Sigmund Jähn – unser Mann in Moskau

Bericht vom Festakt des DLR zu Ehren des 25. Jahrestages des ersten deutschen Raumfluges

Ein Beitrag von Felix Korsch.

Sigmund Jähn und Walerij Bykowskij flogen am 26. August 1978 ins All: Jähn als erster deutscher Raumfahrer.
(Bild: Urbin.de)
Sigmund Jähn und Walerij Bykowskij flogen am 26. August 1978 ins All: Jähn als erster deutscher Raumfahrer.
(Bild: Urbin.de)

Mittlerweile kennt ihn wirklich jeder. Bis vor kurzem hieß es noch, nur Ostler würden mit dem Namen Sigmund Jähn etwas anfangen können. Im neu entstandenen gesamtdeutschen Sprachgebrauch hieß es denn auch lange, dass Ulf Merbold der erste Deutsche im All gewesen sei. Spätestens seit dem Medienrummel um den 25. Jahrestag des ersten deutschen Raumfluges – gemeint ist natürlich Sojus 31 und nicht STS-9 – ist dieses Bild auch in der breiten Masse der – natürlich vornehmlich westdeutschen – Bevölkerung wieder etwas gerade gerückt worden. Einen praktischen Unterschied macht dies zwar nicht, aber ein solches Jubiläum sollte schließlich standesgemäß begangen werden. Eine kurze Rückblende. Kurz, denn Details waren nun wirklich allen Tageszeitungen zu entnehmen. Am 26. August 1978 brach der gebürtige Vogtländer Sigmund Jähn mit seinem sowjetischen Kommandanten Waleri Bykowski an Bord einer Sojus-Kapsel zur Raumstation Salut 6 auf. Es war der dritte Flug im Rahmen des Interkosmos-Programms und das Debüt Deutschlands in der bemannten Raumfahrt.

Es folgten zahlreiche weitere Missionen mit deutscher Beteiligung, vorerst im westdeutschen, später im gesamtdeutschen Zusammenhang. Zu einen weiteren Flug eines DDR-Bürgers kam es allerdings nicht: zwar erwies sich die Mission als wissenschaftlich sehr erfolgreich und Geräte „made in GDR“, in der Hauptsache die Multispektralkamera MKF-6m, konnten als weltraumtauglich befunden werden; allerdings besaß die Raumfahrt im Osten nie eine Lobby und für einen Wiederholungsflug hätten die Sowjets Geld verlangt. Trotz allen widrigen Umständen und einer Ausschlachtung für Propagandazwecke, die Sigmund Jähn stets zuwider war, kam dem Flug schnell eine weitreichende Bedeutung zu. Nach der Wende begann Jähn, auf Vertragsbasis für das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt sowie die europäische Weltraumbehörde ESA zu arbeiten. Der bescheidene Sachse nahm durch seine vielfältigen Erfahrungen und Kontakte eine art Vermittlerrolle zwischen der russischen und der deutschen bzw. europäischen Position ein und half mit, eine Reihe von Missionen in Kooperation mit Russland, zunächst zur Mir und nun auch zur ISS, vorzubereiten. Sigmund Jähn wurde zum „Mann für alle Fälle“.

Der 25. Jahrestag wurde nun am vergangenen Samstag, den 30. August 2003, offiziell gefeiert. In einem gemeinsamen Festakt von DLR und ESA in Markneukirchen wurde die Bedeutung des Fluges sowie der Raumfahrt allgemein gewürdigt. Übrigens war es einmal mehr Sigmund Jähn zu verdanken, dass dieses Event nahe seinem eigenen Heimatort stattfand und nicht etwa, wie zunächst angedacht, in Berlin, Bonn oder Köln. Das Ereignis wurde ab Punkt elf Uhr live von zwei Fernsehsendern sowie über Webstream aus der Musikhalle im obervogtländischen Markneukirchen übertragen. Insgesamt, so Schätzungen der Veranstalter, wohnten eine Million Menschen der etwa 90-minütige Sendung live bei. Durchs Programm von „ALL-TV“ führte souverän Uli Bobinger, Wissenschaftsredakteur des Bayrischen Rundfunks. Neben über 900 raumfahrtbegeisterte Fans befanden sich auch zahlreiche Ehrengäste im Saal. So konnte man an diesem Wochenende fast alle deutschen Raumfahrer begrüßen. Lediglich Gerhard Thiele und Hans Schlegel konnten der Veranstaltung nicht beiwohnen. Beide trainieren derzeit aktiv in den USA, weshalb ihnen ein Flug nach Deutschland untersagt wurde.

Demnach stimmt auch die Behauptung der Veranstalter, dass „zumindest ein Teilnehmer jeder deutschen Mission“ anwesend sei, nicht. Oder wer hat hier STS-99 (Start: 11. Februar 2000) unterschlagen? Wie dem auch sei, hinzu gesellten sich auch das damalige Double von Jähn, Eberhard Köllner, sowie die russischen Raumfahrer Waleri Bykowski – Jähns damaliger „Kollege im All“, Jurij Gidzenko, welcher 1995 mit Thomas Reiter auf der Mir weilte (Euromir’95), Wassilij Ziblijew, Mitglied der Mission Mir’97 mit Reinhold Ewald, sowie Waleri Korsun (ebenfalls Mir’97) und Daniel M. Tani, erst kürzlich mit STS-108 im All. Insgesamt verfügte man also über hochkarätige Gäste, darunter einige namhafte Raumfahrt-Urgesteine. Den Auftakt zur Zeitreise durch die deutsche Raumfahrt markierte die Rede des per Hubschrauber eingeflogenen Bundespräsidenten Johannes Rau.

Bundespräsident Johannes Rau
(Bild: DLR)
Bundespräsident Johannes Rau
(Bild: DLR)

„Allen hier in der Halle einen herzlichen Gruß, aber auch denen, die uns jetzt am Fernsehschirm miterleben, die zuhören und die, so hoffe ich, wie ich, aus dem Staunen gar nicht herauskommen. Ich bin heute morgen zum ersten Mal in Morgenröthe-Rautenkranz gewesen. Das hat mich sehr bewegt. Da habe ich Dinge gesehen, die kannte ich zum Teil aus Büchern; da habe ich Menschen getroffen, die hatte ich vorher nur gelegentlich und von Ferne gesehen; da habe ich einen Ort kennen gelernt, der hat 870 Einwohner und 50.000 Besucher im Jahr. Das ist eine Relation, die kriegt nicht mal Mallorca zu Stande.“

Bereits am Vormittag besuchte er die Raumfahrtausstellung im Heimatort von Sigmund Jähn, das „Weltraumdorf“ Morgenröthe-Rautenkranz. Rau übernahm die Schirmherrschaft über den Festakt und fuhr mit seinen Grußworten fort:

„Sigmund Jähn, der erste deutsche Raumfahrer, vor 25 Jahren. Wir damals im Westen, wir haben das schon erlebt vor 25 und vor 20 Jahren, dass die jeweils andere Seite das herunterzuspielen versuchte. […] Ich finde, das Schönste ist, dass diese Zeit vorbei ist – dass wir heute die Raumfahrt nicht mehr sehen als eine Waffe gegen den anderen, als einen Standortvorteil, sondern dass Ost und West gemeinsam, dass Sigmund Jähn und Ulf Merbold gemeinsam dafür sorgen, dass aus der Raumfahrt ein Gewinn kommt, der uns auch auf der Erde hilft. […] Und dass hier heute zwei deutsche Raumfahrer, einer mit 25 Jahren, einer mit 20 Jahren Erinnerung an den Weg um unseren Planeten beisammen sind, das ist schön. Aber noch schöner ist, dass auch amerikanische und russische Raumfahrer hier sind, dass wir heute ein Stück weit feiern, dass die Spaltung der Welt zu Ende ist.“

Wieder Jubel im Publikum.

„Und darum wünsche ich mir, dass wir heute nicht nur ein Dankbarkeitsfest für Raumfahrt feiern, sondern dass wir ein Friedensfest miteinander haben – im schönen Vogtland. […] Ich wünsche Ihnen allen einen schönen, aufregenden und anregenden Tag und ich grüße alle Astronauten und aller Erdenbürger und ganz besonders Sigmund Jähn und Ulf Merbold.“

Zu Wort kamen im folgenden auch die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Edelgard Bulmahn, sowie Jörg Feustel-Büechl, ESA-Direktor für bemannte Raumfahrt und Sigmar Wittig, Vorstandsvorsitzendes der DLR e.V. Begleitet von Rückblicken auf die entscheidenden Jahre der deutschen Raumfahrt, insbesondere 1978 und 1983, kamen auch die deutschen Raumfahrer zu Wort, während die genannten politischen Würdenträger über den Nutzen der Raumfahrt für die Erde und die Rolle des Jähn-Fluges im gesamtdeutschen Zusammenhang sprachen. Leider konnte man hier den Eindruck gewinnen, dass der eigentliche Anlass der Veranstaltung etwas in den Hintergrund eines kollektiven Schulterklopfens rückte. Aber auch das muss eben sein, und ganz nebenbei wurde bei all den Bekundungen gegenüber der Bedeutung der Raumfahrt und der Rolle Deutschlands, welche über eine Position als Bindeglied hinausgeht, unterschlagen, dass das nationale Raumfahrtbudget für 2003 um zehn Millionen Euro gekürzt wurde.

Zweifelloses Highlight war eine kurze, aber interessante Live-Schaltung zur Internationalen Raumstation mit Umweg über Houston. Thomas Reiter begrüßte die aktuelle Stammbesatzung der ISS, Ed Lu und Juri Malentschenko, um Punkt 11:52 Uhr per Funk. Diese waren nur erreichbar, da an diesem Tag eine Progress-Raumschiff an die Raumstation anlegen sollte und somit das Tagesprogramm der Raumfahrer etwas umgekrempelt wurde. Nach dem Austausch der obligatorischen Grußbotschaften und -formeln und der Frage nach aktuellen Experimenten auf der ISS brach der Kontakt leider wieder ab und die erbetene Botschaft an die jüngeren Raumfahrt-Enthusiasten erreichte somit nicht mehr den Saal. Dafür war die Projektion von Livebildern aus der ISS generell sehr eindrucksvoll. Dies muss freilich auch für die Veranstaltung an sich gelten, welche um 12:30 Uhr beendet wurde. Das DLR stellte mit seiner Rolle als Organisator ein wunderbares, medientaugliches und dennoch auch für die eingefleischten Raumfahrtfans interessantes Event zusammen. Wann sonst hat man die Möglichkeit, 13 Raumfahrer live zu erleben?

ESA-Astronaut Thomas Reiter und Bundesministerin Edelgard Bulmahn im Gespräch mit den beiden aktuellen ISS-Crewmitgliedern Jurij Malenchenko und Ed Lu.
(Bild: DLR)
ESA-Astronaut Thomas Reiter und Bundesministerin Edelgard Bulmahn im Gespräch mit den beiden aktuellen ISS-Crewmitgliedern Jurij Malenchenko und Ed Lu.
(Bild: DLR)

In diesem Sinne verlief auch der Rest des Tages. Für den Nachmittag wurde eine Autogrammstunde anberaumt, um auch die fleißigen Unterschriftensammler zu befriedigen. So herrschte denn neben der großen Medienpräsenz auch ein großer Andrang von Besuchern aus nah und fern, obgleich die Veranstaltung selbst nur geladene Gäste besuchen durften. Speziell die russischen Gäste erfüllten auch vor Beginn der für 15 Uhr angesetzten Signiergelegenheit den ein oder anderen Autogrammwunsch eifriger Jäger und Sammler. Den passenden Abschluss fand der Tag am Abend: der deutsche Kinohit „Good bye, Lenin“ wurde in der Musikhalle bei freiem Eintritt vorgeführt. Die Person des Sigmund Jähn nimmt darin, das wissen die Fans des Streifens, eine durchaus interessante Rolle ein…

Freilich war hiermit zwar der „überirdische“ Samstag, aber nicht das Wochenende beendet. Im Grunde veranstaltete man eine ganze Festwoche: die deutsche Raumfahrtausstellung in Morgenröthe-Rautenkranz veranstaltete um den 26. August eine Reihe von Aktionen, speziell im Hinblick darauf, Interesse für das Thema bei Kindern und Jugendlichen zu wecken. Außerdem wartete die Sternwarte Rodewisch mit einem Sonderprogramm auf und im Waldpark Grünheide konnte das Trainingsmodul der Raumstation Mir bestaunt und auch von innen betrachtet werden. Die Führungen übernahmen dabei mehrmals die deutschen Mir-Kosmonauten. Pünktlich wurde auch in der 1979 begründeten Raumfahrtausstellung ein neuer Raum im Erdgeschoss des Gebäudes fertig gestellt. Hierin finden einige neue Exponate, unter anderem die über drei Meter hohen Modelle von Space Shuttle und Sojus-Rakete Platz. Der eigentlich gewünschte Neubau „Raumfahrt-Park Vogtland“ scheiterte allerdings schon zuvor an finanziellen Querelen.

Der Verein der Deutschen Raumfahrtausstellung war es auch, welcher den folgenden Sonntag mit einem eigenen Programm ausfüllte. Ein Festzelt vor dem alten Ausstellungsgebäude bot während eines „Raumfahrerfrühschoppens“ Gelegenheit zum Beisammensein und zum Gedankenaustausch unter Raumfahrtfans. Leider war die laute Umgebung und das verqualmte Zelt nicht jedermanns Sache. Im Rückblick erweist sich die Feier zum 20. Jahrestag des Jähn-Fluges vor nun schon fünf Jahren als besser: damals konnte man die damalige Stammbesatzung von Salut 6 (Iwantschenko/Kowaljonok) sowie die komplette Mannschaft von Sojus 31 samt Reservecrew (Köllner/Gorbatko) begrüßen. Zu jener Zeit bot sich auch die Möglichkeit für Diskussionsrunden und die weniger medial überzogene Atmosphäre im Jahre 1998 konnte eher begeistern. Wie dem auch sei: auch für den Sonntag war eine Autogrammstunde angesetzt. Erfahrungsgemäß ist eine solche Veranstaltung immer ein Publikumsmagnet. Nicht nur Leute aus der näheren Umgebung finden sich hierzu ein; auch reisen viele Raumfahrt-Fans eigens dazu aus größerer Entfernung an.

Die Organisation versagte allerdings an dieser Stelle: die für halb zwei angesetzte Signierstunde begann schon kurz nach zwölf – entgegen den Ankündigungen in der Presse und am Beginn des Tages. Es bildete sich eine lange Schlange. Doch kaum wurde ein Viertel der Leute durch das eigens hierfür aufgestellte kleinere Zelt gewunken, wurde die Veranstaltung mit der Begründung, die Raumfahrer müssten jetzt nach Berlin fahren, beendet. Zu jenem Zeitpunkt dürften noch über 200 Menschen auf ihre Autogramme gewartet haben, und viele Fans reisten auch erst um halb zwei an – doch da waren die Kosmonauten längst weg. Dies betrübte natürlich die Stimmung etwas und ist letztendlich auch keine gute Werbung für die Raumfahrtausstellung. Ich (der Autor) kam übrigens doch noch auf meine Kosten und behalte das vergangene Wochenende daher in bester Erinnerung.

Buchtipps:

  • Hoffmann, Horst: Die Deutschen im Weltraum – Zur Geschichte der Kosmosforschung in der DDR, edition Ost (Rote Reihe), Berlin 1998, ISBN 3-932180-49-6
  • Hoffmann, Horst: Hammer und Zirkel im All – Raumfahrtaktivitäten in der Deutschen Demokratischen Republik, Schriftenreihe der Dt. Raumfahrtausstellung Morgenröthe-Rautenkranz e.V., 1997
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