Zur Ehrung eines Weltraumvisionärs.
Ein Beitrag von Andreas Weise. Quelle: Besuch, Lektüre.
Denkt man heute an den Begriff „Raumstation“, so schwebt einem sofort das Bild der ISS vor Augen. Eine große Konstruktion aus Zylindern, Kegeln und Quadern mit riesigen Solar-Auslegern. Das Bild einer Raumstation, wie wir sie heute kennen, wurde durch die Vorgängermodelle, wie Saljut, Mir und Skylab geprägt. Immer wird ein Zylinder mit anderen Zylindern kombiniert.
Geht man in der Zeit weit vor 1971 zurück, so findet man ganz andere Vorstellungen von der „klassischen“ Raumstation. In verschiedenen Publikationen wurde diese als ringförmiges, sich um die Radnabe drehendes Gebilde dargestellt. Man war der Meinung, dass es notwendig wäre, durch Rotationskräfte künstliche Schwerkraft zu erzeugen. Ein gar nicht so abwegiger Gedanke für Langzeitaufenthalte im Weltraum, der heute weiter aktuell ist.
Als Vorlage für diese Stationsentwürfe dienten vor allem die Zeichnungen aus Collier’s-Magazin aus den frühen 1950er Jahren, die hauptsächlich auf den Vorstellungen von Wernher von Braun basierten. Dieser erläuterte seine Vorstellungen u.a. in einer sehr ausführlichen populärwissenschaftlichen Filmdarstellung im Jahre 1956. Die Vorstellung der radförmigen Raumstation wurde weltweit aufgegriffen. So zum Beispiel in der Sowjetunion vom Regisseur Pawel Wladimirowitsch Kluschanzew in seiner filmischen Zukunftsvision „Der Weg zu den Sternen“ von 1957. Den absoluten Triumpf feierte diese Idee im Film aber in Kubricks Meisterwerk „2001 – Odysse im Weltraum“. Nirgend wo sonst wurde die Rad-Raumstation so detailliert in Szene gesetzt.
Doch es gibt noch weitaus frühere Überlegungen zu einer radförmigen Raumstation.
Ein hierzulande sehr wenig bekannter Visionär der Raumfahrt ist Herman Potočnik (1892-1929). Potočnik ist auch unter dem Pseudonym Hermann Noordung bekannt. Geboren in Pola, im heutigen Kroatien, diente er im Ersten Weltkreig in der österreichischen Armee als Offizier. Nach dem Krieg studierte er Maschinenbau und Elektrotechnik an der Universität in Wien. 1929 verstarb er in Wien an den Folgen einer Lungenentzündung im Alter von 36 Jahren.
Als Vermächtnis für die Raumfahrt hinterließ Potočnik sein Buch „Das Problem der Befahrung des Weltraums – Der Raketenmotor“, erschienen 1929 in Berlin. Darin beschrieb er ausführlich und für den Laien durchaus verständlich, dass es technisch möglich wäre, Raumfahrt zu betreiben. Er machte ausführliche Vorschläge für eine ringförmige Raumstation, das sogenannte Wohnrad, welches in einem geostationären Orbit über der Erde stehen sollte. Dabei berechnete er genau die entsprechende Entfernung. Sein Buch wurde 1935 ins Russische, 1986 ins Slowenische und 1999 (!) von der NASA ins Englische übersetzt. Im Internet findet sich der 188-seitige Text mit einhundert teils sehr detaillierten Zeichnungen und Grafiken.
Es ist davon auszugehen, dass sowohl in Russland, Deutschland, England und den USA Potočniks Ideen zur Kenntnis genommen und aufgegriffen wurden.
Und natürlich ist sehr bemerkenswert, was Potočnik vor über neunzig Jahren an Gedanken und Ideen zu Papier gebracht hat, und was dann später daraus geworden ist. Der Buchtext mit den enthaltenen Grafiken ist für alle historisch interessierten Raumfahrtfreunde eine empfehlenswerte Lektüre.
Die Anerkennung blieb Potočnik Zeit Lebens versagt. Seine Raumfahrtideen wurden damals nicht ernst genommen. Vorschläge in den späten 1990er Jahren, eine internationale Raumstation nach Potočnik zu benennen, wurden leider nicht aufgegriffen. Heute wird er in Fachkreisen entsprechend gewürdigt.
Nachtrag
Angeregt durch einen Vortrag von Michael Tilgner „Hermann Potočnik Noordung und der geostationäre Orbit“ (Aufzeichnung durch spacelivecast.de bei YouTube) im Rahmen der Raumfahrttage in Neubrandenburg 2017 entstand die Idee von Maria Pflug-Hofmayr (Der-Orion), ihn in Wien zu ehren, welche sofort durch andere Mitstreiter aufgegriffen wurde.
Im Jahre seines 90. Todestages trafen sich am Vorabend des Tages der Raumfahrt Raumfahrtfreunde aus Österreich und Deutschland an seiner Ruhestätte auf dem Evangelischen Friedhof in Wien, um Potočnik zu würdigen. Vertreter von Der-Orion, Mars Society Deutschland e.V., Raumfahrer Net e.V. und Verein zur Förderung der Raumfahrt e.V. gedachten dem großen Weltraumvisionär.