Es war nur eine im wahrsten Sinne des Wortes flüchtige Beobachtung an diesem angenehm warmen Dezembertag des Jahres 2006. Und doch mochte sie das Zeug zu entscheidenden und radikalen Denkansetzen haben.
Ein Beitrag von Lars-C. Depka. Quelle: R.A. Mewaldt et al, Dr. Tony Phillips; The California Institute of Technology, Lars-C. Depka.
Auch, wenn es zu Zeiten eines scheinbar überlangen Aktivitätsminimums schwer zu glauben ist, so kann unser Zentralgestirn doch auch anders. Wie anders, zeigte sich völlig überraschend an einem bis zu diesem Tage nicht außergewöhnlichen Sonnenfleck. Sonnenflecken werden zu unterschiedlichen Aktivitätszyklen der Sonne in heterogener Häufigkeit auf der sichtbaren Sonnenoberfläche (der Photosphäre) beobachtet und sind dort in Relation zu dem sie umgebenen Milieu Gebiete kühlerer Temperatur.
In den Gebieten mit solchen Sonnenflecken entwickeln sich über einen „normalen“ Sonnentag bis zu etwa 10 Plasma-Magnetfeldbögen, die man auch als Flares bezeichnet. Kommt es nun aus sonnenphysikalischen* Gründen zu einer Reorganisation dieser Magnetfeldbögen mit einem Ausschleudern des Plasmas, entsteht ein sogenannter Koronaler Massenauswurf (CME) oder auch eine Eruptive Protuberanz.
Größere Flares können durchaus ein Promille der Sonnenoberfläche oder das Zehnfache der Erdoberfläche einnehmen. Seit in den letzten fünf Jahren auch im Segment der H-Alpha-Beobachtung durch erschwingliche Teleskope eine Menge Bewegung gekommen ist, sind solche gewaltigen Ausbrüche auf der Sonnenoberfläche einer immer größer werdenden Anzahl von Amateurbeobachtern zugänglich.
Innerhalb des Sonnensystems stellen die Massenausbrüche der Sonne mit einem Äquivalent von mehreren hundert Millionen Wasserstoffbomben die stärksten beobachteten Explosionen dar. Man sollte also annehmen, dass Nichts in relativer Umgebung eines solchen Ereignisses wie einem Koronalen Massenauswurf überstehen würde. Noch nicht einmal ein einzelnes Atom sollte dem Teilchensturm der Sonne trotzen können, so die einhellige Auffassung und gültige Lehrmeinung.
Dass man ständig mit dem Unerwarteten, besonders in Zusammenhang mit wenig verstandenen sonnenphysikalischen Ereignissen rechnen muss, bewies dann doch der Nachweis eines Stroms energetisch neutraler und intakter Wasserstoffatome (energetic neutral hydrogen atoms ENAs), die im Zuge des Flares Anfang Dezember emittiert wurden. Auf der „Richter-Skala“ für Sonneneruptionen erreichte das Dezemberereignis einen X9-Status, was den später als E79 bezeichneten Flare zum stärksten Ereignis seiner Art der letzten dreißig Jahre machte.
Eine Stunde nach dem beobachteten Ausbruch auf der Sonne und viele weitere Stunden vor dem Eintreffen des „Hauptsturmes“ bei der Erde, wurde in einer ersten Teilchenwelle ein Protonenanstieg von 1,6 – 15 MeV (Megaelektronenvolt) registriert. Mehr als 70% aller Partikel stammten aus einem etwa 10 Breitengrade großen Gebiet auf der Sonne, dass gut mit dem zuvor beobachteten Sonnenfleck korrespondierte.
Doch nicht nur das schnelle Eintreffen der ersten Welle überraschte, sondern auch ihre Zusammensetzung widersprach der bis dahin geltenden Lehrmeinung fundamental. Zum einen bestand die erste Welle ausschließlich aus Wasserstoffatomen. Kein anderes Element, noch nicht einmal Helium (immerhin das zweithäufigste Element der Sonne), konnte nachgewiesen werden. Purer Wasserstoff flutete über mehr als 90 Minuten heran. Auch und insbesondere die völlige Unversehrtheit der Atome angesichts der gewaltsamen Entstehungshistorie führte zu radikalen Überlegungen im Zusammenhang mit der unerwarteten Natur der ersten Teilchenwelle.
Für mehr als 30 weitere Minuten nach dem Abflauen der ersten Welle herrschte absolute Ruhe, bis endlich die allgemein postulierten und durch das Flareereignis „zerstörten“ Teilchen wie Protonen und schwerere Ionen wie Helium nachgewiesen werden konnten.
Wie also konnten ausgerechnet die Wasserstoffatome einen derartigen Energieausbruch unbeschadet überstehen, und warum verspäteten sich die postulierten Ionen in der beobachteten Art und Weise? So lauteten über lange Zeit hinweg die entscheidenden Fragen, auf die erst kürzlich eine wegen ihrer Schlichtheit in ihrem ersten Teil entwaffnende Antwort gefunden wurde: Gar nicht.
Das Szenario, das die Beobachtungen am besten erklärt, geht von einem Auseinanderfallen der Wasserstoffatome in Protonen und Elektronen aus. Bevor diese Teilchen jedoch die ca. 10.000 km mächtige Chromosphäre (alle Schichten oberhalb der Photosphäre – beginnend mit der Chromosphäre – zählen zur Sonnenatmosphäre) verlassen, rekombinieren sich einzelne Protonen im Wege der sogenannten Strahlungsrekombination erneut mit einem Elektron, so dass ein intaktes Wasserstoffatom entsteht.
Die Rekombination stellt den Gegenpol zur Ionisation dar, bei der ein Ladungsträger – also das Elektron – aus einem Atom oder Molekül durch beispielsweise die Stoßionisation anderer Teilchen herausgebrochen wird. Die Rekombination verkörpert im Gegensatz dazu eine (Wieder)Vereinigung positiver und negativer Ladungsträger zu einem elektrisch neutralen Produkt, also wieder einem Atom bzw. Molekül. (Bei der Strahlungsrekombination verbindet sich ein Elektron mit einem atomaren Ion zu einem neutralen Atom und einem Photon.) Da die Ionisierung als Ladungstrennung hohe Energien benötigt, werden diese im Wege des Umkehrprozesses (der Rekombination) auch wieder abgegeben. Bevor das neu entstandene Atom neuerlich aufgebrochen wird, verlässt es, durch diese Energieabgabe auf hohen Energiegehalt beschleunigt, auf diese Weise die Chromosphäre.
Da es sich bei Ionen um elektrisch geladene Partikel handelt, unterliegen diese folgerichtig auch dem Einfluss des Magnetfelds der Sonne, so die Antwort auf den zweiten Teil der Fragestellung. Die elektrisch neutralen Wasserstoffatome passieren das Magnetfeld hingegen ohne weitere magnetische Interferenzen und konnten somit reichlich zwei Stunden vor der Ionenwelle im Raum um die Erde nachgewiesen werden.
Es stehen zwischenzeitlich eine Vielzahl Ansatzpunkte zu Verfügung, mit denen die genaue Quelle der Hydrogenemissionen durch Triangulation bestimmt werden kann. Alles, was man noch dazu braucht, ist ein bisschen Action auf unserem Zentralstern. Und genau darin liegt seit nunmehr 18 Monaten das Problem …
* Zur Verdeutlichung: Als Standardtheorie zur Entstehung von Flare-Ausbrüchen sind allgemein elektromagnetische Vorgänge innerhalb der Sonne anerkannt. Aufgrund ihrer geringeren Masse besitzen Elektronen eine höhere Geschwindigkeit als positive Ionen, die gemeinsam mit negativen Elektronen Bestandteile des Plasmas sind. Innerhalb des durch Konvektionsströmungen ständig in Bewegung gehaltenen Plasmas fließt ein elektrischer Strom, der ein Magnetfeld induziert. In einem komplexen Magnetfeld kann es getrennte Feldlinienbündel geben, die ihre Fußpunkte in verschiedenen Polen haben. Liegen nun zwei entgegengesetzt gerichtete Felder nahe beieinander, so löschen sich die Felder gegenseitig aus. Berühren sich die Plasmaschläuche in der Chromosphäre, schließen sich die Magnetfeldlinien kurz und es setzt eine magnetische Rekonnexion ein. Das heißt, die Magnetfeldstruktur ändert sich abrupt, was eine hohe Energiefreisetzung begründet, die letztlich zu den beobachteten Masseauswürfen führt. Zioutas et al machen alternativ in ihrer Arbeit „Flares as fingerprints of inner solar darkness“ auch Axionen (bislang hypothetische Elementarteilchen) aus dem Sonneninneren für einen Teil der Flares verantwortlich.