Die Konzepte existieren erst auf dem Reißbrett, doch wenn es um einen bemannten Flug zum Mars geht, werden die Visionen in Russland nicht rar.
Ein Beitrag von Felix Korsch. Quelle: SpaceDaily.com/Novosti.
Der Blick der Raumfahrt-Experten aus Ost wie West richtet sich zunehmend auch in Richtung eines möglichen bemannten Marsfluges. Je mehr man sich der Komplettierung des Aufbaus der Internationalen Raumstation nähert, umso wichtiger werden Fragen über Visionen, die über die Nutzungsdauer der ISS hinausreichen. Ein potentielles Ziel der bemannten Raumfahrt nach der ISS ist – hier ist man sich international einig – der Mars. Dass es den Russen mit diesen Plänen trotz aktueller Finanzmisere ernst ist, zeigt ein Interview der russischen Nachrichtenagentur Novosti mit General-Major Wassili Ziblijew, seines Zeichens tätig für das Kosmonauten-Ausbildungszentrum im Sternenstädtchen bei Moskau. Laut ihm wird man mit der Auswahl von Anwärtern zu einem Flug zum Roten Planeten beginnen, sobald der Auf- und Ausbau der ISS abgeschlossen ist. Dies wird bereits in einigen Jahren der Fall sein. Wann genau hängt vor allem von dem Zeitpunkt der Wiederaufnahme der US-amerikanischen Shuttle-Flüge ab. Diese liegen in Folge des Unglücks der Raumfähre Columbia am 1. Februar dieses Jahres vorerst auf Eis.
Gegenüber den Journalisten betonte Ziblijew, welche Qualitäten ein Mars-Raumfahrer mit bringen müsste, um sich für den langen Trip zu unserem Nachbarn im Sonnensystem zu qualifizieren: benötigt werden vorrangig Piloten, Mediziner und Biologen, aber auch Spezialisten aus allen anderen Fachbereichen der Natur-Wissenschaften. Die Ausbildung wird sich in einigen Punkten vom mehrjährigen Training der „normalen“ Raumfahrer unterscheiden, was auf die speziellen Anforderungen einer solchen Mission zurückzuführen sei. Das Augenmerk werde dabei auf die auftretenden extremen physischen und psychischen Strapazen gelegt. Hinzu kommt ein hoher intellektueller Standard und absolute körperliche Fitness, um auch Extrem- und Gefahrensituationen mit der gebotenen Sachlichkeit begegnen zu können. Die Raumfahrer werden den längsten Teil der Mission vollkommen autonom arbeiten und auf die jeweilige Situation selbstständig und eigenverantwortlich reagieren müssen, das das Funksignal Erde-Mars bis zu 40 Minuten benötig, so Ziblijew.
Dieser kennt sich in der Materie bestens aus, denn mit Sojus TM-17 und Sojus TM-25 konnte er selbst Erfahrungen auf der russischen Raumstation Mir sammeln. Auf letzterer Mission empfing er unter anderem den deutschen Raumfahrer Reinhold Ewald im Rahmen von Mir ’97. Sein Ausscheiden aus dem aktiven Dienst kam nach der Kollission eines Progress-Frachters mit der alternden Orbitalstation am 25. Juni 1997, wobei ihm – zu Unrecht – die maßgebliche Schuld an diesem gefährlichen Zwischenfall gegeben wurde.
Derzeit werden die russischen Raumfahrer noch nach den alhergebrachten Maßstäbden ausgewählt. Rekrutiert werden dabei vor allem Piloten der russischen Luftwaffe sowie Techniker und Ingenieure der Luft- und Raumfahrtbehörden der GUS, beispielsweise von Rosaviakosmos. Derzeit verfügt man in Russland über ein 44-Mann starkes Kosmonauten-Corps, zu dem demnächst auch wieder mehrere Frauen stoßen könnten. Das Verfahren der USA geht dagegen einen anderen Weg: hier kann sich jeder bewerben und die Auswahl erfolgt gemäß den gesetzten Standards unabhängig von der bisherigen Beschäftigung. Die Auswahl der zukünftigen Marsonauten wird sich am US-amerikanischen System orientieren, schließlich hofft man beim Jahrhundertprojekt Marsflug auf eine enge Zusammenarbeit mit der NASA und einen Schulterschluss mit Europa.