolgen kann, wie die Geschichte, die Geschichte der bemannten Raumfahrt weiter geht.
In diesem Sinne wünschen wir ihm alles Gute, Glück und Gesundheit.
Alles Gute zu Deinem 80. Geburtstag lieber Sigmund!