Saturnmond Enceladus: 101 aktive Geysire

Aktuelle Auswertungen von Daten der Raumsonde Cassini zeigen, dass sich in der Südpolregion des Mondes Enceladus 101 aktive Geysire befinden. Deren Quelle, so das Ergebnis dieser Forschungsarbeit, ist offenbar mehrere Dutzend Kilometer unterhalb der Oberfläche von Enceladus beheimatet, was die Existenz eines unterirdischen Ozeans auf diesem Mond bestätigt.

Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: JPL, CICLOPS.

NASA, JPL, Space Science Institute, DLR
Der Saturnmond Enceladus: In der Großaufnahme ist am unteren Bildrand dessen Südpolregion mit den dort befindlichen vier „Tigerstreifen“ erkennbar. Diese geologisch aktive Region stellt den Ausgangspunkt für die Jets aus Wasserdampf und Eispartikeln dar, welche aus den dort befindlichen Kryovulkanen entweichen.
(Bild: NASA, JPL-Caltech, Space Science Institute, DLR)

Bereits seit mehr als zehn Jahren befindet sich die Raumsonde Cassini in einer Umlaufbahn um den zweitgrößten Planeten unseres Sonnensystems – den Saturn. Die von Cassini mitgeführten 12 wissenschaftlichen Instrumente liefern seitdem regelmäßig Daten und hochaufgelöste Bilder von der Planetenatmosphäre, dem Ringsystem und den vielfältigen Monden des Saturn, welche sowohl die interessierte Öffentlichkeit als auch die Fachwelt begeistern. Die Ziele der Cassini-Mission sind vielschichtig und oftmals miteinander verknüpft. Neben der Erforschung des Saturn und seines größten Mondes, dem etwa 5.150 Kilometer durchmessenden Titan, werden auch das Ringsystem des Planeten, dessen Magnetosphäre und die weiteren 61 derzeit bekannten Saturnmonde regelmäßig von den verschiedenen Instrumenten abgebildet und analysiert.
Eines dieser Untersuchungsobjekte ist der Mond Enceladus. Im Rahmen eines nahen Vorbeifluges an diesem Mond konnten die an der Mission beteiligten Wissenschaftler am 14. Juli 2005 die Existenz einer extrem dünnen Atmosphäre um diesen Himmelskörper nachweisen. Mit einem mittleren Durchmesser von lediglich 504 Kilometern verfügt der sechstgrößte Mond des Saturn aber über eine viel zu geringe Masse, um diese Gaspartikel über einen längeren Zeitraum in seinem Gravitationsfeld festzuhalten. Die Gashülle müsste eigentlich bereits nach einer relativ kurzen Zeit in den Weltraum entweichen.

Die Tatsache, dass die so schon geringe Dichte der beobachteten Atmosphäre mit zunehmender Höhe stark abnimmt, wurde als ein Indiz dafür interpretiert, dass eine permanent aktive Quelle direkt auf oder unmittelbar unterhalb der Oberfläche des Eismondes für deren Existenz verantwortlich sein muss. Hierfür, so die Wissenschaftler im Jahr 2005, käme unter anderem ein geothermaler Hotspot in Frage, welcher durch vulkanische Aktivität gespeist wird. Aufgrund von Messdaten, welche mit verschiedenen Magnetometern, Spektrometern und einem Gerät zur Staubanalyse gewonnen werden konnten, wurde dieser Hotspot im Bereich der Südpolregion von Enceladus vermutet.

Kryovulkanismus
Am 27. November 2005 gelang den Wissenschaftlern der Cassini-Mission dann schließlich auch tatsächlich dessen direkter Nachweis. Auf den an diesem Tag im Gegenlicht angefertigten Enceladus-Aufnahmen der ISS-Kamera von Cassini waren eine Vielzahl von feinen ‚Jets‘ erkennbar, welche von der Südpolregion ausgingen und die sich bis zu etwa 490 Kilometern über dessen Oberfläche erstreckten. Als Ausgangspunkt für diese feinen Strahlen aus Wasserdampf und Eispartikeln konnten bei späteren dichten Vorbeiflügen an Enceladus vier nahezu parallel verlaufende Einschnitte in der Mondoberfläche ausgemacht werden, welche sich direkt über dem Südpol befinden. Diese „Tigerstreifen“, so die Bezeichnung für diese Formationen, erstrecken sich über eine Länge von jeweils 130 Kilometern und erreichen eine Breite von bis zu zwei Kilometern. Die von der Mondoberfläche ausgehende ‚Jets‘ gelten mittlerweile als die hauptsächlichen Materiallieferanten für den E-Ring des Saturn.

NASA, JPL-Caltech, Space Science Institute
Ein Blick über die beiden Tigerstreifen Baghdad Sulcus und Damascus Sulcus – zwei der vier Regionen, aus denen die Geysire des Enceladus austreten.
(Bild: NASA, JPL-Caltech, Space Science Institute)

Nicht gesichert war dagegen bisher die Ursache für diesen Kryovulkanismus. Manche Wissenschaftler stellten eine Verbindung zwischen den Geysiren und der gravitativ bedingten Gezeitenkraft her, welche der massereiche Saturn auf den in einer Entfernung von im Mittel lediglich etwa 238.000 Kilometer entfernt umlaufenden Mond ausübt. Laut dieser Theorie wird das Innere von Enceladus regelrecht ‚durchgeknetet‘, wobei die dabei auftretenden Reibungen eine Erwärmung verursachen, was letztendlich das Schmelzen von Eis und die Freigabe von Wasserdampf zur Folge hat.

Andere Theorien besagen, dass sich im Bereich der Tigerstreifen durch die Gezeitenwirkungen Öffnungen bilden, durch welche dann Wasser aus tieferen Regionen an die Oberfläche gelangen kann. Als Quelle für dieses Wasserreservoir dient dabei ein Salzwasserozean, welcher sich unter der Oberfläche von Enceladus befindet.

101 aktive Geysire
Ein von Dr. Carolyn C. Porco vom Space Science Institute in Boulder/Colorado – der für den Betrieb des ISS-Kameraexperiments an Bord von Cassini verantwortlichen Wissenschaftlerin – geleitetes Team hat jetzt die Daten ausgewertet, welche die Raumsonde in einem Zeitraum von über 6,5 Jahren von der Südpolregion des Mondes gesammelt hat. Im Rahmen dieser Arbeit konnte zunächst eine Karte erstellt werden, auf der die Ausgangsregionen von 101 individuellen Geysiren eingezeichnet sind. All diese aktiven Geysire, so die Planetenforscher, haben ihren Ursprung demzufolge direkt in einem der vier mit den Namen Damascus, Baghdad, Cairo und Alexandria Sulcus belegten Tigerstreifen.

Aus der Studie geht zudem hervor, dass sehr wahrscheinlich tatsächlich Wasser aus dem Inneren des Mondes bis an die Oberfläche aufsteigt und dort in Form von Wasserdampf und Eispartikeln in das umgebende Weltall entweicht. Der hierfür entscheidende Hinweis stammt von verschiedenen Spektrometern der Raumsonde Cassini, mit denen im Jahr 2010 die Oberflächentemperatur im Bereich des Südpols von Enceladus ermittelt wurde.

NASA, JPL-Caltech, Space Science Institute
Diese Karte zeigt die Stellen, an denen die Geysire in der Enceladus-Südpolregion auftreten. Die Größe der Kreise markiert dabei die Genauigkeit mit der die Austrittsorte festgelegt werden konnten.
(Bild: NASA, JPL-Caltech, Space Science Institute)

Bei der Auswertung dieser Daten stellte sich heraus, dass die kartierten Geysire durchweg von Bereichen ausgehen, an denen leicht erhöhte Umgebungstemperaturen herrschen. Die höchste Geysir-Aktivität ist dabei in den Regionen zu beobachten, wo auch die höchsten Oberflächentemperaturen zu messen sind. Diese „Hot Spots“ verfügen allerdings lediglich über Durchmesser von maximal wenigen Dutzend Metern. Derartig eng begrenzte Bereiche lassen sich jedoch nicht durch eine von Gezeitenkräften verursachte Reibung erklären. Vielmehr ist davon auszugehen, dass sich der Ursprung der Geysire in größeren Tiefen befinden muss.

„Nachdem wir diese Ergebnisse in unseren Händen hielten, wurde uns klar, dass die Wärme nicht etwa die Geysire verursacht, sondern das vielmehr genau das Gegenteil der Fall ist“, so Carolyn Porco. „Dies verriet uns auch, dass die Geysire kein Oberflächenphänomen darstellen, sondern dass sie eine viel tiefer liegende Quelle haben müssen.“

Ein Ozean unter der Oberfläche
Bei jedem dichten Vorbeiflug an einem der Monde des Saturn wird die Flugbahn von Cassini zwar minimal, aber doch deutlich messbar von der vorgesehenen Flugbahn abgelenkt. Diese Abweichung macht sich durch eine geringfügig veränderte Laufzeit der Radiosignale bemerkbar, welche Cassini während eines solchen Vorbeifluges konstant zur Erde aussendet. Durch die Auswertung dieser auf dem Doppler-Effekt basierenden Daten lässt sich nicht nur die Masse eines Mondes und die sich daraus ergebende mittlere Dichte näher bestimmen. Vielmehr können hierdurch auch Aussagen über den genauen inneren Aufbau des betreffenden Körpers getätigt werden.

NASA, JPL-Caltech, Space Science Institute
Der von Carolyn Porco et al. für die Südpolregion von Enceladus vorgeschlagene innere Aufbau dieses Mondes: Ein Salzwasser-Ozean (blau) befindet sich über einem Kern aus porösem Gestein (braun). Über diesem Ozean befindet sich eine Schicht aus ‚weichem‘ Eis (rot), welches von einer weiteren, allerdings verhältnismäßig dünnen Schicht aus tiefgefrorenem und entsprechend spröden Eis überlagert ist (weiß). In dieser Eisschicht bilden sich durch Konvektion bedingte Risse und Spalten, in denen flüssiges Wasser in Richtung Oberfläche aufsteigen kann.
(Bild: NASA, JPL-Caltech, Space Science Institute)

Die Auswertung der Daten, welche bei drei dichten Enceladus-Vorbeiflügen bei Überflughöhen von weniger als 100 Kilometern in den Jahren 2010 und 2012 gewonnen wurden, haben erst kürzlich die bereits zuvor vermutete Existenz eines Ozeans unter der Oberfläche von Enceladus bestätigt. Dieser Ozean ist demzufolge unter einem 30 bis 40 Kilometer dicken Eispanzer verborgen und erstreckt sich vermutlich bis zum 50. Breitengrad unter der südlichen Hemisphäre von Enceladus – so die beteiligten Wissenschaftler in einer entsprechenden Publikation, welche am 4. April 2014 in der Fachzeitschrift „Science“ veröffentlicht wurde.

Nach den Ergebnissen der Wissenschaftler um Carolyn Porco müssen ‚Bruchlinien‘ in der Eiskruste von Enceladus existieren, in denen flüssiges Wasser aus diesem Ozean bis an die Oberfläche aufsteigen kann. Dieser Ozean ist demzufolge von einer Schicht aus ‚weichem‘ Wassereis überdeckt, welches sich – bedingt durch Konvektion – bewegt. Diese Bewegungen haben auch Einflüsse über die darüber liegende Schicht aus tiefgefrorenem Eis, in der sich im Rahmen dieses Prozesses tiefe Risse und Spalten bilden.

Diese Spalten werden von dem Wasser aufgefüllt, welches auf diese Weise bis zur Oberfläche des Mondes vordringen kann. Aufgrund des Vakuums, welches auf der Oberfläche von Enceladus herrscht, verwandelt sich dieses in eine Mischung aus Wasserdampf und feinsten Tröpfchen aus Salzwasser, welche letztendlich zu Eiskristallen erstarren. Ein Teil des Wasserdampfes ‚kondensiert‘ zudem an den Öffnungen der Geysire und gibt dabei Wärmeenergie ab, was zur Bildung der beobachteten ‚Hot Spots‘ führt. Die Partikel, die es schaffen, das Gravitationsfeld des Enceladus zu verlassen, bilden dagegen die primäre Quelle für den E-Ring des Saturn.

Variierende Geysir-Aktivität ist abhängig von der Entfernung zum Saturn
Im Rahmen ihrer Studie untersuchten die Wissenschaftler auch die Veränderungen in der Menge der von den Geysiren freigegebenen Partikel. Dabei zeigte sich, dass diese von der Entfernung abhängig ist, in der sich Enceladus zum Saturn befindet. Enceladus umkreist den Saturn auf einer nur leicht elliptischen Umlaufbahn, welche in einer Entfernung zwischen 236.830 und 239.066 Kilometern zu dem Planeten verläuft. Für eine vollständige Umrundung wird dabei eine Zeitspanne von knapp 33 Stunden benötigt.

NASA, JPL-Caltech, Space Science Institute
Wasser steigt durch die Spalten in Richtung Oberfläche und sublimiert schließlich aufgrund des geringen Drucks zu Wasserdampf, der anschließend zu Eispartikeln gefriert. Größere Partikel lagern sich in der unmittelbaren Umgebung der Austrittstellen ab, kleinere und somit leichtere Partikel entweichen ins Weltall.
(Bild: NASA, JPL-Caltech, Space Science Institute)

Die höchste Freisetzungsrate wurde immer dann beobachtet, wenn Enceladus den Punkt der größten Entfernung zum Saturn überschritten hatte. Dies deutet darauf hin, dass die vom Saturn ausgehenden Gezeitenkräfte die ‚Ausdehnung‘ der Spalten beeinflussen, durch welche das Wasser an die Oberfläche gelangt.

Die hier kurz vorgestellten Forschungsergebnisse wurden kürzlich im Rahmen von zwei Fachartikeln von Carolyn Porco et al. und Francis Nimmo et al. in der Zeitschrift „The Astronomical Journal“ publiziert.

Die Mission Cassini-Huygens ist ein Gemeinschaftsprojekt der US-amerikanischen Weltraumbehörde NASA, der europäischen Weltraumagentur ESA und der italienischen Weltraumagentur ASI. Das Jet Propulsion Laboratory (JPL) der NASA in Pasadena/Kalifornien, eine Abteilung des California Institute of Technology (Caltech), leitet die Mission im Auftrag des Direktorats für wissenschaftliche Missionen der NASA in Washington, DC. Nach dem derzeitigen Planungsstand soll Cassini den Saturn noch bis zum Jahr 2017 erkunden und am 15. September 2017 aufgrund des dann nahezu komplett aufgebrauchten Treibstoffvorrates kontrolliert in der Atmosphäre des Ringplaneten zum Absturz gebracht werden.

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