Wie geht es weiter mit der ISS? Vieles hängt am seidenen Faden, auch wenn man das gemeinsame Projekt unter keinen Umständen sterben lassen möchte.
Ein Beitrag von Felix Korsch. Quelle: NASA/Spaceflight.now.
Die NASA steht am Scheideweg: mit der heutigen Veröffentlichung des Untersuchungs-Berichtes im Unglücksfall Columbia wird deutlich, dass seitens der USA an ein baldiges „business as usual“ im Bereich des bemannten Raumfahrt-Programms nicht zu denken ist. Im Vordergrund stehen nun technische Arbeiten, um Risiken bei künftigen Missionen auszuschließen. Von dem Fortgang dieser Arbeiten hängt wahrscheinlich auch die mittelfristige Zukunft der Internationalen Raumstation (ISS) ab. Aus diesem Grunde ist man bemüht, im März oder April des kommenden Jahres die Shuttle-Flüge wieder aufzunehmen, um einen Crewaustausch in der ISS und die Anlieferung frischen Wassers und diverser Nahrungsmittel sowie dringend benötigter Treibstoffe vorzunehmen. Auf dem Flugplan der NASA steht nun die Mission STS-114, welche bereits im ersten Quartal, genauer um den 1. März – einen Monat nach der Columbia-Katastrophe -, des laufenden Jahres hätte durchgeführt werden sollen. Ein Seitenhieb gegen die ISS ist nun die Entscheidung der NASA, die Missionsziele der Atlantis zu beschneiden.
Zunächst soll kein Crewaustausch durchgeführt werden. Derzeit hält man einen Shuttle-Flug als zu risikoreich und möchte vorerst keine komplette, bis zu siebenköpfige Crew ins All schicken. An Bord befinden werden sich unbedingt Kommandantin Eileen Collins, Pilot James Kelly sowie die Missionsspezialisten Soichi Noguchi und Stephen Robinson. Hauptproblem ist die Begrenzung der Nutzlastkapazität. Diese fällt künftig der Option zum Opfer, das Shuttle auch im All durch Außenbordeinsätze (EVAs) zu reparieren – eine zentrale Forderung des Untersuchungsberichtes. Entsprechend wird mit STS-114 eventuell auch keine Nachschub-Fracht zur ISS gebracht werden können, und auch das Raffaello-MPLM-Modul (Multi-Purpose Logistics Module) bleibt vielleicht auf dem Boden. Der einzige Zweck der Mission wäre dann die Verifizierung der neu integrierten Technologie sowie der ausgebesserten Systeme, um künftige Gefahren zu vermeiden. Hierzu zählt z.B. ein aktuell in der Entwicklung befindlicher Roboterarm und eine angekoppelte Arbeitsplattform, welche es den Raumfahrern erlauben soll, jede Region der Außenhaut – gemeint ist hier die empfindliche Kachelstruktur – des Shuttles risikofrei zu erreichen und auf Schäden hin zu untersuchen.
In diesem Sinne gedenkt die NASA, auf Nummer sicher zu gehen. Die nächste, zweiköpfige, achte ISS-Stammbesatzung, welche diesen Oktober gen Orbitalstation aufbrechen wird, sollte laut der ursprünglichen Planung an Bord eines Shuttles zur Erde zurückkehren, während mit der Atlantis die nächste Crew ins All geschossen werden sollte. Hier gelangen die Russen in eine Sackgasse: erforderlich wären beim Nichteinsatz des Shuttles zusätzliche Flüge ihrer Sojus-Raumschiffe und Progress-Zubringer. Die angespannte finanzielle Lage der russischen Raumfahrt lässt dies aber kaum zu. Das „Worst-Case-Scenario“ der NASA sieht den nächsten Shuttle-Flug zur ISS sogar erst Ende 2004 vor. Auch wenn man sich bemüht zu betonen, dass es hiernach nicht aussieht, schmiedet man bereits Ausweichpläne, um die permanente Bemannung der ISS nicht zu gefährden. Die Russen erklärten bereits, das von ihnen maßgeblich vorangetriebene ISS-Projekt nicht an diesem Engpass sterben zu lassen, und die zehnte Stammbesatzung könnte theoretisch im Oktober 2004 auch mit einem Sojus-Raumschiff abheben. Wie gesagt theoretisch: dadurch wäre die russische Kapazität ausgeschöpft, europäische Astronauten müssten auf dem Boden bleiben und auch für einen möglichen Weltraumtouristen, an den der dritte Sitzplatz verkauft werden sollte, wird kein Platz sein.
Während des bis zu neuntägigen Aufenthaltes der Crew von STS-114 auf der ISS sollen zumindest neue Gyroskop-Systeme (CMG), eine externe Experimentenplattform (ESP-2) und eine neue hochauflösende TV-Kamera durch mindestens zwei Außenbordeinsätze an der ISS installiert werden. Damit würde es sich allerdings um keinen Utilization and Logistics Flight (ULF-1) mehr handeln, wie nativ vorgesehen. Was der NASA und Beobachtern der Raumfahrt Stirnrunzeln bereitet ist der Umstand, dass die beschnittene Nutzlastkapazität wohl ein andauernder Faktor sein wird. Die Auswirkungen auf das ISS-Projekt könnten verheerender Natur sein. Wie dieses Szenario letztendlich eintreten wird, muss sich in den kommenden Wochen erst noch zeigen. Konkrete Lösungsansätze sollen mit den internationalen ISS-Partnern, speziell Russland, im Oktober nach dem Start der kommenden Stammbesatzung eruiert werden. Immerhin befinden sich alle verbesserten oder neu zu schaffenden Shuttle-Systeme noch in der frühen Entwicklungsphase.