Raumsonden in schwerer See

Die enormen solaren Protuberanzen dieser Woche stellen auch für die verschiedenen Forschungssonden der ESA eine Herausforderung dar, doch sie werden nicht unvorbereitet von den kosmischen Stürmen getroffen.

Ein Beitrag von Michael Stein. Quelle: ESA.

SOHO -Aufnahme zweier kleinerer Coronal Mass Ejections vom 18. Oktober, bei denen ungeheure Mengen geladener Teilchen in den Weltraum geschleudert werden.
(Foto: ESA)

„Da oben ist die Hölle los“, fasst Dr. Rudolf Schmidt, Projektleiter der Forschungsmission Mars Express die Situation plakativ zusammen und bringt damit zum Ausdruck, dass nicht nur erdnah operierende Raumsonden von den gewaltigen elektromagnetischen Partikelstürmen getroffen werden und momentan stürmische Zeiten durchstehen müssen. Obwohl mittlerweile rund 80 Millionen Kilometer von der Erde entfernt ist auch die erste europäische Mars-Sonde von der gigantischen Wolke geladener Partikel getroffen worden, die am Dienstag Mittag kurz nach einem ebenfalls ungewöhnlich starken Röntgenstrahlen-Ausbruch von der Sonne mit extrem hoher Geschwindigkeit in den Weltraum geschleudert worden ist. Bereits in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch haben verschiedene Sensoren an Bord von Mars Express Daten an die Bodenstation gesendet die signalisierten, dass die Raumsonde von der Plasmawolke eingeholt worden ist.

Für die empfindlichsten elektronischen Komponenten wie dem Prozessor und dem Speicher des Onboard-Computers sind spezielle Komponenten und Software-Programme vorhanden, die durch die hochenergetischen Teilchen hervorgerufene Datenfehler erkennen und automatisch korrigieren können. „Mars Express schlägt sich […] wunderbar. Irgendwie ist es für uns so, als würden wir mit einem Linienflugzeug durch starke Turbulenzen fliegen. Obwohl es wild zugeht behält der Bordcomputer alles unter Kontrolle“, so Rudolf Schmidt gegenüber Raumfahrer.net weiter.

Auch bei der europäischen Mondsonde SMART-1 ist es während der letzten Tage zu Beeinträchtigungen aufgrund der Sonnenprotuberanzen gekommen, die jedoch keine dauerhaften Schäden an der Raumsonde nach sich ziehen werden. Die Missionsspezialisten stellten einerseits eine erhöhte Rate von Datenfehlern im Speicher der Raumsonde fest, die im Rahmen einer minütlich vom SMART-1-Bordcomputer durchgeführten Speicherüberprüfung automatisch korrigiert wurden. Weiterhin, so Michael McKay vom European Space Operations Centre (ESOC) in Darmstadt, wurde die Funktion der Sternenscanner durch die hochenergetischen Partikel stark gestört, da sie auf den lichtempfindlichen CCD-Elementen dieser Instrumente ein intensives Hintergrundrauschen erzeugten. Dieses „Rauschen“ überlagerte die von den Scannern aufgenommenen Bilder so stark, dass eine automatische Orientierung der Raumsonde mit Hilfe gescannter Sternenkonstellationen nicht mehr möglich war.

Die Funktion des Ionen-Triebwerks an Bord von SMART-1 ist durch die Sonneneruption nicht in Mitleidenschaft gezogen worden. Es gab zwar in den letzten Tagen zwei so genannte Flame-Outs (also das Erlöschen der „Triebwerksflamme“), so Michael McKay im Gespräch mit Raumfahrer.net, aber seinen Angaben zufolge ist ein derartiges Verhalten nicht ungewöhnlich und höchstwahrscheinlich auf Verunreinigungen im Triebwerksinneren zurückzuführen.
Auch die beiden europäischen Weltraumteleskope INTEGRAL und XMM Newton werden von den Sonnenstürmen voll getroffen, da ihre stark elliptischen Erdumlaufbahnen sie weit über das schützende Magnetfeld der Erde hinausführt. Sie haben das „schwere Wetter“ bisher ebenfalls ohne größere Probleme gemeistert, allerdings mussten einige besonders sensible Instrumente abgeschaltet werden, um Beschädigungen durch hohe Ströme zu vermeiden. Zudem, so Michael McKay weiter, wird während des Sonnensturms in den Detektoren einiger Instrumente der beiden Teleskope ein derartig starkes Hintergrundrauschen erzeugt, dass die Gewinnung wissenschaftlich relevanter Daten während der Dauer des solaren Flares nicht möglich ist.

Umlaufbahn der vier Cluster -Satelliten (rot), die durch alle Regionen der Erdmagnetosphäre führt.
(Grafik: ESA)

Andere Raumsonden der ESA sind zwar auch den Unbillen der kosmischen Stürme ausgesetzt, liefern aber gleichzeitig den Wissenschaftlern auf der Erde faszinierende Daten über die Auswirkungen dieser solaren Ausbrüche. So untersuchen die vier Cluster-Satelliten in ihrem exzentrischen Erdorbit unter anderem auch die Wechselwirkungen zwischen dem Sonnenwind und dem Erdmagnetfeld, dass mehrere zehntausend Kilometer weit in den Weltraum hinausreicht und die Erde vor dem von der Sonne ausgehenden Strom elektrisch geladener Teilchen schützt. Bereits am letzten Wochenende, als die Sonne während einer sehr starken Protuberanz eine Wolke geladener Partikel in den Raum schleuderte, konnten die vier Zwillingssatelliten eine deutliche Verformung des Erdmagnetfeldes feststellen, als die schnellen und hochenergetischen Teilchen des Sonnensturms auf das Magnetfeld unseres Planeten trafen: Während die äußere Grenze des Erdmagnetfelds üblicherweise etwa 55.000 bis 65.000 Kilometer weit Richtung Sonne ins All hinausragt wurde es während des Sonnensturms soweit zusammengepresst, dass es nur weniger als 40.000 Kilometer weit Richtung Sonne reichte – somit war auch den vielen Satelliten auf geostationären Erdumlaufbahnen teilweise der Schutz vor den geladenen Partikeln des Sonnensturms genommen, was für die Elektronik dieser High-Tech-Geräte fatale Folgen haben kann.

Die europäisch-amerikanische Raumsonde SOHO erforscht seit 1996 unser Zentralgestirn.
(Grafik: ESA)

Und last, but not least ist an dieser Stelle natürlich SOHO zu nennen. Die europäisch-amerikanische Raumsonde ist 1,5 Millionen Kilometer in Richtung Sonne im All positioniert und liefert auch von solch gewaltigen Ereignissen wie den gigantischen solaren Flares dieser Tage beeindruckende Aufnahmen und Messdaten. Doch auch die Instrumente von SOHO blieben nicht vollkommen unbeeindruckt von der Wucht der über die Raumsonde hinwegrollenden solaren Explosionswolke: Zwei Spektrometer an Bord des Sonnenorbiters haben sich vorsorglich automatisch abgeschaltet, um Beschädigungen zu vermeiden. Bei zwei anderen Instrumenten sorgt die Vielzahl elektrisch geladener Teilchen für „Schnee“ auf den Bilder, da die empfindlichen Detektoren dieser Instrumente die Treffer der Partikel des Sonnensturms als winzige Lichtpunkte registrieren. Dadurch können zudem die Aufnahmen vor der Übertragung zur Erde nur sehr ineffektiv komprimiert werden, so dass sich letztendlich deutlich längere Übertragungszeiten ergeben.

Alles in allem werden die Raumsonden der ESA auch diese Stürme überstehen, obwohl es sich tatsächlich um außergewöhnlich starke Sonneneruptionen handelt. Doch für die Missionsteams auf der Erde sind Tage wie diese alles andere als „Business as usual“, allen für solche Fälle getroffenen Vorkehrungen zum Trotz ist die Anspannung für die Missionsspezialisten im ESOC nicht gering – oder, wie es Mars Express-Projektleiter Schmidt in einem schönen sprachlichen Bild ausdrückte: „Unsere Leute in Darmstadt halten die Ohren steif.“

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