Bereits im Jahr 2012 konnte über dem Südpol des Saturnmondes Titan eine mehrere Hundert Kilometer durchmessende Wolkenformation ausgemacht werden. Anschließende Analysen ergaben, dass sich in dieser Wolke aus Cyanwasserstoff bestehende Eispartikel befinden. Deren Vorhandensein zeigt, dass die Temperatur in der Atmosphäre des Titan in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen ist.
Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: ESA, JPL.
Mit einem Durchmesser von 5.150 Kilometern handelt es sich bei dem im Jahr 1655 durch den niederländischen Astronomen Christiaan Huygens entdeckten Mond Titan um den größten und mit Abstand massereichsten der 62 bisher bekannten Monde des Planeten Saturn und – nach dem Jupitermond Ganymed – zugleich um den zweitgrößten Mond innerhalb unseres Sonnensystems.
Der Titan ist zudem als einziger Mond im Sonnensystem von einer dichten Atmosphäre umgeben. Diese Gashülle besteht hauptsächlich aus Stickstoff, welcher dort mit einem Anteil von rund 98,4 Prozent vertreten ist. Neben dem Edelgas Argon und der Kohlenwasserstoffverbindung Methan konnten dort in der Vergangenheit zudem mehr als ein Dutzend weitere organischer Verbindungen wie zum Beispiel Ethan, Propan und Cyanwasserstoff nachgewiesen werden.
Diese Lufthülle, deren gesamte Masse etwa 1,19 mal größer ausfällt als die Gesamtmasse der Erdatmosphäre, erreicht eine Höhe von mehreren hundert Kilometern und ist mit Wolken, Dunstschleiern und Aerosolen durchsetzt. Nahe der Oberfläche fällt die Atmosphäre des Titan etwa fünfmal dichter aus als auf unserem Heimatplaneten und erreicht dort einen Atmosphärendruck von 1,5 bar, was einen etwa 50 Prozent höheren Wert als auf der Erde darstellt.
Jahreszeiten und Wetterveränderungen
Da die Rotationsachse des Saturns um rund 27 Grad gegen dessen Umlaufebene um die Sonne geneigt ist, zeigt der Planet – ähnlich wie die Erde mit einer Achsenneigung von 23,44 Grad – ausgeprägte Jahreszeiten. Dies trifft zugleich auch auf den Titan zu, welcher den Saturn in dessen Äquatorebene umkreist. Allerdings dauern diese Jahreszeiten aufgrund des fast 30 Jahre dauernden ‚Saturnjahres‘ jeweils rund 7,5 Jahre und nicht nur – wie auf der Erde – lediglich wenige Monate. Aufgrund der hohen Exzentrizität der Saturnbahn, welche einen Wert von 0,05648 aufweist, treten dabei im Verlauf der Jahreszeiten sowohl auf dem Saturn als auch auf dem Mond Titan deutlich erkennbare Wetterveränderungen auf.
Die systematische Untersuchung dieser jahreszeitlich bedingten Veränderungen ist eine der Hauptaufgaben der Raumsonde Cassini, welche sich bereits seit dem 1. Juli 2004 in einer Umlaufbahn um den Saturn befindet und den Planeten sowie dessen Ringsystem und Monde seitdem mit 12 wissenschaftlichen Instrumenten eingehend erforscht. Besonders interessant ist dabei für die Wissenschaftler der gegenwärtig ablaufende Wechsel der Jahreszeiten auf dem Titan. Erst im Jahr 2009 ging auf der südlichen Hemisphäre des Titan der dortige Sommer in den Herbst über.
Ein Wolkenwirbel über dem Südpol des Titan
Bereits im Mai 2012 entdeckten die an der Cassini-Mission beteiligten Wissenschaftler dabei anhand der von der Raumsonde übermittelten Daten, dass sich über dem Südpol des Titan innerhalb der dort befindlichen dichten Dunst- und Wolkenschichten ein ausgeprägter Wolkenwirbel gebildet hatte. Diese Formation besaß einen Durchmesser von mehreren 100 Kilometern und verfügte über verschiedene Strukturen, die auf starke Zirkulationsbewegungen in ihrem Inneren hindeuteten. Wahrscheinlich, so die damalige Erklärung der Wissenschaftler, handelt es sich bei diesem Wolkenwirbel um eine Konvektionszelle, in deren Zentrum kühlere Luft in die Tiefe absinkt, während wärmere Luft an den Rändern aufsteigt.
Ungewöhnlich war allerdings die Höhe von etwa 300 Kilometern über der Oberfläche, in der sich der Wolkenwirbel gebildet hatte. In den vorherigen Jahren durchgeführte Temperaturmessungen hatten nahe gelegt, dass es in diesem Bereich der Titanatmosphäre während der aktuellen Jahreszeit noch deutlich zu warm sein sollte, als dass sich dort derartig massive und dauerhaft vorhandene Wolken bilden könnten. In den folgenden zwei Jahren wurde die Struktur deshalb mehrfach mit verschiedenen Instrumenten der Raumsonde weiter untersucht. Durch Messungen mit dem Visual and Infrared Mapping Spectrometer (VIMS) – einem im infraroten Wellenlängenbereich arbeitenden Spektrometer – konnte dabei auch die chemische Zusammensetzung der Wolke bestimmt werden.
Eine Wolke aus Blausäure-Eiskristallen
„Das von dem Südpolwirbel ausgehende Licht zeigt deutliche Unterschiede in Bezug auf andere Bereiche der Titan-Atmosphäre“, so um Remco J. de Kok von der Sternwarte Leiden/Niederlande. „Wir konnten dort deutliche Signaturen von gefrorenen Blausäure-Molekülen erkennen.“
In seinem gasförmigen Aggregatzustand konnte Cyanwasserstoff (HCN) bereits in den vorherigen Jahren in geringen Mengen in der Titanatmosphäre nachgewiesen werden. Das Auffinden dieser chemischen Verbindung in Form von lediglich mikrometergroßen gefrorenen Partikeln war für die Wissenschaftler allerdings eine Überraschung, denn um die Existenz solcher gefrorenen HCN-Partikel zu ermöglichen müssen in der Titanatmosphäre Temperaturen von weniger als minus 148 Grad Celsius herrschen.
„Dies ist gute 100 Grad Celsius kälter als unsere bisherigen Klimamodelle [für die gegenwärtige Jahreszeit] für die obere Titan-Atmosphäre vorhersagen“, so Nick Teanby von der Universität Bristol. „Um zu überprüfen, ob wirklich solch niedrige Temperaturen vorherrschen, haben wir ein weiteres Spektrometer von Cassini, das Composite Infrared Spectrometer, eingesetzt.“ Dieses Instrument ermöglicht es den Wissenschaftlern, ein vertikales Temperaturprofil der Titanatmosphäre anzufertigen.
Unglücklicherweise wurden im Jahr 2012 keine entsprechenden Temperaturdaten direkt von dem Südpol-Wolkenwirbel angefertigt. Durch den Abgleich mit zu anderen Zeitpunkten angefertigten Temperaturprofilen konnten diese Werte jedoch rekonstruiert werden. Die so nachträglich gewonnenen Daten zeigten, dass sich die Atmosphäre des Titan über dessen Südpol in den letzten Jahren rapide abgekühlt hat. Die dabei erfolgte Temperaturentwicklung steht in Einklang mit den jetzt ermittelten Werten und zeigt eine Übereinstimmung mit den Temperaturen, welche zur Bildung der beobachteten Cyanwasserstoff-Eispartikel benötigt werden.
Die oberen Atmosphärenschichten im Bereich des Südpols des Titan kühlten sich demzufolge in weniger als einem Jahr um mehr als 50 Grad auf Temperaturen um die minus 150 Grad Celsius ab, so dass der Cyanwasserstoff zu Eiskristallen kondensieren konnte. Aufgrund des erst kurz zuvor erfolgten Überganges in den Herbst ergibt sich daraus die Vermutung, dass im Bereich der oberen Atmosphärenschichten des Titan ein äußerst wirkungsvollen Abkühlungseffekt erfolgt, bei dem Wärmestrahlung in das umgebende Weltall abgegeben wird. Dieser Prozess, so die an dieser Studie beteiligten Wissenschaftler, stellt eine Herausforderung für die derzeitigen Modelle der jahreszeitlichen Veränderungen in der Atmosphäre des Titan dar.
Die hier kurz vorgestellten Forschungsergebnisse wurden am 1. Oktober 2014 unter dem Titel „HCN ice in Titan’s high-altitude southern polar cloud“ in der Fachzeitschrift „Nature“ publiziert.
Die nächste Möglichkeit für eine eingehendere Untersuchung des Titan bietet sich bereits am 24. Oktober 2014. An diesem Tag wird die Raumsonde Cassini den Titan um 04:41 MESZ im Rahmen eines gesteuerten Vorbeifluges erneut passieren und aus einer Überflughöhe von 1.013 Kilometern mit verschiedenen Instrumenten untersuchen (Raumfahrer.net berichtete).
Die Mission Cassini-Huygens ist ein Gemeinschaftsprojekt der US-amerikanischen Weltraumbehörde NASA, der europäischen Weltraumagentur ESA und der italienischen Weltraumagentur ASI. Das Jet Propulsion Laboratory (JPL) der NASA in Pasadena/Kalifornien, eine Abteilung des California Institute of Technology (Caltech), leitet die Mission im Auftrag des Direktorats für wissenschaftliche Missionen der NASA in Washington, DC. Nach dem derzeitigen Planungsstand soll Cassini den Saturn und seine Monde noch bis zum Jahr 2017 erkunden und am 15. September 2017 aufgrund des dann nahezu komplett aufgebrauchten Treibstoffvorrates kontrolliert in der Atmosphäre des Ringplaneten zum Absturz gebracht werden.
Diskutieren Sie mit im Raumcon-Forum:
Verwandte Internetseiten:
Fachartikel von Remco J. de Kok et al.:
- HCN ice in Titan’s high-altitude southern polar cloud (Abstract, engl.)