Die Staublawinen auf dem Mars werden anscheinend nicht ausschließlich direkt durch die Einschläge von Meteoriten oder Asteroiden auf der Marsoberfläche verursacht. Vielmehr können auch die dem Impakt unmittelbar vorausgehenden atmosphärischen Druckwellen solche Lawinen auslösen.
Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: University of Arizona.
Tag für Tag treten unzählige Meteore in die Erdatmosphäre ein und erzeugen dabei als sogenannte „Sternschnuppen“ unverkennbare Leuchterscheinungen am Nachthimmel. Die meisten dieser Objekte verfügen lediglich über Durchmesser von bis zu wenigen Millimetern. Sie besitzen somit zu wenig Masse, um ihren Flug durch die dichte Atmosphäre unseres Planeten zu überstehen. Typischerweise verglühen diese Objekte in einer Höhe von rund 80 Kilometern über der Erdoberfläche. Einige wenige dieser täglich mit der Erde kollidierenden Objekte verfügen jedoch über genug Masse, um die Erdoberfläche trotz der durch die Interaktion mit der Erdatmosphäre auftretenden Reibungshitze zu erreichen. Solche Objekte werden als Meteoriten bezeichnet und erzeugen beim Aufprall auf der Erdoberfläche unter gewissen Umständen Impaktkrater, deren Durchmesser von verschiedenen Faktoren wie zum Beispiel der Masse des verursachenden Objekts, der Zusammensetzung, der Eintrittsgeschwindigkeit oder dem Eintrittswinkel in die Erdatmosphäre abhängig sind.
Aber nicht nur die Erde ist einem solchen permanent auftretenden „kosmischen Bombardement“ ausgesetzt. Vielmehr werden alle Objekte in unserem Sonnensystem täglich von kleineren Objekten getroffen. So auch der Mars. Im Gegensatz zur Erde können auf dem Mars allerdings auch verhältnismäßig klein ausfallende Meteore die Planetenoberfläche relativ unbeschadet erreichen, da unser äußerer Nachbarplanet nur über eine relativ dünne Atmosphäre verfügt, welche eine etwa 100-mal geringere Dichte aufweist als die Erdatmosphäre.
Anhand der Aufnahmen der HiRISE-Kamera an Bord des Marsorbiters Mars Reconnaissance Orbiter (MRO) konnte so zum Beispiel belegt werden, dass jährlich bis zu 50 neue Krater auf dem Mars entstehen, welche über Durchmesser zwischen einem und 50 Metern verfügen. Der von der US-amerikanischen Weltraumbehörde NASA betriebene Orbiter MRO befindet sich seit dem Jahr 2006 in einer Umlaufbahn um den Mars. Dessen HiRISE-Kamera liefert seitdem Aufnahmen der Oberfläche, welche eine Auflösung von bis zu 25 Zentimetern pro Pixel erreichen und die Marsoberfläche in einer bisher unerreichten Detailschärfe abbilden.
Bereits frühere Orbiter konnten mit teilweise deutlich geringeren Auflösungen Bilder liefern, welche in der Umgebung diverser Krater Anzeichen für die Abgänge von Staublawinen zeigten, welche sich in den Bildern als auffallend dunkle Strukturen auf der Oberfläche darstellten. Solche im Umfeld von Impaktkratern registrierten Staublawinen, so die bisherige Annahme, werden unmittelbar durch die tektonischen Erschütterungen ausgelöst, welche bei Meteoritenimpakten auftreten. Eine neue Studie zeigt allerdings, dass nicht nur die direkten Impaktauswirkungen, sondern vielmehr bereits die einem solchen Impakt vorausgehenden atmosphärischen Schockwellen solche Staublawinen auslösen können.
„Wir hatten erwartet, dass die lawinenartigen Formationen, welche wir in der Umgebung der Krater beobachten konnten, durch seismische Erschütterungen entstanden, welche aufgrund der Impakte auftraten“, so Kaylan J. Burleigh von der University of Arizona, der Leiter der Studie. „Wir waren überrascht als sich zeigte, dass vielmehr wohl eher atmosphärische Schockwellen die Lawinen auslösten, welche unmittelbar vor dem Impakt auftraten.“
Für die Studie untersuchte das Team eine aus fünf Einzelkratern bestehende Kratergruppe, welche sich laut den Aufnahmen des Marsorbiters Mars Global Surveyor (MGS) zwischen dem Mai 2004 und dem Februar 2006 gebildet haben muss. Vermutlich entstanden diese fünf Krater alle infolge eines einzigen Meteoriteneintritts in die Marsatmosphäre. Der Meteorit zerbrach dabei infolge der auftretenden Reibungshitze in mehrere Bestandteile, welche die Oberfläche anschließend wie ein Schuss aus einer Schrotflinte trafen. Der größte der dabei entstandenen Krater verfügt über einen Durchmesser von etwa 22 Metern.
Die fast 65.000 in der unmittelbaren Umgebung – hierbei handelt es sich um einen Bereich von zwei bis drei Kilometern – erkennbaren dunklen Streifen variieren in ihrer Länge von lediglich wenigen Metern bis hin zu 50 Metern und erstrecken sich dabei rund um die gesamte Impaktzone. Aufgrund ihrer Anordnung wurden diese Streifen zunächst als Staublawinen interpretiert, welche unmittelbar durch den Impakt ausgelöst wurden. Nähere Analysen zeigten allerdings, dass einige dieser Strukturen in ihrer Gesamtheit eine ungewöhnliche Form aufweisen, welche sich nicht mit der ausschließlichen Entstehung durch tektonische Schockwellen in Einklang bringen lässt.
Anhand von Computersimulationen konnte die Gruppe um Kaylan J. Burleigh ein Modell erstellen, mit dem die Wissenschaftler in der Marsatmosphäre auftretende Schockwellen für die Entstehung dieser säbelförmigen Strukturen ausmachen konnten. Beim Durchqueren der Atmosphäre erzeugt ein Meteorit eine Bugwelle aus komprimierter Luft, welche beim Auftreffen auf die Planetenoberfläche ihre kinetische Energie auf diese überträgt. Dadurch werden Sand und Staub in Bewegung versetzt, was wiederum einen Teil der Lawinen auslöste. Dieser Prozess erfolgte unabhängig von den erst unmittelbar darauf auftretenden tektonischen Erschütterungen der Oberfläche.
Das von Kaylan J. Burleigh erstellte Computermodell deckt sich dabei nahezu perfekt mit den beobachteten Gegebenheiten. „Wir gehen davon aus, dass Interferenzen zwischen verschiedenen Druckwellen den auf der Oberfläche abgelagerten Staub in Bewegung versetzt haben und dass dadurch Lawinen losgelöst wurden. Diese Interferenzen und die Lawinen treten dabei in einem [durch das Computermodell] reproduzierbaren Muster auf“, so Kaylan J. Burleigh. Verschiedene Untersuchungen von weiteren Impaktgebieten und den dort zu beobachtenden Lawinenstrukturen untermauern diese Theorie.
In Anbetracht der Abwesenheit von Plattentektonik oder flüssigem Wasser, so die Schlussfolgerung der Autoren der Studie, könnten solche relativ geringfügigen und jeweils lokal begrenzten Auswirkungen von Meteorimpakten in ihrer Gesamtheit und über einen im geologischen Kontext betrachteten längeren Zeitraum einen wichtigen Faktor bei der gegenwärtig stattfindenden Umgestaltung der Marsoberfläche darstellen.
„Dies ist lediglich ein Teil einer größeren Geschichte, welche die gegenwärtig stattfindenden Aktivitäten auf der Marsoberfläche beschreibt“, so Alfred McEwen, der verantwortliche Wissenschaftler für die HiRISE-Kamera an Bord des MRO. „Wir müssen zuerst verstehen wie der Mars in der Gegenwart funktioniert. Erst anschließend können wir korrekt interpretieren, was dort in der Vergangenheit unter anderen klimatischen Bedingungen passiert ist. Und erst dann können wir Vergleiche zur Erde ziehen.“
Diese hier kurz vorgestellte Studie wird demnächst in der Fachzeitschrift ICARUS publiziert.
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