Astrophysiker beobachten Strömungen in Sonnen-Protuberanzen und fanden Ionen, die sich schneller als neutrale Atome bewegen. Eine Information von Dr. Eberhard Wiehr, pensionierter akadem. Direktor am Institut für Astrophysik der Universität Göttingen.
Quelle: Dr. Eberhard Wiehr.
Die drei Materie-Zustände fest, flüssig, gasförmig können um einen vierten (’Plasma’) erweitert werden, der in der Astrophysik eine entscheidende Rolle spielt: Atome, die durch hohe Temperatur oder Strahlung Hüllen-Elektronen verloren haben. Die Sonnen-Korona etwa ist mit circa zwei Millionen Grad so heiß, daß dem Eisen sogar 15 seiner 56 Elektronen fehlen. Die elektrisch geladenen Ionen werden von magnetischen Kräften derart beeinflußt, daß sie sich nur entlang, nicht aber quer zu den Kraftlinien bewegen können.
Unter besonderen Umständen können neben den positiv geladenen Ionen auch elektrisch neutrale Atome existieren, auf die magnetische Kräfte nicht wirken. Gibt es genügend Stöße zwischen diesen beiden Teilchensorten, dann werden sie sich gegenseitig mitreißen. Gibt es nicht genügend Stöße, so verhalten sich beide fast so wie zwei unabhängige Gase. Die physikalischen Bedingungen in solch ’teil-ionisiertem Plasma ohne Stoß-Gleichgewicht’ sind ebenso schwierig zu berechnen, wie zu beobachten.
Letzeres ist Dr. Eberhard Wiehr aus Göttingen, Dr. Götz Stellmacher aus Paris und Dr. Michele Bianda aus Locarno nun gelungen. In einer Protuberanz über dem Sonnenrand beobachteten sie, daß Strontium-Ionen sich 22% schneller bewegen als Natrium-Atome. Sie vermaßen dazu die gelbe Spektrallinie des neutralen Natriums gleichzeitig mit einer violetten Linie des einfach-ionisierten Strontiums.
Der Geschwindigkeits-Uberschuß der Strontium-Ionen war sechzehn Stunden später in der gleichen Protuberanz auf 11% geschrumpft. Offenbar wurden die neutralen Natrium-Atome nun stärker von den Strontium-Ionen mitgerissen. Ursache hierfür könnte eine größere Dichte der Ionen sein, die sowohl die Stoß- als auch die ’Mitnahme’- Wahrscheinlichkeit erhöht.
Aber auch das Strömungsverhalten könnte sich in den sechzehn Stunden verändert haben. Die höheren Ionen-Geschwindigkeiten waren an eine Schwingung des magnetischen Gerüsts gekoppelt, das Protuberanzen gegen die Sonnen-Anziehung in der Schwebe hält. Die Fußpunkte dieses Gerüstes sind ständigen Bewegungen der tieferen Sonnenschichten ausgesetzt, wodurch die magnetischen Kraftlinien schwanken.
Die Ionen folgen jeder Umkehr der Schwingungs-Richtung instantan, während die neutralen Atome sich immer wieder an den Ionen neu orientieren müssen. Bei einer konstanten Plasma-Strömung ohne Schwingungs-Umkehr bliebe den Ionen genug Zeit die Neutralen mitzureißen. Wäre anderseits die Schwingung allzu schnell, so kämen die Neutralen den Ionen nicht mehr nach. Das Auftreten einer 30-Minuten-Schwingung in der beobachteten Protuberanz kam daher der Entdeckung schnellerer Ionen entgegen.
Die Forscher planen nun die systematische Suche nach Protuberanzen mit passenden Schwingungen, die sie über längere Zeit vermessen wollen.
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