Hochenergetisches kosmisches Neutrino bestätigt lange vorhergesagte Resonanz in der schwachen Wechselwirkung. Internationales Team mit RWTH-Beteiligung veröffentlicht Forschungsergebnisse in „Nature“. Eine Pressemitteilung der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen.
Quelle: RWTH.
Am 6. Dezember 2016 wurde im IceCube Neutrino Observatorium in der Antarktis ein extrem hochenergetisches Neutrino gemessen, das überraschende Rückschlüsse auf fundamentale Teilchenphysik erlaubt. Schon die Energie von 6,3 Peta-Elektronenvolt ist rekordverdächtig und weist auf einen Ursprung außerhalb unseres Sonnensystems hin. Auch kann mit diesem Ereignis erstmalig eine Teilchenreaktion bestätigt werden, die von Nobelpreisträger Sheldon Glashow schon im Jahr 1960 vorhergesagt wurde. Die Forschungsergebnisse des internationalen Teams wurden heute unter dem Titel „Detection of a particle shower at the Glashow resonance with IceCube“ in der Zeitschrift „Nature“ veröffentlicht. Hieran waren auch maßgeblich RWTH-Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beteiligt.
Die Messung von Neutrinos ist ein schwieriges Unterfangen, für das riesige Detektoren mit hoher Sensitivität und Messgenauigkeit erforderlich sind. Das IceCube Neutrino Observatorium befindet sich am geographischen Südpol und ist das weltweit größte Instrument seiner Art. Mit Hilfe von etwa 5000 ultra-sensitiven Lichtsensoren, die tief in das antarktische Eis eingelassen sind, wird ein Volumen von 1 Kubikkilometer seit 2010 rund um die Uhr überwacht. Etwa alle zehn Minuten wird ein Neutrino registriert. Dabei handelt es sich hauptsächlich um Neutrinos, die in der Erdatmosphäre entstehen. Besonders hochenergetische Neutrinos entstehen jedoch auch in extremen Umgebungen im Universum, zum Beispiel in der Nähe massiver schwarzer Löcher. Seit Beginn der Aufzeichnungen konnten bereits einige hundert kosmische Neutrinos mit IceCube nachgewiesen werden und im Jahr 2017 sogar überzeugende Hinweise auf den Quasar TXS 0506+056 als kosmische Neutrinoquelle gefunden werden. Selbst für diese Neutrinos, ist jedoch die Energie des am 6. Dezember 2016 beobachteten Neutrinos spektakulär. „Neutrinoereignisse mit so hoher Energie sind im Detektor nicht zu übersehen, aber sie passieren nur alle paar Jahre“; analysiert Professor Christopher Wiebusch vom III. Physikalischen Institut B der RWTH Aachen und Leiter der Aachener IceCube-Gruppe. IceCube hat in elf Jahren nur drei Ereignisse mit mehr als 5 Peta-Elektronenvolt (PeV) Energie aufgezeichnet. Ein PeV ist ungefähr 100-mal hochenergetischer als die leistungsfähigsten Teilchenbeschleuniger wie zum Beispiel die Protonenstrahlen des Large Hadron Colliders (LHC) am CERN in Genf.
Bei der gemessenen Energie von 6,3 PeV horchen Elementarteilchenphysiker auf: Dies ist genau die Energie, bei der Neutrinos mit hundertfach verstärkter Wahrscheinlichkeit wechselwirken, wenn es in der Natur einen Resonanzprozess von Anti-Elektronneutrinos mit atomaren Elektronen gibt. Dieser Prozess wurde schon im Jahr 1960 von Sheldon Glashow, Begründer des heutigen Standardmodells der Elementarteilchenphysik und Nobelpreisträger, vorhergesagt, konnte aber auf Grund der hohen Energie bisher nicht experimentell bestätigt werden. Dr. Christian Haack: „Wir haben nicht nur eines der höchstenergetischsten jemals gemessenen Neutrinos beobachtet, das somit klar kosmischen Ursprungs ist, sondern auch eine seit Jahrzehnten offene Frage der Elementarteilchenphysik geklärt. Dadurch gibt es nun ein neues experimentelles Verfahren, mit dem wir kosmische Anti-Neutrinos von Neutrinos unterscheiden können. So werden Aussagen über die kosmischen Teilchenbeschleuniger möglich.“ Haack promovierte hierzu an der RWTH Aachen und forscht aktuell an der TU München.
Internationale Zusammenarbeit
Die Messung wurde maßgeblich durch eine internationale Teamarbeit junger Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen innerhalb der internationalen IceCube Kollaboration möglich; von Lu Lu von der Universität Chiba in Japan (inzwischen Universität Madison, USA), Tianlu Yuan von der Universität Madison, und Christian Haack. Da die Neutrinoreaktion knapp außerhalb des beobachteten Eis-Volumens stattfand, war die zweifelsfreie Rekonstruktion ein mehrjähriger Prozess. Insbesondere die Entdeckung von charakteristischen in den Detektor hineinreichenden Einzelsignalen durch das RWTH-Team war ein Schlüssel zum Erfolg. So konnte die Ursprungsrichtung des Neutrinos genau bestimmt und auch die Auswertung des Resonanz-Prozesses bestätigt werden. Terrestrische Untergrundsignale oder eine Fehlmessung wurden mit sehr großer Sicherheit ausgeschlossen. Auch die Möglichkeit einer anderen Neutrino-Reaktion konnte bis auf wenige Prozent ausgeschlossen werden. Ob die Gewissheit weiter verbessert werden kann müssen nun zukünftige Messungen zeigen. Da das Universum offensichtlich Neutrinos ausreichender Energie liefert, ist es nur eine Frage der Zeit, bis weitere Reaktionen dieser Art beobachtet werden. Glashow, inzwischen Emeritus der Universität Boston: „Bisher ist es nur eins, eines Tages werden es mehr sein.“
Das IceCube Neutrino Observatorium
IceCube wurde als internationale Kollaboration von etwa 400 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an 53 Forschungseinrichtungen in zwölf Ländern gebaut und wird von diesen auch gemeinschaftlich betrieben. Die Federführung haben die University of Wisconsin–Madison (USA) und die National Science Foundation (USA). Mit Unterstützung durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) beteiligen sich aus Deutschland mehr als 100 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an den Universitäten RWTH Aachen, HU Berlin, RU Bochum, TU Dortmund, FAU Erlangen, JGU Mainz, TU München, WWU Münster, BU Wuppertal sowie den beiden Helmholtz-Zentren Deutsches Elektronen-Synchrotron (DESY) und Karlsruher Institut für Technologie (KIT).
Für die Zukunft gibt es große Pläne: So werden in den nächsten Jahren in einem ersten Schritt, dem IceCube Upgrade, neue Photosensoren zentral in IceCube eingebracht, um die Messgenauigkeit zu verbessern. Danach soll bis Ende des Jahrzehnts im Rahmen des IceCube-Gen2 Projektes das Volumen von IceCube fast verzehnfacht werden, wodurch sich dann die Zahl gemessener Neutrinoreaktionen entsprechend vergrößert. „Mit IceCube ist uns erstmalig der Nachweis der Glashow-Resonanz gelungen und mit IceCube-Gen2 werden wir die Reaktion nutzen können, den Fluss von kosmischen Anti-Elektron-Neutrinos genau zu vermessen“, sagt Professor Dr. Marek Kowalski vom DESY, der die Vorbereitungen von IceCube-Gen2 koordiniert. „Das wird uns einen ganz neuen Zugang liefern, die wenig bekannten Produktionsmechanismen der hochenergetischen kosmischen Neutrinos zu verstehen.“
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