Saturn: Verwirrung um das Alter seiner Ringe

Wie alt sind die Ringe des Saturn? Umschließen sie den Gasgiganten seit seiner frühesten Jugend, oder sind sie eine neuzeitliche Erscheinung?

Ein Beitrag von Lars-C. Depka. Quelle: NASA.

Sicherlich einer der Hauptgründe, warum Saturn seit der Zeit, in der Forscher damit begannen, das All mit primitiven Teleskopen zu beobachten, eine Ausnahmestellung innerhalb der solaren Planetenfamilie einnimmt, ist sein imposantes Ringsystem. Es besteht im Wesentlichen aus Milliarden und Abermilliarden kleiner Eisstücke, aber auch aus Gestein und gefrorenen Gasklumpen, die den Planeten in einem eigenen Orbit umkreisen. Die Partikelgröße variiert zwischen der von Staubkörnern und mehreren Metern. Bei den später nachgewiesenen Ringen G und E sind die Bestandteile noch kleiner. Sie erreichen durchschnittlich nur etwa die Größe der Partikel im Qualm einer Zigarette. Doch: Wie alt sind die Ringe? Umschließen sie den Gasgiganten seit seiner frühesten Jugend, oder sind sie eine neuzeitliche Erscheinung?

Auch, wenn man heute mehr als je zuvor über das Saturnsystem und die komplexen Wechselspiele in ihm weiß, bleiben doch eine Vielzahl von Fragen bislang ungeklärt, bzw. kommen neu hinzu. Der Antwort auf einer dieser Fragen scheint man jüngst jedoch ein wenig näher gekommen zu sein.

Dieser Artikel versucht eine Bestandsaufnahme der Bemühungen um die Klärung der Altersfrage und zeichnet die hierzu aufgetretenen Fragestellungen und die daraus resultierenden Problematiken nach, wenngleich auch die entstehungsgeschichtliche Charakterisierung in diesem Zusammenhang eine eher sekundärere Position einnehmen wird. Und noch etwas macht die Ringe für die Wissenschaft so interessant: Sie ähneln in gewisser Weise den protoplanetaren Scheiben um andere junge Sterne, aus denen sich letztlich die Planeten des jeweiligen Systems herausbilden, so dass ggf. Mechanismen im Hinblick auf die noch weitgehend unverstandenen Detailabläufe bei der Planetenentstehung abgeleitet werden können.

Augenscheinlich handelt es sich bei den schon in kleinen Teleskopen zu sehenden Hauptringen um kosmologisch gesehen junge Strukturen. Wie anders könnten sie beispielsweise noch immer so hell und unzerstört sein? Tatsächlich schienen Voyager Bilder, die vor 25 Jahren erstmals das Ringsystem in höherer Detailgenauigkeit abbildeten, diese These zu stützen und so war man sich lange über die grundsätzlich junge Natur der Saturnringe relativ sicher.

Doch das Gegenteil scheint gleichwohl zuzutreffen, wie heute durchaus nachvollziehbar argumentiert wird. Trotz ihres jugendlichen Erscheinungsbildes begleiten die Ringe den Planeten möglicherweise weitaus länger, als man bislang vermuten mochte. Diese revidierte Sichtweise erhielt spätestens seit der Entdeckung des E-Rings – der durch den Mond Enceladus gespeist wird – verstärkt Nahrung. Seit jenen Tagen steht die Frage nach dem Alter und der Entstehungsgeschichte der Saturnringe wieder verstärkt auf dem Prüfstand.

Seit dem vergangenem Jahr ist man sich nun relativ sicher, ein etwas anderes geschichtliches Bild der Ringe zeichnen zu können. Wie schon erwähnt, war es vor 25 Jahren erstmals Voyager vergönnt, einen genauen Blick auf das Ringsystem zu werfen. Die Bilder überraschten zu jener Zeit nicht wenige, zeigten sie doch in beeindruckender Weise im geologischen Sinne geradezu taufrisch aussehende Strukturen. Etwa 100 Millionen Jahre alt, mehr als 10 Mal jünger als der Saturn selber, so lautete seinerzeit die einhellige Einschätzung. Allerdings brachte bei genauerer Betrachtung die Jugend der Ringe auch eine harte Nuss mit sich, die es zu knacken galt. Denn wie konnte die aus kosmologischer Sicht gerade erst abgeschlossene Ausbildung des Ringsystems plausibel erklärt werden? Man diskutierte die Zertrümmerung eines Mondes durch einen gewaltigen Impakt, ein Gedanke übrigens, der in etwas modifizierter Form gerade wieder eine Art Revival erlebt, wenn es darum geht, die vermuteten Ringe um den Saturnmond Rhea zu erklären (Stichwort Mikrometeorite). Oder aber ein Komet sei auf seiner Reise durch das Sonnensystem zu nah an den Planeten geraten und durch dessen Schwerkrafteinfluss zerrissen worden. Doch endgültig geklärt werden konnte die Frage bis in die Neuzeit hinein nicht.

Ringsystem des Saturn in Falschfarben
(Bild: NASA)

Zu Beginn der Cassini-Mission sah es sogar so aus, als sollte die Annahme eines jungen Ringalters noch deutlich nach unten korrigiert werden müssen. Eines der mit Hilfe des UV-Imaging-Spektrografen im reflektierten UV gewonnenen Bilder zeigt einen repräsentativen Ausschnitt der Hauptringe, wenn man im Vorfeld unterstellt, dass die Ringstruktur eine zylindersymmetrische Charakteristik aufweist. Die Kodierung der Aufnahme weißt Rot für Wasserstoffemissionen aus, die auch den Raum zwischen den einzelnen Ringen ausfüllen. Blau steht für das Spektrum des Wassereises; die geordneten Strukturen der Ringe treten auf diese Weise deutlich zu Tage. Ein Hinweis darauf, dass sie nicht mehrere hundert Millionen Jahre alt sein können. Da sich die einzelnen Ringpartikel in einem eigenen Orbit um den Planeten bewegen, kommt es zu Kollisionen untereinander. Bei manchen von ihnen vermutlich sogar mehrmals täglich. Würden Kollisionen in der beschriebenen Form jedoch über diesen Zeitraum hinweg stattfinden, so sollte eine deutliche Durchmischung der Farben Rot und Blau zu beobachten sein. Da dem offensichtlich nicht so ist, so schlussfolgerte man, existiert also eine Art unbekannter Mechanismus, der das Durchmischen der Farben verhindert, bzw. die beobachteten Strukturen aufrecht erhält. Oder aber, die Ringe sind nicht nur jung, sondern sogar sehr viel jünger, als dies die Daten der damaligen Voyager-Mission vermuten ließen.

Konzept der Dichtewellen
(Bild: NASA, bearb.: Raumfahrer.net)

Zu letzterer These passt auch gut eine Detailaufnahme, die einen Ausschnitt des A-Ringes zeigt. Im linken Bildbereich ist eine Art Stauchung der Ringpartikel zu erkennen, eine sogenannte Dichtewelle. Quasi das Gegenteil dieser Dichtewelle schließt sich im rechten Bildteil an, in dem die Partikel einer Art Beugung oder Dehnung unterliegen. Beide Phänomene werden durch den Einfluss nahestehender Monde verursacht und verleihen den Ringen eine äußerst dynamische Natur. Umso erstaunlicher, dass vor diesem Hintergrund eine so strikte Trennung in den Bildern nachweisbar war.

Zu Zeiten von Voyager und weit darüber hinaus schrieb man also mehrheitlich das jugendliche Aussehen der Ringe ihrer vermeintlich kurzen Existenzgeschichte von maximal einigen Millionen Jahren zu. Erste Risse bekam dann die Annahme durch den Vergleich der Voyager- mit Cassini-Aufnahmen von einzelnen Ringabschnitten, die mitunter deutliche Unterschiede zueinander aufwiesen. Es musste also innerhalb der letzten 25 Jahre zu Veränderungen im Ringsystem gekommen sein. Weitere vor diesem Hintergrund angestellte Untersuchungen zeigten schließlich zur nochmaligen allgemeinen Überraschung nicht nur junge Merkmale innerhalb der Ringstrukturen, sondern tatsächlich eine ganze Bandbreite von ihnen, die in ihrer Gesamtheit mit der Annahme eines einzelnen Entstehungsevents unvereinbar sind. So ergab sich paradoxerweise die Situation, dass das jugendliche Aussehen der Ringe nicht durch eine jugendliche Altersannahme erklärt werden kann.

Prinzip der Ringstabilisierung durch Schäfermonde
(Bild: NASA)

Eine gewichtige Rolle in der Frage, warum sich manche Ringabschnitte so überaus jung darstellen, scheint die Interaktion einiger Monde mit den Ringen zu spielen, wie sie sich beispielsweise als strukturelle Verbindung bei den sogenannten Hirten- oder Schäfermonden ausdrückt. Sie halten durch ihren gravitativen Einfluss einzelne Ringelemente beieinander.

Darüber hinaus lassen sich gewisse „genetische“ Verbindungen nachweisen, wonach das Baumaterial eines Rings direkt von einem (zerstörten) Mond abstammt, was zumindest in Form des E-Rings zwischenzeitlich auch belastbar bestätigt ist.

Zur Annahme der genetischen Verbindungen veröffentlichten Joshua Coldwell und Larry Esposito von der University of Colorado vor einigen Jahren (1992, „Formation of Narrow Planetary Rings by Satellite Disruption“) ein numerisches Modell, welches später als „Collisional Cascade“ bekannt werden sollte. In diesem Modell beginnt man mit relativ großen Ausgangskörpern, sogar Monden, und lässt sie durch äußere Einflüsse oder Kollisionen untereinander zerbrechen. Jedes Zerbrechen des jeweiligen Ausgangskörpers hat die Bildung eines einzelnen Rings zur Folge. Diese Kaskade setzt sich weiter fort, bis schließlich nur noch Partikel in der Größe von Staubteilchen existieren. Coldwell und Esposito folgerten seinerzeit aus ihrem Modell folgendes: Der Kaskadenprozess hätte das vorhandene Ringmaterial in wenigen 100 Millionen Jahren (maximal einem Zehntel des Alters des Sonnensystems) bis auf die Größe von Staubpartikeln heruntergebrochen. Vor dem entstehungsgeschichtlichen Hintergrund würde dies entweder den Abschluss des Ringentstehungsprozesses in der Frühzeit des Sonnensystems bedeuten, oder aber die Bildung der Ringe hätte erst zu einem sehr viel späteren Zeitpunkt einsetzen dürfen. Zu einer Zeit also, die uns in die Lage versetzt, diesem Prozess quasi live beizuwohnen. Bei einem Alter des Sonnensystems von 4,5 Mrd. Jahren also ein mehr als nur unwahrscheinlicher Zufall. Da die auf Grundlage des Kaskadenmodells weiter entwickelten Simulationen zeigten, dass bei einer abgeschlossenen Bildung des Ringsystems vor mehreren Milliarden Jahren die Ringe in ihrer heute beobachteten Form nicht mehr existieren würden, lauteten die beherrschenden Fragestellungen aus ihrem Model über viele Jahre hinweg: Wann bildeten sich die Ringe, sind sie alt, oder jung? Und warum sollten wir gerade jetzt das Glück haben, ihre Entstehung mit beobachten zu können?

Als Helfer in der Not entpuppte sich die Entdeckung des F-Rings. In ihm wird immer wieder die Bildung von Aggregaten und sehr kleiner Moonlets beobachtet, die jedoch eine hohe Mortalitätsrate aufweisen. Sie drückt sich im Verschwinden der Strukturen innerhalb nur eines Orbits aus. Während der Zeit, seit der F-Ring von Cassini in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen untersucht wurde, konnten insgesamt 13 verschiedene Events (Zusammenballungen und Verklumpungen) nachgewiesen werden, von denen eine ein möglicher Kleinstmond ist. Im Verlaufe verschiedener Besuche und Beobachtungszeiten konnte also das Entstehen und Vergehen von Objekten innerhalb des dünnen Rings zweifelsfrei dokumentiert werden, was nach aktuell gültiger Interpretation sicherlich eine Schlüsselstelle in der Beantwortung der Frage nach dem Ringalter darstellt.

Denn durch Wiederverwertung des Ringmaterials ist es möglich, die Ringe potenziell länger lebensfähig zu halten. Zumindest im F-Ring sind nachgewiesenermaßen fortlaufend Bildungsprozesse von Klein- und Kleinstkörpern im Gange, die schnell vergehen und ihr aufgesammeltes Material wieder in die Ringstrukturen abgeben, ein nahezu perfekter Materiekreislauf, der dazu führt, dass sich die Ringe quasi aus sich selbst heraus erhalten. Genau hierin liegt letztlich der entscheidende Unterschied zu der 1992 veröffentlichten Collisional Cascade, in der auch das Zerstören von Körpern das Baumaterial der Ringe bereitstellt, die jedoch nicht wieder von einer Rekombination von Körpern im Ring ausgeht. In ihr kommt der „Zerbröselungsprozess“ innerhalb einer relativ kurzen Zeitspanne zum Erliegen.

Sogenannte Self Garvity Wakes, kurzlebige Merkmale in Ring A, sind zu klein, um sie mit derzeitigen Mitteln direkt auflösen zu können.
(Bild: NASA)

Zwischenzeitlich sind längliche, kurzlebige Merkmale auch in den Hauptringen nachgewiesen worden, zu klein, um sie mit derzeitigen Mitteln direkt aufzulösen. Diese in den Hauptringen vorkommenden Populationen werden aus historischen Gründen „Self Gravity Wakes“ (SGWs) genannt. Grundsätzlich muss man also von einem weniger heterogenen Zustand der Ringe ausgehen, als man dies in der Vergangenheit getan hat.

Man nimmt also heute weitgehend akzeptiert einen zerstörten Mond in der Frühphase des Sonnensystems als Ursprung der Saturnringe an. Vermutlich war ein Meteoriteneinschlag Auslöser der Zerstörung. Die auseinandergebrochenen Teile des Mondes bildeten einen Ring um den Planeten und zerkleinerten sich durch Kollisionen untereinander, vielleicht auch aufgrund weiterer äußerer Einflüsse, auf immer kleinere Skalen. Innerhalb der Ringe aber setzte und setzt der beschriebene Recyclingprozess ein, der zur Bildung neuer (Klein)-Körper führt, die im Laufe der Zeit wiederum zerstört werden.

Darüber hinaus konnte in den letzten Jahren eine höhere Ringmasse als bisher angenommen nachgewiesen werden, so dass die Ringstrukturen durch andauernde Erneuerung von innen heraus über lange Zeiträume hinweg bestehen können und so auch nach 4 Mrd. Jahren noch immer jung und frisch aussehen.

Sind die Ringe jetzt also alt, oder sind sie jung? Nun, die Antwort auf diese Frage lautet eindeutig: Ja!

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