Sedna, der größte uns derzeit bekannte Planetoid der die Sonne umkreist hat seit seiner Entdeckung am 14. November 2003 schon öfters für Kopfzerbrechen unter den Astronomen gesorgt. Eine neue Theorie zu seinem Geburtsort wurde jetzt veröffentlicht.
Ein Beitrag von Roger Spinner. Quelle: NASA.
Zuerst war da einmal seine Größe, zuverlässige Schätzungen zu machen war nicht einfach. Sein Entdecker, Michael Brown und seine Kollegen vom California Institute of Technology (CALTEC) schätzen den Durchmesser Sednas heute auf etwa 1.600 km, was etwa zwei Drittel des Plutodurchmessers entspricht. Die Frage nach der Größe Sednas warf unweigerlich auch die heikle Frage auf, welche Objekte denn heutzutage die Bezeichnung Planet „verdienen“ und welche als Asteroiden oder so genannte Objekte des Kuiper-Gürtels zu klassifizieren sind.
Dann war da noch die Frage nach dem Orbit Sednas. Bei einer maximalen Distanz von mehr als 800 Astronomischen Einheiten (AE) von der Sonne, wobei eine AE der Entfernung Sonne – Erde entspricht, ist der Planetoid weiter von der Sonne entfernt als alle bisher bekannten Objekte innerhalb des Sonnensystems. Seine fast 12.000 Jahre dauernde Reise um die Sonne führt den Planetoiden bis auf etwa 75 AE an die Sonne heran, Sedna hat somit auch eine der exzentrischsten Umlaufbahnen innerhalb des Sonnensystems.
Wie gelangte Sedna zu so einer ungewöhnlichen Umlaufbahn? Wo ist er entstanden und wie verändert dies unser Wissen über die Entstehung und Zusammensetzung unseres Sonnensystems? Und nicht zu letzt, sind da draußen noch mehr „Sednas“, Giganten die still und leise ihre Bahnen durch unser Sonnensystem ziehen, nur darauf wartend entdeckt zu werden?
Eine Möglichkeit die Entstehung Sednas zu erklären, ist die von Brown und seinen Kollegen seinerzeit vorgeschlagene Theorie, dass Sedna wohl gleichzeitig wie die großen Planeten entstanden ist, irgendwo zwischen Neptun und Uranus. Irgendwann erhielt Sedna dann einen großen Ruck, vielleicht durch die Begegnung mit einem größeren Planeten, möglicherweise aber auch durch das Vorbeiziehen eines nahen Sternes. Die Umlaufbahn des Planetoiden war somit gestört, Sedna wurde weit hinaus in den Kuiper-Gürtel geschleudert und endete schließlich auf der exzentrischen Umlaufbahn, auf der wir ihn heute sehen.
Der Vorteil dieser Theorie ist, dass sie gut übereinstimmt mit dem was wir heute über die Struktur des Sonnensystems wissen. Mit zwei Ausnahmen, der Orthschen Wolke, die zwischen 5.000 und 100.000 AE von der Sonne entfernt sein soll und Sedna selber. Denn wir kennen derzeit kein Objekt im Sonnensystem, dass die Sonne in einem größeren Abstand umkreist, als dem Kuiper-Gürtel, etwa 50 AE von der Sonne entfernt. Es erscheint folglich plausibel, dass Sedna dort entstanden sein muss wo sich auch alle weiteren Planeten gebildet haben, nämlich irgendwo zwischen dem inneren Rand des Kuiper-Gürtels und der Sonne.
Wie immer gibt es aber auch hier abweichende Theorien, und nun präsentierte S. Alan Stern – Astronom am Southwest Research Institute und zugleich wissenschaftlicher Leiter der New Horizons-Mission zum Pluto – in der jüngsten Ausgabe des Astronomical Journal ein alternatives Szenario der Entstehungsgeschichte Sednas.
Stern stellt schlicht die Frage ob es möglich sei, dass Sedna nicht in der planetaren Region des Sonnensystems entstand, sondern irgendwo jenseits der 50 AE-Grenze.
In den späten 90er Jahren entwickelte Stern zusammen mit einem Kollegen ein ausgeklügeltes Computermodell welches die Entstehung der Planeten simulieren konnte. Die heute bekannten Planeten entstanden ja der gängigen Theorie zu Folge in einer so genannten protoplanetaren Scheibe aus Gas und Staub, welche die junge Sonne vor beinahe fünf Milliarden Jahren umgab. Kleinste Teilchen aus Staub kollidierten damals miteinander in der sich drehenden Scheibe und formten sich langsam zu festen Brocken. Diese Brocken wuchsen stetig weiter, in einem Prozess den man Akkretion nennt – die Akkumulation von Trümmern, die nach der Kollision zweier anderer felsiger Objekte übrig blieben. Diese „Zusammenstöße“ mussten relativ schwach gewesen sein, denn nur so konnten sich die Felsbrocken zu immer größeren Objekten zusammenklumpen. Die protoplanetare Scheibe musste dazu relativ ruhig gewesen sein, dies bedeutet, dass die Objekte innerhalb der Scheibe sich mit einer eher geringeren Geschwindigkeit relativ zu einander bewegten.
Sterns Modell zeigte genau diesen Prozess auf. Eine ruhige protoplanetare Scheibe vorausgesetzt, berücksichtigte das Modell die Rotationsgeschwindigkeit, die Beschaffenheit und die Zusammensetzung des felsigen Materials und konnte so die Anzahl und Größe der planetarischen Objekte vorhersagen, die sich unter diesen Konditionen bilden konnten.
Stern beschloss nun anhand seines Modells zu testen, ob ein Objekt von der Größe Sednas auch in einer Entfernung von 75 bis 400 AE von der Sonne entstehen konnte. Da die Region außerhalb einer Entfernung von 50 AE heute sehr leer zu sein scheint und keinerlei Bausteine aufweist, die zur Entstehung eines Planeten hätten beitragen können, nahm Stern an, dass während der Entstehung des Sonnensystems die protoplanetare Scheibe weit über den Kuiper-Gürtel hinaus gereicht haben muss.
Anstelle eines scharf umrissenen Scheibenrandes ging Stern davon aus, dass die Scheibe mit zunehmender Entfernung von der Sonne, stufenweise immer weniger dicht war und weit über die Grenze von 50 AE hinaus ragte. Er ließ darauf hin seine Simulation erneut laufen um festzustellen, ob unter diesen Bedingungen Sedna und andere, vergleichbare Objekte in einer solch großen Entfernung von der Sonne entstehen konnten.
Die Antwort, die er auf diese Frage erhielt, war ein unmissverständliches „Ja“. Es dauerte nicht einmal so lange. Innerhalb einiger hundert Millionen Jahre entstanden gleich mehrere Sedna-ähnliche Objekte und bevölkerten diesen entlegenen Teil des Sonnensystems. In diesem Fall ist auch klar, dass Sedna nicht der einzige Vertreter seiner Art ist, der in dieser Region entstanden ist.
Stern gibt zu, dass es derzeit noch keinen Bewies für seine Theorie einer solch großen protoplanetaren Scheibe gibt. Er unterstreicht jedoch, dass Scheiben die von Astronomen um andere Sterne herum beobachtet wurden, in der Regel um einiges mehr als nur 50 AE über ihren Stern hinaus reichen. Die berühmte Scheibe um Beta Pictoris herum zum Beispiel dehnt sich dreißig Mal weiter aus, auf einen Radius von annähernd 1.500 AE. Warum sollte es bei unserer Sonne also anders gewesenen sein?
Wenn sich Sterns Annahme, dass Sedna so weit von der Sonne entfernt entstanden ist, bestätigen sollte, so hätte dies weit reichende Konsequenzen nicht nur für unser Verständnis der Geschichte des Sonnensystems, sonder auch für unser Wissen über dessen heutige Struktur. Es würde bedeuten, dass die scharf umrissene Grenze des Kuiper-Gürtels, die Astronomen in einer Distanz von etwa 50 AE von der Sonne entdeckt haben, nicht den Rand unseres Sonnensystems darstellt, sondern viel mehr den Beginn einer „Kuiper-Lücke“. Diese Lücke müßte relativ groß sein und sich bis auf eine Entfernung von etwa 70-80 AE von der Sonne erstrecken. Wäre diese Lücke schmaler, so hätten Astronomen sicherlich schon Objekte jenseits dieser Distanz entdeckt. Ist die Lücke tatsächlich so groß wie von Stern angenommen, so wäre es möglich, dass sich der Kuiper-Gürtel weit über seine heute angenommene Größe hinaus ausdehnen würde.
Der einzige Weg dies herauszufinden ist laut Stern die Suche nach weiteren „Sednas“, die die Sonne in einer Distanz von 100 bis 200 AE umkreisen. Die starke Exzentrizität Sednas erklärt sich derzeit auch Stern damit, dass seine ursprüngliche Bahn durch die Begegnung mit einem großen, vorbeiziehenden Objekt – entweder einem Planeten oder einem Stern – gestört wurde.
Sedna-Entdecker Michael Brown verhält sich der Theorie Sterns gegenüber zurückhaltend. In den Jahren seit der Entdeckung Sednas haben viele Wissenschaftler etliche Theorien über den Entstehungsort des Planetoiden aufgestellt. Die Herausforderung der Astronomen sei es nun herauszufinden, welche all dieser Theorien die besten Chancen hat sich zu bewahrheiten.
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