Die europäische Kometensonde Rosetta absolviert ihre Generalprobe: Am kommenden Samstag fliegt sie in einem Abstand von 3.162 Kilometern an (21) Lutetia vorbei. Der Gesteinsbrocken gehört zu den Sonderlingen des Asteroidengürtels zwischen Mars und Jupiter.
Ein Beitrag von Karl Urban. Quelle: Eigene Recherche.
Es muss eine klare Nacht gewesen sein, als der deutsch-französische Kunstmaler und Astronom Hermann Goldschmidt am 15. November 1852 auf seinen Pariser Balkon tritt und sein Teleskop aufbaut. Die Stadt ist noch nicht elektrifiziert, Lichtverschmutzung kein Thema. Ein paar Jahre zuvor hatte er einen Vortrag des Uranusentdeckers Urbain Le Verrier gehört – und seine Leidenschaft für die Astronomie entdeckt. Angeblich verkaufte er zwei Portraits von Galileo Galilei, um sich sein erstes Teleskop zu kaufen.
An jenem Abend also, so will es die Geschichtsschreibung, entdeckt Goldschmidt den Asteroiden, der nach dem Entdeckungsort mit dem lateinischen Namen für Paris bedacht wurde: Lutetia.
Die scharfen Augen zweier Sonden
Am kommenden Samstag, dem 10. Juni 2010 wird Rosetta mit einer Geschwindigkeit von 15 Kilometern pro Sekunde an Lutetia vorbeifliegen. Die Raumsonde ist auf dem Weg zum Kometen 67P/Tschurjumow-Gerasimenko, den sie im Mai 2014 erreichen soll. Huckepack trägt sich die vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) entwickelte Landesonde Philae. Auch an Bord von Philae werden gleich drei Instrumente an der Generalprobe teilhaben und die Muttersonde bei der Untersuchung unterstützen.
Um 17:44 Uhr (MESZ) wird Rosetta die dichteste Annäherung an Lutetia erreichen. Da sich das Raumfahrzeug derzeit in einem Abstand von 450 Millionen Kilometern von der Erde befindet (dem dreifachen Abstand zwischen Sonne und Erde), trifft das Signal erst gegen 18:10 Uhr auf der Erde ein. Erste Aufnahmen werden gegen 23:00 Uhr erwartet. Auf Raumfahrer.net können Sie das Ereignis mit Ticker und Videostream direkt aus dem ESA-Kontrollzentrum in Darmstadt live verfolgen. Auch über Twitter werden wir Neuigkeiten sofort bekanntgeben.
Ein seltsamer Brocken?
Lutetia ist eine widersprüchliche Welt. Der Asteroid gehört zum Hauptgürtel zwischen Mars und Jupiter, ist jedoch mit einer Größe von rund 100 Kilometern bei weitem nicht der größte. Historisch wurde er als metallischer M-Typ-Asteroid klassifiziert, vor allem wegen seiner großen Albedo, der Rückstrahlfähigkeit der Oberfläche. Stimmt diese Annahme, wäre Lutetia der erste Körper dieser Gruppe, der jemals von einer Raumsonde besucht wird. Jedoch spricht das bisher gemessene Spektrum eher für einen chondritischen (kohlenstoffbasierten) C-Typ-Asteroiden.
Die französische Astronomin Irinia Belskaja hatte Lutetia mit Kollegen im Jahr 2007 genauer untersucht und auf dieser Basis eine Vorhersage über die Beschaffenheit gewagt: Danach dürfte es in der nördlichen Hemisphäre eine größere Unregelmäßigkeit seiner Form geben, die rund 20 Prozent seiner Oberfläche einnimmt. Das könnte etwa ein großer Krater sein. Die Oberfläche ist vermutlich heterogen und zum Teil von feinem Staub bedeckt.
Ebenfalls 2007 hatte ein Forscherteam um Bernhard Schläppi von der Universität Bern durch Simulationen gezeigt, dass sich neutrales Natrium und Sauerstoff zu einer dünnen Exosphäre um Lutetia angesammelt haben könnten. So könnten der Sonnenwind und der Vaporisation eingeschlagener Mikrometeoriten zur Entstehung der extrem dünnen Atmosphäre beigetragen haben. Rosetta kann diese Simulation nun direkt bestätigen.
Vor knapp zwei Jahren hatte Rosetta seinen ersten Asteroiden besucht (Raumfahrer.net berichtete): (2.876) Šteins ist mit einer Größe von 6,67 mal 5,81 mal 4,47 Kilometern ungleich kleiner als (21) Lutetia. Der Himmelskörper hatte die Forscher mit seiner völlig kraterübersäten, diamantähnlichen Form überrascht. Sein großer Bruder Lutetia wartet sicher mit ähnlichen Überraschungen auf.
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