Auf den Aufnahmen der OSIRIS-Kamera an Bord der Kometensonde Rosetta entdeckten Wissenschaftler einen Felsblock, der an die von der Erde her bekannten Wackelsteine erinnert. Derzeit ist noch unklar, wie sich eine solche geologische Formation auf dem Kometen 67P/Tschurjumow-Gerassimenko bilden konnte.
Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung, ESA. Vertont von Peter Rittinger.
Nach einem mehr als zehn Jahre andauernden Flug durch unser Sonnensystem erreichte die von der europäischen Weltraumagentur ESA betriebene Raumsonde Rosetta am 6. August 2014 das Ziel ihrer Reise – den Kometen 67P/Tschurjumow-Gerassimenko (der Einfachheit halber ab hier als „67P“ abgekürzt). Seitdem ‚begleitet‘ Rosetta diesen Kometen auf seinem weiteren Weg in das innere Sonnensystem und untersucht dieses Relikt aus der Entstehungsphase unseres Sonnensystems dabei intensiv mit elf wissenschaftlichen Instrumenten.
Mitte September 2014 bewegte sich Rosetta dabei in einer Umlaufbahn um den Kometen, welche in einer Entfernung von etwa 30 Kilometern zu dessen Zentrum verlief. Während dieser „Global Mapping Phase“ (kurz „GMP“) wurden die abbildenden Instrumente der Raumsonde dazu genutzt, um die Oberfläche von 67P zu verschiedenen ‚Tageszeiten‘ und somit unter unterschiedlichen Beleuchtungsverhältnissen abzubilden und zu charakterisieren. Auf den Aufnahmen zeigte sich, dass der Komet 67P über eine stark variierende Oberfläche verfügt, welche größtenteils von einem rauen Gelände dominiert wird, auf dem sich eine Vielzahl von teilweise sehr stark geneigten Berghängen, scharfkantige Klippen, Vertiefungen, kraterähnliche Strukturen sowie parallel verlaufenden Rillen und Gräben, aber auch Gesteinsbrocken und Felsblöcke befinden. Der größte dieser Felsblöcke – der in der „Imhotep-Region“ gelegene Felsen „Cheops“ – verfügt dabei über eine Ausdehnung von bis zu 45 Metern (Raumfahrer.net berichtete).
Aber auch in anderen Regionen der Kometenoberfläche stießen die an der Mission beteiligten Wissenschaftler bei der Auswertung der Aufnahmen der OSIRIS-Kamera – der vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung (MPS) in Göttingen entwickelten und betriebenen Hauptkamera an Bord der Raumsonde – auf relativ große und zugleich ungewöhnliche Felsblöcke.
Eine außergewöhnliche Felsformation wurde so zum Beispiel in der Region „Aker“ entdeckt. In einer Gruppe von drei größeren Felsen sticht dort der größte dieser Felsblöcke nicht nur wegen seines Durchmessers von etwa 30 Metern besonders hervor. Unter günstigen Beleuchtungsverhältnissen zeigt sich, dass dieser Felsen offenbar nur über eine kleine Auflagefläche verfügt und sozusagen am Rand einer unmittelbar benachbarten Vertiefung ‚balanciert‘. Die entsprechenden, hier gezeigten Aufnahmen wurden ebenfalls bereits im September 2014 aus einer Entfernung von 29 Kilometern zur Kometenoberfläche angefertigt, aber schließlich erst am gestrigen Tag veröffentlicht.
Wackelsteine auf der Erde
Derartige geologische Formationen kommen auch auf der Erde vor. Diese zum Teil riesigen Gesteinsbrocken berühren den Untergrund nur mit einem vergleichsweise winzigen Teil ihrer Oberfläche und erwecken so den Eindruck, als könnten sie jeden Moment umkippen oder einen Abhang herunter rollen. Einige dieser Felsen lassen sich in der Tat bereits mit einem minimalen Kraftaufwand bewegen und werden deshalb auch als Wackelsteine bezeichnet. In Deutschland finden sich diese zum Beispiel im Bayrischen Wald oder im Fichtelgebirge. Imposante ’nicht-wackelnde‘ Beispiele sind dagegen unter anderem aus Australien oder dem Südwesten der USA bekannt. Oftmals wurden diese Felsbrocken im Rahmen eines glazialen Transports während der Eiszeiten von Gletschern zu ihren heutigen Standorten verfrachtet. In anderen Fällen haben Wind und Wasser weicheres Gestein in der Umgebung abgetragen und dabei die irdischen Wackelsteine freigelegt.
Wie entstand der Wackelstein auf 67P?
Auf dem Kometen 67P gibt es jedoch weder eine Atmosphäre noch flüssiges Wasser, welches die Oberfläche erodieren lassen könnte. Und auch ein glazialer Transport durch Eisgletscher kann ausgeschlossen werden. Entsprechende Entstehungsmechanismen scheiden für die Entstehung des ‚Wackelsteins‘ auf der Oberfläche des Kometen 67P somit aus.
„Wie der mögliche Wackelstein auf dem Kometen entstanden ist, lässt sich noch nicht sagen“, so Dr. Holger Sierks vom MPS, der wissenschaftliche Leiter des OSIRIS-Kamerateams. Es sei jedoch denkbar, so Dr. Sieks weiter, dass auch auf dem Kometen 67P gewisse Transportprozesse eine Rolle bei der Verfrachtung von Gesteinsblöcken spielen können.
Kometen bewegen sich auf stark elliptischen Umlaufbahnen um die Sonne. Den Großteil ihrer Existenz fristen diese auch als ’schmutzige Schneebälle‘ bezeichneten Objekte dabei fernab des Zentralgestirns unseres Sonnensystems als kalte, nahezu unveränderliche Brocken aus Eis, Staub und gefrorenen Gasen. Erst wenn sich ein Komet auf seiner langgezogenen Umlaufbahn der Sonne bis auf eine Entfernung von etwa fünf Astronomischen Einheiten – dies entspricht in etwa einer Distanz von 750 Millionen Kilometern – nähert, setzt eine zunächst langsam ablaufende ‚Verwandlung‘ ein.
Aufgrund der jetzt immer weiter steigenden Temperaturen auf der Kometenoberfläche sublimieren die leichtflüchtigen Bestandteile des Kometenkerns – in erster Linie handelt es sich dabei um gefrorenes Wasser, Kohlenstoffdioxid, Methan und Ammoniak – und entweichen mit Geschwindigkeiten von bis zu einigen hundert Metern in der Sekunde in das umgebende Weltall. Dabei reißen diese freigesetzten Gase regelrechte Fontänen aus Staubpartikeln mit sich, was zu einer Umgestaltung der Kometenoberfläche führt. Diese Teilchen formen zunächst eine Koma, welche den Kometenkern vollständig einhüllt. Aus dieser Kometenkoma entwickelt sich aufgrund des von der Sonne ausgehenden Strahlungsdrucks anschließend auch ein Schweif, welcher den Kometen ihr charakteristisches Aussehen verleiht.
Bei jeder erneuten Annäherung an die Sonne verliert der Komet 67P somit aufgrund der dabei zunehmenden kometaren Aktivität einen Teil seiner Oberfläche. Bedingt durch diese Abtragung von Oberflächenmaterial ist es möglich, dass kompaktere Bestandteile der Oberfläche – wie etwa ’solide‘ Felsblöcke – ihre ursprüngliche Basis fast vollständig verlieren und sich in der Gegenwart als ‚Wackelsteine‘ präsentieren. Durch eine Fortsetzung dieses erosiven Prozesses können diese Felsen auch endgültig ihren Halt verlieren, Abhänge herunter rutschen und so schließlich an einen neuen Standort gelangen. Derartige Vorgänge könnten auch verschiedenen ‚Rutschspuren‘ von Felsen auf der Oberfläche von 67P erklären.
Komplizierte Interpretation der OSIRIS-Aufnahmen
„Schon in früheren Aufnahmen war uns diese Formation aufgefallen“, so Sebastien Besse von der ESA – der Mitarbeiter des OSIRIS-Teams, welcher den Wackelstein entdeckt hat. „Die Brocken schienen sich jedoch zunächst nicht grundlegend von anderen zu unterscheiden.“ An vielen Stellen auf der Oberfläche von 67P finden sich vereinzelte, zum Teil sehr große Brocken. Andere Regionen der Kometenoberfläche erinnern sogar an Geröllhalden und sind von Felsblöcken geradezu übersät. In einer bestimmten Region wurden zum Beispiel auf einer Fläche von etwa einem Quadratkilometer mehr als 300 Felsblöcke gezählt, welche über einen Durchmesser von teilweise deutlich mehr als drei Metern verfügen.
„Aufnahmen von der Oberfläche des Kometen richtig zu interpretieren, ist eine schwierige Aufgabe“, so Dr. Sierks. Je nach dem Beobachtungsstandort der Raumsonde zum Zeitpunkt der Aufnahme, den dadurch vorgegebenen Beleuchtungsverhältnissen und der Auflösung können sehr unterschiedliche und zum Teil auch irreführende Eindrücke entstehen. So erwecken die Aufnahmen der ‚Wackelstein-Formation‘ vom 16. August 2014, welche aus einer größeren Entfernung von 105 Kilometern entstanden, den Anschein, als rage der mittlere Brocken säulenartig von der Oberfläche empor. Weitere Aufnahmen vom 19. September 2014 vermitteln dagegen einen anderen Eindruck.
Die Mitarbeiter des OSIRIS-Kamerateams wollen den ‚Wackelstein-Kandidaten‘ deshalb auf jeden Fall auch weiterhin genau beobachten. Dabei müssen sich die Kometenforscher jedoch bis auf weiteres mit Abbildungen zufrieden geben, welche aus deutlich größeren Entfernungen angefertigt werden müssen (Raumfahrer.net berichtete). Weitere Aufnahmen dieses Felsblocks könnten trotzdem Aufschluss über dessen wahres Wesen und möglicherweise auch über seine Entstehung liefern.
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