In der ersten Hälfte des Jahres 2011 konnten Astronomen ein gewaltiges Sturmgebiet auf dem Saturn beobachten, welches die gesamte nördliche Hemisphäre des Planeten umfasste. Beobachtungen mit verschiedenen irdischen Teleskopen und der Raumsonde Cassini haben nun gezeigt, dass sich dieses gigantische Sturmgebiet immer noch auf die Atmosphäre des Ringplaneten auswirkt.
Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: ESA, JPL.
Durchschnittlich einmal pro Saturnjahr, also etwa alle 30 Erdjahre, gerät die Atmosphäre des Saturn aufgrund der stark ausgeprägten Jahreszeiten während des dann auf der nördlichen Planetenhemisphäre herrschenden Frühlings in Aufruhr. In den unteren Wolkenschichten des Planeten bildet sich in dieser Zeit eine atmosphärische Störungszone, welche so stark ausfällt, dass sie nicht nur verhältnismäßig kurzzeitige und punktuell auftretende Auswirkungen hat, sondern vielmehr die Atmosphäre des gesamten Planeten beeinflussen kann. Dies äußert sich in der Bildung gigantischer Sturmgebiete über den mittleren nördlichen Breiten, welche sich auf Fotoaufnahmen als helle Zonen erkennen lassen und im Gegensatz zu den „normalen“ Saturnstürmen in den mittleren Breiten über mehrere Monate hinweg aktiv sind. Erstmals konnte dieses Wetterphänomen im Dezember 1876 von dem US-amerikanischen Astronomen Asaph Hall beobachtet werden. Weitere solche Stürme wurden in den Jahren 1903, 1933, 1960 und schließlich im September 1990 registriert.
Am 5. Dezember 2010 (und somit etwa 10 Jahre früher als eigentlich erwartet) wurde mit einem Radiowellendetektor, dem Radio and Plasma Wave Science Instrument (RPWS) – einem der insgesamt 12 wissenschaftlichen Instrumente an Bord des Saturnorbiters Cassini – ein Sturmgebiet in der Saturnatmosphäre entdeckt, welches sich in den folgenden Monaten immer weiter ausdehnte. Die Entwicklung des Sturmgebietes konnte in der Folgezeit sowohl mit verschiedenen irdischen Teleskopen als auch mit den Instrumenten der Raumsonde Cassini ausführlich dokumentiert und untersucht werden. Bis Mitte 2011 hatte sich das Sturmgebiet über weite Bereiche der mittleren nördlichen Breiten ausgedehnt und umfasste dabei den gesamten Planeten. In den folgenden Monaten haben sich die damit verbundenen Wolkenformationen wieder aufgelöst.
Neben den im Wellenbereich des sichtbaren Lichtes angefertigten Aufnahmen wurden jedoch auch Daten im Infrarotbereich gesammelt. „Wenn wir die Saturnatmosphäre in optischen Wellenlängenbereichen betrachten, so sehen wir das Sonnenlicht, welches durch tief in der Atmosphäre liegende Wolkenschichten reflektiert wird“, so Leigh N. Fletcher von der University of Oxford, welcher die Entwicklung des Sturmes mit seinem Team während der letzten Monate ausführlich analysiert hat. „Durch Messungen im mittleren Infrarotbereich können wir dagegen zusätzlich die Temperaturverteilung bis zu vielen Kilometern oberhalb dieser Wolkenschichten bestimmen. Diese Daten ermöglichen uns einen dreidimensionalen Blick auf die Struktur der Atmosphäre.“
Die entsprechenden Infrarotaufnahmen zeigen, dass die im vergangenen Jahr im Wellenlängenbereich des sichtbaren Lichtes zu erkennenden Phänomene in Wirklichkeit lediglich einen Teilaspekt dieses Sturmes ausmachten. Die von zwei irdischen Teleskopanlagen, dem Very Large Telescope (VLT) der ESO in Chile und der Infrared Telescope Facility (IRTF) auf Hawaii, angefertigten Aufnahmen sowie Spektrometerdaten der Raumsonde Cassini verdeutlichten vielmehr, dass sich ab dem Januar 2011 oberhalb des in der Troposphäre aktiven Sturmgebietes in der Stratosphäre des Saturn zusätzlich zwei Regionen herausbildeten, welche deutlich wärmer waren als ihre Umgebung. Die Entdeckung dieser Regionen deutete darauf hin, dass hier ein ungewöhnlich hohe Freisetzung von Energie erfolgte, welche aus tiefer liegenden Schichten zugeführt wurde. Die beiden Regionen, so die Vermutung der Wissenschaftler, hätten sich in der Folgezeit eigentlich langsam abkühlen und auflösen müssen.
Stattdessen verschmolzen die beiden Regionen zwischen April und Juni 2011 zu einem einzigen, gewaltigen atmosphärischen Wirbel, welcher für einige Zeit von seinen Abmessungen her sogar größer ausfiel als der Große Rote Fleck in der Atmosphäre des Jupiters. Die Temperatur in dieser Region erreichte dabei einen Wert von etwa -52 Grad Celsius und lag somit rund 80 Grad Celsius über der Temperatur der unmittelbaren Umgebung. Zum Zeitpunkt seiner größten Ausdehnung, welche dieser stratosphärische Wolkenwirbel aus wärmeren Luftmassen gegen Ende Juni 2011 erreichte, umfasste dieses Gebiet etwa ein Viertel der nördlichen Saturnhemisphäre. Das tiefer gelegene Sturmgebiet war dagegen zu diesem Zeitpunkt bereits dabei, sich wieder aufzulösen.
„Dies ist das erste Mal, dass wir so etwas in der Atmosphäre eines Planeten unseres Sonnensystems beobachten konnten“, so Leigh N. Fletcher. „Es ist äußerst ungewöhnlich, dass wir diesen Wirbel nur in infraroten Wellenlängen sehen können. Auf rein optischen Aufnahmen der Wolkendecke ist er dagegen nicht erkennbar.“ Seit dem Juli 2011 können die Wissenschaftler beobachten, wie auch dieser stratosphärische Wolkenwirbel aus wärmeren Luftmassen langsam an Ausdehnung verliert und sich zugleich abkühlt. Gegenwärtig verfügt er nur noch über weniger als die Hälfte seiner ursprünglichen Ausdehnung. Es wird erwartet, dass sich der Wirbel im Verlauf der nächsten Jahre wieder komplett auflösen wird.
Die gesammelten Daten über die Variationen von der Temperatur, den Windgeschwindigkeiten und der chemischer Zusammensetzung der Atmosphäre ermöglichen es den Wissenschaftlern, einen Überblick über die Entwicklung dieses als „Großer Frühlingssturm“ bezeichneten Sturmgebietes und der dadurch verursachten Einflüsse auf die verschiedenen Schichten der Saturnatmosphäre zu erhalten. Zudem ergibt sich ein Einblick in die Mechanismen, welche der Energietransfer innerhalb der Saturnatmosphäre auf das dortige Wettergeschehen ausübt.
„Wir vermuteten bereits zuvor, dass das Wetter in den unteren Atmosphärenschichten des Saturn einen Einfluss auf das Geschehen in den oberen Schichten hat. Jetzt haben wir den Beweis dafür“, so Leigh N. Fletcher. Es ist bekannt, dass auf der Erde durch Stürme erzeugte Atmosphärenwellen Luftmassen und Energie transportieren und dabei auch in die oberen Atmosphärenschichten befördern können. Ein vergleichbarer Mechanismus existiert offensichtlich auch auf dem Saturn. Sich wellenförmig ausdehnende Luftstörungen, welche durch den ursprünglich in der Troposphäre aktiven Sturm erzeugt wurden, fanden ihren Weg in die mehrere hundert Kilometer höher gelegene Stratosphäre und setzten dort Energie frei, welche zur Bildung der beiden Warmluftregionen führte.
„Ungewöhnlich ist in diesem Fall jedoch die offensichtlich erfolgte Interaktion dieser beiden warmen Regionen, welche zu der Entstehung des ausgedehnten warmen Luftwirbels führten. Wie dies genau geschehen konnte ist eine derzeit noch offene Frage, welche durch numerische Computersimulationen geklärt werden muss“, so Leigh N. Fletcher weiter.
Ebenfalls rätselhaft ist für die Planetenforscher das unerwartet frühe Auftreten dieses Sturmes, welcher eigentlich erst um das Jahr 2020 herum erwartet wurde. „Der Großer Frühlingssturm trat in Bezug auf den Standard-Sturm-Zyklus des Saturn definitiv früher auf als zu erwarten war. Es ist noch unklar, ob es sich hierbei um ein besonderes Ereignis handelt oder ob die diesjährige Sturmsaison auf dem Saturn [„diesjährig“ bezieht sich hier auf das aktuelle Saturnjahr] diesmal einfach früher begonnen hat als erwartet“, so Nicolas Altobelli, der ESA-Projektwissenschaftler der Cassini-Huygens-Mission.
„Cassini wird die Überwachung der Saturnatmosphäre auch in den kommenden Jahren fortsetzen. Die Mission wird bis zum Einsetzen der nördlichen Sommersonnenwende auf dem Saturn, welche im Mai 2017 erfolgt, im Einsatz sein. Die diesjährige Sturmsaison auf dem Saturn ist eventuell noch nicht zu Ende und in diesem Fall können wir in den nächsten Jahren vielleicht noch weitere spektakuläre Ereignisse verfolgen“, so Altobelli.
„Sollten wir auch in den kommenden Jahren Stürme auf dem Saturn beobachten, so wird es wichtig sein zu überprüfen, ob auch diese Stürme solch dramatische Folgen wie den stratosphärischen Wolkenwirbel im Jahr 2011 nach sich ziehen“, so Leigh N. Fletcher.
Parallel zu den Infrarotbeobachtungen konnte ein weiteres Team von Wissenschaftlern ungewöhnlich große Mengen an Ethylen und Azetylen im Bereich des stratosphärischen Wolkenwirbels detektieren. Hierbei handelt es sich um zwei Gase, welche nicht zu den typischen Bestandteilen der Saturnatmosphäre zählen. „Wir haben niemals zuvor Ethylen auf dem Saturn beobachtet“, so Michael Flasar vom Goddard Space Flight Center (GSFC) der NASA, der Chefwissenschaftler des Composite Infrared Spectrometer (CIRS) – eines der an Bord von Cassini befindlichen Spektrometer. „Somit war diese Entdeckung eine große Überraschung für uns.“
Laut Brigette Hesman von der University of Maryland/USA fiel der gemessene Wert an Ethylen etwa 100 mal höher aus als ursprünglich für möglich gehalten. Als Ursprungsquelle wird ein tief in der Saturnatmosphäre befindliches Reservoir dieses farb- und geruchlosen Gasen vermutet. Die Resultate einer entsprechenden Studie sollen am 20. November 2012 in der Fachzeitschrift „Astrophysical Journal“ publiziert werden.
„Diese beiden Studien geben uns neue Einblicke in den Ablauf von einigen der fotochemischen Prozesse, welche sich in der Stratosphäre des Saturn, aber auch in den Atmosphären der anderen Gasplaneten innerhalb unseres Sonnensystems und bei entsprechenden Exoplaneten außerhalb des Sonnensystems abspielen“, so Scott Edington, der stellvertretende Projektwissenschaftler der Cassini-Mission vom JPL.
Die Mission Cassini-Huygens ist ein Gemeinschaftsprojekt der US-amerikanischen Weltraumbehörde NASA, der europäischen Weltraumagentur ESA und der italienischen Weltraumagentur ASI. Das Jet Propulsion Laboratory (JPL) der NASA in Pasadena/Kalifornien, eine Abteilung des California Institute of Technology (Caltech), leitet die Mission im Auftrag des Direktorats für wissenschaftliche Missionen der NASA in Washington, DC. Nach dem derzeitigen Planungsstand soll Cassini den Saturn noch bis zum Jahr 2017 erkunden und schließlich am 15. September 2017 aufgrund des dann aufgebrachten Treibstoffvorrates kontrolliert in der Atmosphäre des Ringplaneten zum Absturz gebracht werden.
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Abstract des Fachartikels von Fletcher et al. bei Icarus: