Europa startet am 26. Februar 2004 zu seiner bisher größten Kometenmission Rosetta. Die Anforderungen an Mensch und Technik sind enorm, die wissenschaftlichen Möglichkeiten aber ebenfalls.
Autor: Karl Urban. Vertont von Dominik Mayer.
Anfang des 19. Jahrhunderts finden Napoleons Soldaten nahe der ägyptischen Stadt Rosetta (heute Raschid) einen Stein, der einen Gesetzestext in drei verschiedenen Sprachen enthält. Mit dessen Hilfe gelingt es 1822 dem französischen Forscher François Champollion die ägyptischen Hieroglyphen zu entziffern. Damit eröffnet der Welt eine der ältesten Kulturen und erlaubt ihre ausführliche Erforschung, vermittelt durch die Schriftsprache.
Dienstag, 2. März 2004, 8.17 Uhr MEZ: Eine Ariane 5 G+ erhebt sich vom europäischen Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guayana. An ihrer Spitze befindet sich Rosetta, die wohl ehrgeizigste Forschungssonde, die von der ESA jemals gestartet wurde. Sie könnte, wenn alles gut geht, Informationen darüber ans Licht befördern, wie unser Sonnensystem vor 4,5 Milliarden Jahren während seiner Entstehung aussah. Das beim Start 3,2 Tonnen schwere Raumfahrzeug macht sich dann auf den Weg zum Kometen Churyumov-Gerasimenko (oder kurz C.G.), um ihn umfassend zu untersuchen. Der Himmelskörper kann Auskünfte Antworten auf die fundamentalsten Fragen der Wissenschaft über die Entwicklung der Erde und des Lebens liefern – ganz ähnlich wie der Stein von Rosetta die Erforschung der ägyptischen Kultur beflügelte.
Dreifacher Erdbesuch
Doch bis es soweit ist, werden noch etliche Jahre vergehen: Nach ihrem Start wird Rosetta und der kleine und hauptsächlich in Deutschland entwickelte Lander Philae über zehn Jahre lang auf einer komplexen Bahn unterwegs sein, bis das Mutterschiff im Herbst 2014 in eine Umlaufbahn um seinen Zielkometen eintreten wird. Dies klingt nach einer langen Flugzeit, wenn man bedenkt, dass C.-G. zu diesem Zeitpunkt bereits auf der Höhe des Jupiters ist und auf die Sonne zufliegt. Doch die beteiligten Missionswissenschaftler wollen mit der über 700 Millionen Euro teuren Mission nicht einfach an dem Kometen vorbeifliegen, wie dies alle bisherigen Kometenmissionen taten. Sie wollen in eine Umlaufbahn um den nur vier Kilometer großen Kern eintreten, um ihn über einen längeren Zeitraum von über einem Jahr erforschen zu können. Um dies zu erreichen, muss Rosetta auf die gleiche Geschwindigkeit wie der Zielkomet gebracht werden, was mit heutigen chemischen Raketentriebwerken auf direktem Wege nicht erreichbar ist.
Daher wird Rosetta auf seiner Flugbahn insgesamt vier sogenannte Swing-by-Manöver ausführen. Dabei fliegt die Sonde in geringem Abstand an Planeten vorbei und erhält durch ihr Gravitationsfeld eine größere kinetische Energie, wird also beschleunigt, ohne selbst Treibstoff aufwenden zu müssen. Dieses Manöver wird Rosetta insgesamt dreimal an der Erde (2005/2007/2009) und einmal am Mars (2007) vorbeiführen. In dieser Flugphase könnte die Sonde zudem im Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter an einem großen Planetoiden vorbeifliegen, um dort seine Instrumente zu kalibrieren und um zu verhindern, dass den Missionswissenschaftlern während der zehnjährigen Flugphase langweilig wird. Doch an das Team werden dennoch große Herausforderungen gestellt.
Organisatorische Herausforderungen
Eine Raumsonde, die erst nach einem Jahrzehnt zu ihrem Ziel gelangt, muss die gesamte Zeit kontrolliert und ihre Flugbahn überwacht werden. Doch auch auf der Erde muss sichergestellt sein, dass zu Beginn der heißen Missionsphase 2014 noch Spezialisten am Projekt beteiligt sind, um sie zu einem erfolgreichen Ergebnis zu führen. Projektleiter des Philae-Landers Professor Berndt Feuerbacher formulierte es am vergangenen Donnerstag in Berlin so: „Auch wenn Sie mich im Rollstuhl ins Kontrollzentrum schieben müssen – ich werde dabei sein, wenn die Landung [2014] stattfindet. […] Wir haben aber natürlich eine Mannschaft von jungen Leuten, die kontinuierlich dabei sein werden und die dann durchaus noch in recht passablem Alter sein werden, wenn Philae landet.“ Feuerbacher selbst wird zu diesem Zeitpunkt bereits in Rente gegangen sein.
Doch nicht nur die beteiligten Wissenschaftler und Ingenieure, auch die Technik muss in zehn Jahren noch kompatibel zu den elektronischen Systemen am Boden sein. Dazu sagte Professor Sigmar Wittig, Vorstandsvorsitzender des DLR: „Wir müssen über diese Zeit natürlich Infrastruktur aufrecht erhalten. Dies ist nicht so ganz einfach, wenn man sich überlegt, wie die Elektronik vor zehn Jahren aussah und wie sie jetzt aussieht. Wir müssen also ständig die Kompatibilität sicherstellen.“
Umfangreiche Ausstattung
Doch der enorme organisatorische Aufwand dürfte sich lohnen. An Bord des Orbiters befinden sich elf hochmoderne Instrumente, die den Kometen unter die Lupe nehmen werden.
- Das Ultraviolett-Spektrometer Alice wird nach verschiedenen Edelgasen suchen, deren Verteilung etwas über die Umgebungstemperatur während der Entstehung vor 4,5 Milliarden Jahre aussagt.
- Die Kamera Osiris soll den Kometenkern in hoher Auflösung im sichtbaren und nahen infraroten Spektralbereich fotografieren. Bereits vor Ankunft beim Zielkometen kann Osiris stark vergrößerte Fotos schießen, um die Planungen über den weiteren Missionsverlauf zu erleichtern.
- Virtis soll mittel bis gering aufgelöste Bilder vom Kometenkern schießen, aus denen sich die räumliche Verteilung von gefundenen Elementen schließen lässt.
- Das Instrument Miro soll nach extrem flüchtigen Elementen suchen und ihre Verdampfungsrate messen.
- Rosina besteht aus einem Magnet- und einem Flugzeit-Massenspektrometer, die Ionen und Neutralgasteilchen nachweisen können. Dadurch lässt sich zum Beispiel die Zusammensetzung der kaum vorhandenen Kometenatmosphäre und Wechselwirkungen der Teilchen bestimmen.
- Für die Untersuchung des Kometenstaubs wird Cosima ebenfalls mit einem Massenspektrometer die Häufigkeiten von Elementen, Isotopen und Molekülen bestimmen.
- Das hoch auflösende Mikroskop Midas kann die Feinstruktur einzelner Staubteilchen abbilden.
Weitere Instrumente werden den Kometenkern genauer unter die Lupe nehmen. Die Ausstattung von Rosetta ist eine gesamteuropäische ESA-Mission mit starker Beteiligung von deutschen Instituten. Vier der Experimente an Bord des Orbiters stammen vom Max-Planck-Institut für Extraterrestrische Physik und für Aeronomie, der Technischen Universität Braunschweig und der Universität Köln. An fünf weiteren Experimenten waren ebenfalls deutsche Einrichtungen beteiligt.
Die spektakulärsten Ergebnisse werden jedoch vom Lander Philae erwartet. Die Landung auf einem Kometen ist ein Unterfangen, das bisher noch nie erprobt wurde. So werden an das kleine und nur 100 Kilogramm schwere Raumfahrzeug hohe Anforderungen gestellt. – Immerhin muss er mit Bedingungen fertig werden, die den Missions-Wissenschaftlern erst kurz vor der Ankunft am Zielkometen bekannt sein werden. Das Risiko der Landung ist zwar hoch, allerdings nicht mit der Landung auf einem Planeten vergleichbar, da Kometen keine Atmosphäre und nur eine sehr geringe Gravitation besitzen.
Doch bis es soweit ist, werden noch etliche Jahre vergehen. In dieser Zeit wird das europäische Projektteam sicherstellen, dass Rosetta seine komplizierte Flugbahn beibehält und sein Ziel auch wirklich erreicht. Es bleibt ebenfalls zu hoffen, dass in diesem Zeitraum keine großen Sonneneruptionen wie im Oktober 2003 den Orbiter beschädigen werden. Immerhin musste die Mission im vergangenen Jahr bereits ein mal verschoben werden, als im Dezember 2002 eine leistungsstärkere Version der Trägerrakete Ariane 5 gesprengt werden musste und damit über mehrere Monate auch ihre Basisversion lahmlegte. Dadurch konnte Rosetta auch das ursprüngliche Ziel, den Kometen Wirtanen, nicht mehr erreichen.
Wenn die Mission im Herbst 2014 erfolgreich seine Hauptaufgabe wahrnehmen kann, wäre dies wohl eine der größten Erfolge für die europäische Raumfahrt bisher und dürfte die astronomische Forschung massiv voranbringen.
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