Kaum eine andere chemische Verbindung scheint so charakteristisch für unseren Heimatplaneten zu sein wie das Wasser. Unklar ist bisher jedoch, woher die Erde einstmals diese gewaltigen Wassermengen, welche in der Gegenwart etwa 70 Prozent der Erdoberfläche bedecken, bezog. Aktuelle Messungen der Raumsonde Rosetta nähren Zweifel an der Theorie, dass Kometen einst die Erde maßgeblich mit Wasser versorgten.
Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung, ESA.
Eines der charakteristischsten Merkmale für unseren Heimatplaneten sind die gewaltigen Wasservorkommen, welche in der Gegenwart große Teile der Erdoberfläche bedecken. Unklar ist bislang jedoch, aus welchen Quellen die Erde diese Wassermassen bezog. Eine der Theorien hierzu geht davon aus, dass die Erde ihr Wasser einstmals aus extraterrestrischen Quellen bezog. Die in diesem Modell angenommene ‚trockene Akkretion‘ wird dadurch begründet, dass die Planetesimale, aus denen sich letztendlich die Planeten bildeten, in einem Bereich des früheren Sonnensystems entstanden, in dem nur relativ wenig Wasser vorhanden war.
Je kleiner der Abstand zur Sonne war, desto höher fielen dort die Temperaturen aus und desto weniger Wasser war dort vorhanden. Erst jenseits der sogenannten „Schneegrenze“, welche sich in etwa im Bereich des heutigen Asteroiden-Hauptgürtels zwischen den Umlaufbahnen der Planeten Mars und Jupiter befindet, konnte Wasser aufgrund der dort vorherrschenden niedrigeren Temperaturen auch in größeren Mengen langfristig vorhanden sein und sich in den dort befindlichen Objekten anreichern.
Auf welchem Weg und mit welchen „Transportmedien“ dieses Wasser später zur Erde gelangte, versuchen die Wissenschaftler zu klären, indem sie einen genauen Blick auf dessen molekulare Struktur werfen, denn nicht alles Wasser ist gleich. Vielmehr unterscheiden sich einzelne Wassermoleküle durch die jeweilige Isotopenzusammensetzung des Wasserstoffs. Es existieren drei Isotope des Wasserstoffs, welche sich durch die Anzahl der in den Wasserstoffatomen enthaltenen Neutronen unterscheiden. „Normaler“ Wasserstoff enthält kein Neutron. „Schwerer“ Wasserstoff – auch als Deuterium bekannt – enthält in seinem Atomkern ein Neutron und ein Proton. Der „überschwere“ Wasserstoff – Tritium genannt – verfügt in seinem Kern sogar über zwei Neutronen.
In dem auf unserem Heimatplaneten befindlichen Wasservorräten kommt auf etwa 6.400 Wassermoleküle mit „normalen“ Wasserstoff ein Molekül, welches Deuterium enthält. Das Verhältnis von Wasserstoff zu Deuterium gibt den Wissenschaftlern somit einen Hinweis auf den Ursprung des irdischen Wassers. Hierzu müssen die Forscher ‚lediglich‘ andere Himmelskörper in unserem Sonnensystem aufspüren, welche über ähnliche Verhältnisse von Deuterium zu Wasserstoff (kurz D/H-Verhältnis) verfügen.
Asteroiden als ‚Wasserlieferanten‘?
Eine Theorie besagt, dass das Wasser überwiegend von wasserhaltigen Asteroiden zur Erde verfrachtet wurde, welche zwischen den Umlaufbahnen von Mars und Jupiter um die Sonne kreisen. Diese Theorie stützt sich unter anderem auf die Untersuchung von auf der Erde aufgefundenen Meteoriten, deren Ursprung im Bereich des Asteroiden-Hauptgürtels unseres Sonnensystems angenommen wird. Entsprechende Analysen zeigten in den letzten Jahren, dass speziell eine Unterart der Meteoriten, die so genannten kohligen Chondriten, ein mit dem Wasser der Erde vergleichbares D/H-Verhältnis aufweisen.
Oder doch eher Kometen?
Lange Zeit gingen die Planetologen zudem davon aus, dass als ‚Wasserlieferanten‘ sehr wahrscheinlich in erster Linie Kometen in Frage kommen, welche immerhin über einen signifikanten Anteil an Wassereis verfügen und die in der Frühphase unseres Sonnensystems während des Großen Bombardements in großer Zahl auf der Erde einschlugen. Diese Annahme konnte jedoch über lange Zeit hinweg nicht durch exakte Daten untermauert werden. Schließlich zeigten weiterführende Untersuchungen sogar, dass das D/H-Verhältnis bei den dabei analysierten Kometen deutlich von dem D/H-Verhältnis des irdischen Wassers abweicht.
Lediglich bei zwei Kometen – den kurzperiodischen Kometen 103P/Hartley2 und 45P/Honda-Mrkos-Pajdušáková – konnte erst kürzlich ein erdähnliches D/H-Verhältnis nachgewiesen werden.
Als Entstehungsort der kurzperiodischen Kometen gilt der Kuipergürtel – eine Region jenseits der Umlaufbahn des Planeten Neptun. Auch der Komet 67P/Tschurjumow-Gerassimenko (der Einfachheit halber ab hier als „67P“ abgekürzt), der mittlerweile seit mehreren Monaten intensiv mit der von der europäischen Weltraumagentur ESA betriebene Raumsonde Rosetta untersucht wird, zählt zu den kurzperiodischen Kometen und wird – wie auch 45P und 103P – der Jupiter-Familie zugerechnet.
Das D/H-Verhältnis des Kometen 67P/Tschurjumow-Gerassimenko
Aktuelle Messdaten von einem der elf wissenschaftlichen Instrumente der Raumsonde Rosetta zeigen jetzt jedoch, dass auch das D/H-Verhältnis des Kometen 67P deutlich von dem entsprechenden Verhältnis des irdischen Wassers abweicht. Mit seiner hohen Empfindlichkeit konnte ROSINA in der Zeit zwischen dem 8. August und dem 4. September 2014 im Rahmen von mehr als 50 Spektralmessungen den von der Kometenoberfläche entweichenden Wasserdampf genau vermessen und dabei auch dessen Isotopenverhältnisse verlässlich analysieren.
Nach dem Kometen 1P/Halley ist der Komet 67P erst der zweite ‚Schweifstern‘, bei dem derartige Messungen nicht aus weiter Ferne, sondern vielmehr ‚direkt vor Ort‘ durchgeführt werden konnten. Und die dabei gewonnenen Messdaten nähren die Zweifel an der Theorie, dass einstmals Kometen den Großteil des auf unserem Heimatplaneten befindlichen Wassers zur Erde transportierten. Auf dem Kometen 67P, so die Ergebnisse des ROSINA-Instruments, stehen jedem Deuterium-Atom demzufolge lediglich etwa 1.880 „normale“ Wasserstoffatome gegenüber – eine deutliche Abweichung von den Werten des irdischen Wassers. Deuterium kommt auf dem Kometen 67P demzufolge mehr als drei mal häufiger vor als auf der Erde.
„Eine Messung dieser Art, die das Verhältnis von Deuterium zu Wasserstoff direkt vor Ort am Kometen bestimmt, hat es zuletzt vor 28 Jahren in weiter Entfernung zu dem Kometen Halley gegeben“, so Axel Korth vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung (MPS) in Göttingen. Damals passierte die ESA-Raumsonde Giotto diesen Kometen in einem Abstand von weniger als 600 Kilometern. Sozusagen im Vorbeiflug ’schnupperte‘ ein an Bord von Giotto befindliches Massespektrometer dabei kurz an dem von 1P/Halley freigesetzten Wasserdampf. Bei allen anderen Kometen, von denen bisher das Verhältnis von Deuterium zu Wasserstoff bekannt ist, wurde dieser Wert dagegen aus größeren Entfernungen und somit lediglich im Rahmen von indirekten Messungen ermittelt.
Nicht alle Kometen sind gleich
Die von den Wissenschaftlern um Kathrin Altwegg, der wissenschaftlichen Leiterin des ROSINA-Experiments von der Universität Bern, gesammelten Daten werfen jedoch auch mehrere grundsätzliche Fragen auf. So vermuten die Wissenschaftler, dass das Deuterium in der Frühphase unseres Planetensystems einer einfachen Regel folgend verteilt war: Je weiter ein Objekt von der Sonne entfernt war, desto mehr Deuterium lag dort im Vergleich zu normalem Wasserstoff vor.
Messungen an Asteroiden und Kometen wie etwa 1P/Halley haben sich bisher gut in dieses Bild eingereiht. Doch bereits die ‚erdähnlichen‘ Werte von 103P/Hartley2 und 45P/Honda-Mrkos-Pajdušáková sorgten innerhalb der Gemeinde der Wissenschaftler für eine gewisse Verwirrung.
„Der Komet 67P fügt sich zwar wieder recht gut in die allgemeine Theorie ein“, so Urs Mall, ein weiterer Mitarbeiter des ROSINA-Teams vom MPS. „Doch offenbar bilden die Vertreter dieser Kometenfamilie eine ausgesprochen heterogene Gruppe.“
Die Wissenschaftler schließen aus ihren Ergebnissen, dass – im Gegensatz zu den bisherigen Theorien – möglicherweise doch nicht alle bisher als kurzperiodische Kometen klassifizierte Objekte dem Kuiper-Gürtel entstammen. Einige dieser Objekte – wie zum Beispiel etwa 103P/Hartley2 oder 45P/Honda-Mrkos-Pajdušáková – könnten ihr ‚kosmisches Dasein‘ einstmals Asteroiden begonnen haben, welche erst zu späteren Zeitpunkten auf kometenartige Umlaufbahnen um die Sonne gelangten, die sie bis in die Bereiche der Umlaufbahn des Planeten Jupiter führten.
Laut den aktuellen Messungen der Raumsonde Rosetta wäre ‚erdähnliches‘ Wasser somit weiterhin den realtiv erdnahen Asteroiden des Hauptgürtels vorbehalten. Hieraus ergibt sich, dass diese Körper somit auch weiterhin als die Hauptkandidaten für die extraterrestrischen Wasserlieferungen zur Erde anzusehen sind.
Die aktuellen Ergebnisse, so Urs Mall, sind allerdings lediglich eine vorläufige Momentaufnahme der bisher erfolgten Untersuchungen von 67P. Es sei durchaus möglich, dass in den kommenden Monaten erfolgende Messungen andere Werte liefern, denn anders als Giotto und alle anderen vorangegangenen Kometenmissionen bietet die Mission Rosetta den beteiligten Wissenschaftlern die Möglichkeit, einen Kometen auf seinem Weg in das innere Sonnensystem zu begleiten und dabei im Rahmen von direkten Messungen zu verfolgen, wie dieser sich verändert. Die dabei zunehmende Aktivität von 67P könnte auch Auswirkungen auf die bisher gemessene Zusammensetzung des Wasserdampfs haben.
Weitere Erkenntnisse folgen
Die hier kurz vorgestellten Forschungsergebnisse über das D/H-Verhältnis des Kometen 67P wurden am 10. Dezember 2014 von Kathrin Altwegg et al. unter dem Titel „67P/Churyumov-Gerasimenko, a Jupiter family comet with a high D/H ratio“ in der Fachzeitschrift Science publiziert. Weitere Erkenntnisse der Rosetta-Mission werden der Öffentlichkeit im Verlauf der kommenden Woche im Rahmen der alljährlichen Herbsttagung der American Geophysical Union (AGU) präsentiert, welche vom 15. bis zum 19. Dezember 2014 in San Francisco/Kalifornien stattfindet.
Am Mittwoch, dem 17. Dezember wird eine darauf bezogene Pressekonferenz stattfinden, welche ab 17:00 MEZ auch live im Internet übertragen werden soll. Weitere Informationen dazu finden Sie auf dieser Internetseite in englischer Sprache. Kurze Zusammenfassungen der einzelnen, auf Rosetta und den Kometen 67P bezogenen Vorträge des AGU-Meetings finden Sie zudem hier.
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Fachartikel von Kathrin Altwegg et al.:
- 67P/Churyumov-Gerasimenko, a Jupiter family comet with a high D/H ratio (Abstract, engl.)