Rückblende: Gedanken zu Apollo 8 – Weihnachten 1968

Ein Startplatz in Florida in den Vereinigten Staaten von Amerika. Drei Männer schicken sich an Geschichte zu schreiben. In einem Gefährt von 10 Tonnen bei einem Durchmesser von 2,70 Metern soll zum ersten Mal in der Geschichte der Mond angesteuert werden.

Ein Beitrag von Andreas Weise. Quelle: NASA, Roskosmos, RN.

NASA
Mondrakete mit CM und SM an der Spitze
(Bild: NASA)

Die Vision
Der Start zum Mond gelingt. Der Mond wird umflogen. Schließlich endet die Reise mit der Wasserung im Pazifischen Ozean, wo die kühnen Männer von einem Schiff der Marine der Vereinigten Staaten gerettet werden. Alle werden als Helden gefeiert…

Kommt einem die Geschichte bekannt vor? Irgendwie schon.

Aber sie ist nicht fünfzig, sondern hundertfünfzig Jahre alt. Sie entstammt der Feder des genialen französischen Schriftstellers Jules Verne. Dieser schrieb 1865 und 1870 seine beiden berühmten phantastischen Mondreisegeschichten „Von der Erde zum Mond“ und „Reise um den Mond“. Die Parallelen zu den später erfolgten wirklichen Mondflügen sind verblüffend.

Damals war die Geschichte reine Phantasterei. Und doch inspirierte sie Künstler und Wissenschaftler. Sei es bei der Umsetzung im Film „Reise zum Mond“ von 1902 (!) des Filmpioniers Georges Méliès oder dem Filmstreifen von Fritz Lang „Frau im Mond“ aus dem Jahr 1929. Letzterem Film wohnte schon eine entsprechende technische Beratung durch den Raketenpionier Hermann Oberth inne.

NASA
Apollo-8-Kommandomodul (CM) nach der Bergung an Bord der USS Yorktown
(Bild: NASA)

Die Wirklichkeit
Ungefähr einhundert Jahre später hatte die Wirklichkeit die Vision eingeholt.

Mit dem Raumschiff Apollo 8 flogen erstmals Menschen zu einem anderen Himmelskörper. Dabei konnte man sehen, dass Verne mit seiner Prognose gar nicht so weit daneben lag. Der Startplatz war auch in Florida, es waren drei Raumfahrer. Das Raumschiff wog 30 Tonnen (CM und SM) und hatte einen Durchmesser von 3,9 Metern. Und auch die Bergung fand durch die US-Marine im Pazifischen Ozean statt.

Was da zur Weihnachtszeit des Jahres 1968 geschah, war eine der herausragenden Leistungen in der Geschichte der bemannten Raumfahrt. Völlig zu Unrecht ist die Apollo-8-Mission fast in Vergessenheit geraten und steht im Schatten des ebenso grandiosen Apollo-11-Fluges. Nach meiner Meinung ist Apollo 8 in einer Reihe mit Sputnik 1 und Wostok 1 zu nennen. Zum ersten Mal verließen Menschen den Erdorbit, flogen durch den Van-Allen-Gürtel zu einem anderen Himmelskörper, bremsten ab und traten in eine Umlaufbahn um jenen ein. Eine bis dahin in der bemannten Raumfahrt nicht erreichte Leistung.

Die Astronauten Borman, Lovell und Anders gingen dabei ein sehr hohes Risiko ein. Es war erst der zweite bemannte Flug eines Apollo-Raumschiffes. Es war der dritte Flug und der erste bemannte Flug der bis dahin größten Trägerrakete der Welt, der Saturn V. Und dann ging es gleich zum Mond hinaus aus dem Erdorbit. Ursprünglich war Apollo 8 als Erprobungsflug im Erdorbit geplant. Warum diese Eile?

Die Vorgeschichte
Die Vorgeschichte der Apollo-8-Mission reicht bis zum Beginn der 60er Jahre zurück. Auf Grund des unerschütterlichen Glaubens an die eigene Überlegenheit war es für die USA eine riesige Schmach, in der Eroberung des Weltalls zunächst nicht die Nummer eins zu sein. Erster Satellit in der Umlaufbahn, erstes Lebewesen im Orbit, erster Mensch im Weltraum, erste Frau im Weltraum, erstes mehrsitziges Raumschiff, erster Ausstieg in den freien Weltraum, erste unbemannte weiche Mondlandung… Das alles vollbrachte die Sowjetunion. Die USA waren in diesem Wettstreit immer nur „zweiter Sieger“.

NRO
N1-Rakete in Baikonur im Blick eines US-amerikanischen Spionagesatelliten
(Bild: NRO)

Im ideologischen Kampf der Systeme hatte die Sowjetunion zumindest im Weltraum die Nase vorn. Noch! US-Präsident Kennedy hatte sofort nach Gagarins Flug erkannt, dass die USA nur durch eine besondere Tat, die sich in die Geschichtsbücher einbrennen sollte, die Oberhand gewinnen könne. Das Ziel war ausgegeben: Die bemannte Landung auf dem Mond und, manchmal übersehen, die sichere Rückkehr der Besatzung zur Erde.

Die Sowjetunion hatte zu keinem Zeitpunkt öffentlich erklärt, dass sie sich an einem „Wettrennen“ beteiligen würde. Trotzdem wurden in der Sowjetunion im Geheimen verschiedene bemannte Mondflugprogramme gestartet. Manchmal verplapperte sich auch ein Offizieller. Aber da musste man schon ganz genau hinsehen und hinhören. Der US-Geheimdienst CIA lieferte genügend Material über den mutmaßlichen aktuellen Stand der sowjetischen Raumfahrtaktivitäten. So war zum Beispiel der Bau der Startanlagen der sowjetischen Superrakete N1 fotoaufklärtechnisch nicht verborgen geblieben. Allerdings ebenso die Fehlstarts der N1.

Die Ergebnisse sind heute bekannt. Vieles war so geheim, dass es erst ab 1990 und weit danach an das Licht der Öffentlichkeit gelangte. Ein einigermaßen einheitliches Gesamtbild über die bemannten sowjetischen Mondflugaktivitäten haben wir erst heute. Hätte die Sowjetunion die USA beim Flug zum Mond schlagen können?

Der Verfolger
Hatte die Sowjetische Raumfahrt überhaupt eine Chance, bei der bemannten Mondlandung die USA zu schlagen? Nach dem, was wir heute wissen, lautet die eindeutige Antwort: Nein. Zu zersplittert, unkoordiniert und unterfinanziert waren die Programme. Man hatte den koordinierten wissenschaftlichen, wirtschaftlichen und finanziellen Ressourcen der USA, die um jeden Preis das Ziel erreichen wollten, nichts dergleichen entgegen zu setzten.

Bei der bemannten Mondumrundung sahen die Chancen aber nicht ganz so hoffnungslos aus. Für dieses Programm war eine Sonderversion des neuen Sojus-Raumschiffes vorgesehen. Dabei sollten zwei Kosmonauten auf einer hochelliptischen Bahn um den Mond herum fliegen.

Die Besatzungen standen bereits fest. Was fehlte, war das einsatzfähige Raumschiff. 1967 hatte der Sojus-1-Erstflug bekanntlich in einer Katastrophe geendet, wobei der Kosmonaut Komarow den Tod fand. Und die Mond-Flug-Kombination aus Proton-Trägerrakete und Zond-Raumschiff (eine Sojus-Version) erwies sich auch nicht als besonders zuverlässig.

Im September 1968 gelang dann mit der Zond-5-Mission die Mondumrundung und der Rückflug zur Erde. Allerdings war der Flug nicht ganz so erfolgreich, wie in der zeitgenössischen Ost-Literatur zu lesen war. Das geplante Landegebiet wurde nicht angeflogen und die Kapsel landete im indischen Ozean östlich von Madagaskar, wo sie geborgen wurde.

Der Landeanflug erfolgte mit einer Belastung von bis zu 16 g. Ob man in der Sowjetunion bereit gewesen wäre, Menschen planmäßig solch einer Belastung auszusetzen? Ich erinnere mich an eine Fragerunde mit Waleri Bykowski in Morgenröthe Rautenkranz, wo er auf eine entsprechende Frage sinngemäß antwortete, dass ein ballistisches Rückkehrverfahren mit hohen g-Werten die normalste Sache der Welt sei. Er sei schließlich mit Wostok 5 auch ballistisch zurückgekehrt.

Nach Zond 5 wollte man in der Sowjetunion den Flug der Zond 6 abwarten. Wenn der glückte, dann wäre der nächste Flug bemannt. Der Flug von Zond 6 im November 1968 verlief zunächst einigermaßen planmäßig. Der Einschuss zum Mond, die Umkreisung und der Rückflug funktionierten. Auch ein neues Anflugverfahren, welches die g-Kräfte auf bis 7 g reduzierte, wurde erprobt.

Die Landung von Zond 6 schlug allerdings fehl. Auf Grund einer Enthermetisierung und einer darauf folgenden Fehlfunktion wurde der bereits geöffnete Landefallschirm in fünftausend Meter Höhe gekappt und die Kapsel zerschellte. Der für Anfang Dezember bei einem geglückten Flug mögliche bemannte Start wurde damit abgesagt, obwohl sich die Kosmonauten für einen sofortigen bemannten Flug aussprachen. Es waren Soldaten, die bereit waren, für ihr Vaterland ein entsprechendes Risiko aufzunehmen. Aber die Freigabe erfolgte nicht. Zu groß war die Angst vor einem Scheitern.

NASA Apollo 8
Blick Richtung Erde
(Bild: NASA Apollo 8)

Damit war das Rennen um den ersten bemannten Mondflug entschieden. Die Sowjetunion leugnete fortan, je ein bemanntes Mondflugprogramm betrieben zu haben. Erst mit Zond 7 im August 1969 gelang der Sowjetunion eine fast fehlerfreie Mondumkreisungsmission. An Bord war ein Dummy, eine Puppe, die im Gesicht Juri Gagarin sehr ähnlich sah. Dieser Dummy war unlängst im Science Museum in London zu besichtigen.

Bleibt nur anzumerken: Ende Dezember 1968 erfolgte dann der Flug von Apollo 8. Entgegen der Zond-Mission, die nur ein Umfliegen des Mondes vorsah, trat Apollo 8 durch ein Bremsmanöver auf der Rückseite des Mondes in einen Mondorbit ein. Durch eine erneute Triebwerkszündung wurde dann der Mondorbit verlassen. Die Belastung von Apollo 8 beim Anflug auf die Erde lag bei 6,8 g. Das Unternehmen war technologisch erheblich anspruchsvoller, als das Zond-Projekt. Aber im Nachhinein muss man sagen, es war knapp. Hätten die Amerikaner nicht alles auf eine (Apollo-8-)Karte gesetzt und wäre der Flug von Zond 6 erfolgreich gewesen… Tja! Die Geschichte ist nun einmal so verlaufen.

Was bleibt?
Was bleibt vom Flug von Apollo 8? Zunächst eine der bedeutendsten Erstleistungen in der bemannten Raumfahrt. Der erste Flug zum Mond. Aber Apollo 8 hat uns nicht nur den Mond näher gebracht. Das wichtigste Bild der Reise zeigt aber etwas anderes: Die Erde. Zum ersten Mal sehen Menschen, wie einsam und zerbrechlich sie ist. Das Bild geht um die Welt. Und die US-Post brachte eine Sonderbriefmarke heraus.

Eigentlich sollte diese Foto jeder Staatsmann auf der Welt in seinem Büro hängen haben um sich daran zu erinnern, dass wir nur diese eine gemeinsame Heimat haben.

Dieses wichtige, wunderschöne Bild fasst das Vermächtnis von Apollo 8 zusammen.

A. Weise
„Mars“ und „Erde“ in Relation
(Bild: A. Weise)

Nachtrag zum Schluss: Die Relation
Vieles, was vor 50 Jahren in der Raumfahrt als einmalig und großartig bewundert wurde, ist heute schon fast Alltag geworden. Die antiquierte Raumfahrttechnik von damals scheint heute kaum noch jemanden hinter dem Ofen hervor zu locken. Allein was die Rechenleistung der damaligen Computer angeht, so liegen zum heutigen Stand der Technik ganze Galaxien dazwischen.

Um die räumlichen Dimensionen, die damals vor fünfzig Jahren erstmalig überwunden wurden, etwas anschaulicher darzustellen, muss man einen begreifbaren Maßstab wählen. Da weis man, was damals geschafft wurde und was heute wieder vor uns liegt.

Die Raumfahrt-Freunde vom Mitteldeutschen Raumcon-Stammtisch stellten einmal die Größenverhältnisse dar. Ort der Handlung: Der Parkplatz vor der Deutschen Raumfahrtausstellung in Morgenröthe-Rautenkranz. Wo auch sonst?!

privat
Auf dem Parkplatz vor der Deutschen Raumfahrtausstellung
(Bild: A. Weise)

Als Erde wurde ein alter Schulglobus benutzt. Dargestellt ist der Bahnabstand zur ISS. Weiter kommen wir bemannt zurzeit nicht (mehr). Die geostationären Bahnen der Kommunikationssatelliten sind da schon etwas weiter draußen. Der Mond aber, der ist doch ganz schön weit entfernt. Und da wollen wir in kürze wieder hin. Nicht unmöglich, aber auch nicht ganz einfach.

Ach ja. Dann gibt es noch die Reisepläne zum Mars. Im selben Maßstab war es nicht einfach, etwas Vergleichbares darzustellen. Also ging ich nach Berlin. Bei einer angenommenen mittleren Entfernung zum Mars steht unser Erdglobus entweder am Ernst-Reuther-Platz im Umfeld der Technischen Universität oder auf der Lichtenberger Brücke. Der Mars in der Größe eines Handballs wäre dann genau am Berliner Fernsehturm. Also auch eine sehr anspruchsvolle Reise. Aber wir werden da nicht hinreisen, weil es einfach, sondern weil es schwierig ist (frei nach J. F. Kennedy).

A. Weise
Der Mars in Berlin?
(Bild: A. Weise)

Und vielleicht erleben wir dann auch so einen aufregenden Weihnachtsabend, wie vor fünfzig Jahren. In diesem Sinne allen frohe und friedliche Feiertage.

Weiterführende Literatur
Projekt Apollo – Die Mondlandungen; Reichl; Motorbuchverlag; 2016Moskaus Mondprogramm; Reichl; Motorbuchverlag; 2017

Zeitzeugen-Literatur
Apollo 8 – Aufbruch ins All; Der Report der ersten Mondumkreisung; von Puttkamer; 1969 (Ein Zeitdokument aus dem Westen von einem, der dabei war.)

Der Weg zum Mond; Mielke; 1971 (1969); 2. Auflage (Ein Zeitdokument aus dem Osten, das die damalige offizielle sowjetische Darstellung wiederspiegelt.)

Dank für die Unterstützung
Olaf Bieler (www.raumfahrtkalender.de) Uwe Rätsch

Mitteldeutscher Raumcon-Stammtisch

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