Sigmund Jähn, der erste Deutsche im All

Vor 25 Jahren, am 26. August 1978, flog der DDR-Bürger Sigmund Jähn als erster Deutscher ins All.

Ein Beitrag von meiklampmann. Quelle: ESA.

Nach der Wende bereitete er im Auftrag der ESA und des DLR europäische sowie deutsche Raumfahrer zu Missionen mit russischen Raumschiffen zur den MIR- und ISS-Stationen vor. Der Held wider Willen avancierte zum Nestor der deutschen bemannten Raumfahrt.

Als vor 25 Jahren Sojus 31 startete, avancierte ein DDR-Bürger wider Willen zum Mega-Star: Sigmund Jähn. Wer den 189stündigen Raumflug vom 26. August bis zum 3. September 1978 mitverfolgen konnte, wird die Anteilnahme, die Wogen der Begeisterung wie gestern empfinden. Der erste Deutsche im All! Jähns Entwicklungsweg unterstrich eine normale, wenngleich nicht alltägliche DDR-Karriere: Kind einer Arbeiterfamilie, Buchdrucker, als Freiwilliger zu den „bewaffneten Organen“, Offiziersschule, Flugzeugführer, Leiter eines Jagdfliegergeschwaders, sowjetische Militärakademie, verantwortliche Dienststellung in den Luftstreitkräften der DDR.    

Sigmund Jähn: Der Mann aus dem Volke
Dann die Wende. Der „staatsnahe“ Jähn wurde aus der Armee entlassen und seine Teilinvalidität von einem Bundeswehrarzt aus unbekannten Gründen aberkannt. Bei der „weichen“ Landung seines Raumschiffes am 3. September 1978 hatte er sich eine bleibende Rückenverletzung zugezogen, als sich die Sojus-Kapsel dreimal überschlug. Dies war, genau wie seine glänzende Doktorarbeit zur Geofernerkundung zu DDR-Zeiten geheim. Aber auch Neider versuchten mit nachweislich frei erfundenen Behauptungen sein Leben schwer zu machen. Das tat seiner Sympathie jedoch keinen Abbruch. Im Gegenteil. Trotz des kosmischen Höhenfluges und irdischer Wirren ist er stets geblieben, was er war, ein liebenswürdiger, geradliniger, einfacher Mensch aus dem Volke ohne Star-Allüren, der die Gabe des Entzückens, die Freude an den vielen kleinen und schönen Dingen des Lebens nicht vergessen hat. Also ein „ganz normaler Mensch“, ehrlich und bescheiden. Das schätzt auch die Öffentlichkeit an ihm.

Andererseits hat er, der Öffentlichkeitsarbeiter, zugleich ein ambivalentes Verhältnis zur Öffentlichkeit. Er leidet noch heute darunter, dass er sich nicht vehementer gegen die Vereinnahmung durch die DDR-Führung gewehrt hat. Ehrungen scheint er nur wahrzunehmen, wenn sie nicht zu umgehen sind. Wenn es nach ihm ginge, sollten (seine) Jahrestage nicht begangen werden. Angst vor weiterer Vereinnahmung, Bescheidenheit oder vielleicht beides?

Schnittstelle zwischen Erde und Weltraum
Nach der Wende ist seine Kompetenz als Dolmetscher, Ausbilder und Berater für die Flüge mit deutschen und europäischen Raumfahrern zur russischen Raumstation MIR sowie zur Internationalen Raumstation ISS gefragt. Dem im Vogtland geborenen zweiten Deutschen im All, Ulf Merbold, ist es zu verdanken, dass der Vogtländer Jähn im ureigensten Metier schnell gesamtdeutschen Anschluss findet. Die Bundesrepublik war gerade dabei, den ersten Raumflug mit Russland vorzubereiten. Jähn sollte die diversen Aktivitäten rund um die Auswahl im Auftrag des heutigen Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt DLR unterstützen. Im November 1990 flog er mit Klaus-Dietrich Flade und Reinhold Ewald – von Frankfurt am Main – in sein 30 km nordöstlich Moskau gelegenes vertrautes Sternenstädtchen. Die gemeinsame Arbeit führte systemübergreifend schnell und unkompliziert alle Seiten zusammen.

Als die Europäische Weltraumorganisation ESA 1993 die Zusammenarbeit mit Russland in der bemannten Raumfahrt begann, wollte sie auf seine Erfahrungen nicht verzichten. Fortan pendelte Sigmund nicht nur zwischen Russland, Kasachstan und Deutschland umher. Die „Neuen“ durchlaufen alle die Schule Jähn. Die ersten ESA-Astronauten, die im Sternenstädtchen die Ausbildung aufnehmen, waren Ulf Merbold, Pedro Duque (Spanien), Thomas Reiter und Christer Fuglesang (Schweden). Schnell avanciert er zu einem von Ost und West gleichermaßen anerkannten und unentbehrlichen Vermittler, zu einem geschätzten „Mann für alle Fälle“ bei allen nur denkbaren Weltraum-Fragen. Sein Office im Sternenstädtchen wird zur Schnittstelle zwischen Europa, Erde und Kosmos. Nahezu alle Sojus-Besatzungen begleitet er in der einen oder anderen Weise auf ihren Flug ins All.

Institution für Raumfahrt und Menschlichkeit
Heute hat der Nestor der bemannten deutschen Raumfahrt nicht nur in dem neuen Deutschland, sondern auch in dem zusammenwachsenden Europa einen festen Platz gefunden. Sigmund Jähn, der weltweit 90. Raumfahrer, gehörte zu den Mitbegründern der internationalen Vereinigung der Weltraumfahrer ASE, die das Podium für einen weltweiten Erfahrungsaustausch einer kleinen, doch gewichtigen Gruppe darstellt. Und aus dem DDR-Bürger Sigmund Jähn ist eine in Ost und West anerkannte Institution für Raumfahrt und Menschlichkeit geworden. 1998 zeichnete ihn Bundespräsident Roman Herzog aus, erhielt er den „gesamtdeutschen Ritterschlag“. Am 30. August wird Bundespräsident Johannes Rau ihn in einem Staatsakt in Markneukirchen ehren.

Auch Raumfahrer kommen in die Jahre. Man mag es kaum glauben, aber Sigmund ist bereits seit 2002 in Rente. Doch wer „Sig“, wie ihn die Vogtländer nennen, kennt, weiß auch, dass er seiner Raumfahrt treu bleiben wird. In Morgenröthe-Rautenkranz, seinem Geburtsort, wird das Jubiläum mit einer Festwoche begangen. Alle deutschen Raumfahrer – und nicht nur sie – werden ihn, den Helden wider Willen, hochleben lassen. Danach werden wir „Sig“ bestimmt immer wieder irgendwo auf diesem Planeten erleben, wenn er sich für die internationale Zusammenarbeit in der Raumfahrt einsetzt.

INTERKOSMOS – Raumflug UdSSR/DDR
Start: 26.8.1978, 17.51 Uhr mit Sojus 31 vom Kosmodrom Baikonur
Besatzung: Waleri Bykowski, Sigmund Jähn
Reserve-Crew: Wiktor Gorbatko, Eberhard Köllner
Kopplung an Salut 6: 27.8.1978, 19.30 Uhr
Experimente: Fernerkundung (MKF-6M, Biosphäre, Polarisation, Polarlicht), Materialwissenschaften (Berolina), wissenschaftlich-technische Experimente (Beschleunigung, Reporter), Medizin (Sprache, Befragung, Audio, Zeit, Freizeit, Geschmack), Biologie (Gewebekultur, Bakterienwachstum, Vernetzung, Stoffwechsel)
Abkopplung von Salut 6: 3.9.1978, 11.20 Uhr
Landung: 3.9.1978, 14.40 Uhr mit Sojus 29 in der kasachischen Steppe, 140 km südöstlich der Stadt Dscheskasgan
Flugdauer: 188 h 49 min 4 s (Zeitangaben: Moskauer Zeit)

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