Presseveranstaltung zur PromISSe-Expedition

Etwa 1,5 Millionen Menschen haben am 1. Juli im niederländischen Fernsehen die Landung von André Kuipers in der Steppe in Kasachstan miterlebt. Mit 193 Tagen auf der ISS hat er einen Rekord für europäische Astronauten aufgestellt. Vor ein paar Tagen konnte auch die Presse erstmals Fragen stellen.

Ein Beitrag von Kirsten Müller. Quelle: Pressekonferenz.

Als man ihn und seine Kollegen Oleg Kononjenko (Russland) und Don Pettit (USA) nach der Landung aus der Sojus-Kapsel gehoben hatte, machte er einen vergleichsweise fitten Eindruck und telefonierte erst mal mit seiner Familie. Vom Landeplatz ging es zuerst per Hubschrauber zum Flughafen nach Kasachstan, von dort aus zusammen mit Don Pettit nach Houston, wo er seine Familie wieder in die Arme schließen konnte und einiges an medizinischen Tests zu absolvieren hat.
Interessant ist natürlich: wie geht es einem, wenn man über 6 Monate in der Schwerelosigkeit verbracht hat? Nicht immer gleich gut. Das Laufen ist am Anfang noch schwierig. Die kurze Pressekonferenz und Begrüßungszeremonie am Flughafen in Kasachstan hat er nicht mitgemacht, weil ihm schwindelig wurde. Geschenke gab es für ihn aber trotzdem.

NASA
André Kuipers beim Lauftraining in der Schwerelosigkeit
(Bild: NASA)

Am 6. Juli hatten Medien erstmals nach der Landung die Gelegenheit, von ESTEC Noordwijk aus per Satellitenverbindung mit Kuipers in Houston zu sprechen. Es war noch viel zu früh, nach Ergebnissen der Experimente zu fragen, da diese noch größtenteils laufen und ausgewertet werden müssen. Das wissenschaftliche Magazin „Nature“ hat gerade diese Woche erst Ergebnisse von Forschungen veröffentlicht, welche Kuipers 2004 während seiner Delta-Mission durchgeführt hatte; dies betraf Experimente an Fadenwürmern der Gattung C. elegans.

Größtenteils ging es während dieser Pressekonferenz um Kuipers’ Gesundheitszustand. Laufen ging wieder, aber ist die ersten paar Tage noch immer etwas schwierig. Die Muskelkoordination ist etwas gestört, auch die Blutdruckreflexe im Kopf haben sich ein halbes Jahr nicht geregt und bereiten jetzt Probleme, den Blutdruck im Kopf ordentlich zu koordinieren. Auch muss sich das Gleichgewichtsorgan wieder an die Schwerkraft gewöhnen; wenn man sich hinlegt, dreht sich einem alles. Es ist es ein etwas komisches Gefühl, aus der Kapsel zu kommen und nicht mehr laufen zu können; man wird beinahe aus der Kapsel noch einmal geboren und muss wie ein Baby neu wieder laufen lernen. Dass es ihm bei der Landung so gut ging, lag daran, dass alles während der Landung so gut lief.

Bloß war die Kapsel für ihn als relativ langen Menschen ziemlich eng, so dass er sich das rechte Bein eingeklemmt hatte. Dies war auf 5,5 km Höhe beim Abstoßen des Hitzeschildes passiert, wenn in der Kapsel die Sitze der Kosmonauten für die Landung aufrecht gestellt werden, wobei zum Dämpfen des Aufschlages ein Federmechanismus in Kraft tritt. Auch freute er sich, viele bekannte Gesichter zu sehen, musste aber auch aufpassen, seinen Kopf nicht zu sehr zu bewegen, weil ihm sonst schwindlig würde. Dass die Landung im Fernsehen so viele Zuschauer gehabt hat, hat er hinterher gehört, bloß hat er selbst nicht alles gemerkt, was um ihn herum passierte, weil er so konzentriert bei der Sache war. Die Landung war zweifellos der spannendste und riskanteste Moment des Fluges; man kriegt mehr G-Kräfte auszuhalten als beim Start (bis zu 4,7 G), man sieht beim Wiedereintritt draußen die Umgebung glühen und orange werden, wird in seinen Stuhl gedrückt, hört die Knalls beim Abtrennen des Orbital- und des Servicemoduls, wird beim Öffnen der Fallschirme hin und her geschleudert und sieht auf einmal 20 Bildschirme statt zweien, und die Landung selbst fühlt sich an wie bei einem Autounfall. Es war etwas anders, etwas heftiger als 2004 bei seinem ersten Flug, und er fühlte sich schwerer. Das lag aber daran, dass er diesmal nach 193 Weltraumtagen zurückkehrte und 2004 nach elf Tagen. Es war eine normale Landung, und es ist normal, dass es allen Astronauten nach Langzeitflügen erst mal schlecht geht.

NASA
André im Modul Cupola
(Bild: NASA)

Am meisten gefreut nach der Landung hatte er sich auf eine warme Dusche, ausserdem nach Ruhe, weil ja nach so einem Flug doch alles etwas hektisch läuft, und natürlich auf das Wiedersehen mit seiner Familie. Bloß mit der warmen Dusche sollte man am Anfang etwas vorsichtig sein; die Blutgefäße können sich dadurch weiten, und das Blut hat man eigentlich im Kopf ganz nötig.

Wenn er es sich aussuchen könnte, würde er wohl gerne noch mal einen Flug machen, empfindet aber die lange Vorbereitungszeit vor dem Flug, die häufige Trennung von seiner Familie und die vielen Reisen als Nachteil, wogegen man das halbe Jahr, das man dann im Weltraum ist, beinahe nicht mehr merkt. Aber am schönsten im Weltraum sind das Schweben und die atemberaubende Aussicht. Am meisten vermisst man das dann auch auf der Erde. Man hat wohl auf der ISS seine eigene Kabine, wie klein die auch ist, seine Kollegen, macht aber sein eigenes Programm und bestimmt seinen eigenen Rhythmus mit Arbeiten, Essen und Freizeit.

Hier auf der Erde kommt Schwimmen dem Gefühl des Schwebens noch am nächsten. Zum Rehabilitationsprogramm gehört das Schwimmen auch, deshalb wird er in der Zukunft wohl häufig im Schwimmbad anzutreffen sein. Was die schöne Aussicht angeht: am schönsten fand er die Bahamas, dort war er aber schon tauchen. Außerdem gefielen ihm die Farben der Salzseen im Outback in Australien, die er gerne noch einmal besuchen möchte. Irgendwann, wenn man öfter nach draußen schaut, fängt man auch an, Dinge auf der Erde wiederzuerkennen.

Mit sechs Leuten lässt es sich auf der 80 m langen Raumstation mit dem Inhalt von 1200 m3 und den vielen Modulen gut aushalten; man hat seine eigene Kabine und es kann manchmal passieren, dass man einen ganzen Tag in einem Modul am Arbeiten ist und seine Kollegen nicht zu Gesicht bekommt. Auch sind die Aktivitäten auf dem russischen Teil und die im USOS, wo die amerikanischen und europäischen Aktivitäten stattfinden, getrennt. Man trifft sich wohl zwischendurch zum Essen und in der Freizeit. Streit gab es keinen, das Zusammenleben mit den Kollegen war ausgezeichnet.

NASA
André bei einem Experiment zur Physik von Flüssigkeiten in der Schwerelosigkeit
(Bild: NASA)

Sein emotionalster Moment im Weltraum war: man hatte einen Traum, aber die Wirklichkeit ist dann anders. Man träumt z.B. sein Leben lang vom Weltraum, hat davon seit seiner Jugend ein bestimmtes Bild im Kopf, und wenn man dann da oben ist, fühlt man sich vielleicht körperlich nicht so gut, hat allerlei Geräusche um sich herum und ist man überwiegend professionell am Arbeiten. Zwischendurch ist es schön, wenn man Momente hat, in denen man wieder in diesen Traum zurück kommt: zum Beispiel, wenn man Zeit hat, sich die Aussicht anzuschauen. An einen Augenblick erinnert er sich ganz besonders: über Norditalien konnte er ganz Europa sehen, die Lichter von Irland und die Lichter von Kairo. Von der Cupola aus die Erde zu sehen ist immer wieder überwältigend, aber man kann von dort nachts auch ganz gut das Weltall sehen: ganz viele Sterne, ganz schön die Milchstrasse und die dunklen Flecken darin, die kleineren Galaxien, die Magellanschen Wolken und die Planeten, und dann fühlt man sich als Teil des Kosmos und merkt, dass es mehr gibt als die Erde.

Das erste Wiedersehen mit den Kindern nach einem halben Jahr könnte man sich vielleicht als einen Moment der Entfremdung vorstellen, das war aber nicht so. Kuipers hatte von der ISS aus jeden Tag die Möglichkeit, mit seiner Familie zu telefonieren, außerdem konnte man sich einmal pro Woche per Videokontakt sehen und sprechen, so haben sich die Kinder am Flughafen in Houston nicht gefragt: „wer ist der Onkel, der da aus dem Flugzeug kommt?“.

Die nächsten Tage und Wochen nach dem Flug ist Kuipers noch immer beschäftigt mit Untersuchungen über seine Körperfunktionen, um zu sehen, wie sich der Körper wieder neu an die Schwerkraft gewöhnt. Sofort am zweiten Tag muss man direkt wieder viele Reaktionstests und EKGs machen, Blutproben abgeben, Speichelproben angeben für Hormonuntersuchungen, danach Revalidationstraining im Schwimmbad und durch Physiotherapie, um den Gleichgewichtssinn wieder normal zu kriegen, und Debriefings mit allen missionsrelevanten Leuten in Houston, wie dem ESA-Management, Flight directors und anderen Dies kann auch zukünftigen Astronauten helfen. In Houston bleiben sie vier Wochen, danach passiert das Gleiche in Russland noch mal vier Wochen und danach noch mal vier Wochen in Köln. Bis zum Wochenende wird er noch in den Crew Quarters in Houston sein und seine Familie nur ab und an zu Gesicht bekommen, danach werden sie aber zusammen in der gemeinsamen Wohnung in Houston sein können.

Wahrscheinlich wird sein Körper genauso lange brauchen, sich wieder zu regenerieren, wie er im Weltraum gewesen ist, zum Beispiel hinsichtlich Kalkverlust in den Knochen. Die Körperfunktionen und die Erfahrungen von zurückkehrenden Astronauten kannte er schon und hat sie als Arzt schon wissenschaftlich untersucht, bevor er selbst Astronaut wurde; es war nun interessant für ihn, das alles selbst mitzuerleben und ist sich auch der Bedeutung bewusst, die die Untersuchungsergebnisse für die Wissenschaft haben. In Zukunft wird Kuipers in der Raumfahrt weiter arbeiten. Er rechnet nicht damit, noch mal in den Weltraum fliegen zu können, wird aber gerne andere Raumflüge von ESTEC, Köln oder München aus operationell unterstützen. Daneben würde ihn mal ein Aufenthalt in der Südpolstation Concordia interessieren, wo Leute bei -80 °C überwintern, oder auf der Unterwasserstation in Florida, wo manche Astronauten sich auf Raumflüge vorzubereiten. Das Abenteuer lockt also noch immer. Dass das für ihn wahrscheinlich der letzte Flug gewesen ist, findet er von der einen Seite her schade; von der anderen Seite her aber gibt es für ihn auf der Erde noch genug zu entdecken. Besonders angenehm war es für ihn jetzt auf dem Rückflug von Kasachstan, bei einer Zwischenlandung in Schottland kurz aus dem Flugzeug zu steigen und etwas Natürliches wie nasses Gras zu riechen. Davon wird er jetzt auf der Erde wieder öfter genießen können.

ESA / NASA
Dragon am Haken
(Bild: ESA / NASA)

Klaustrophobie ist bei ihm im Weltraum nicht entstanden, obwohl er damit gerechnet hätte. Auf dem Boden, z.B. beim Training in der Kapsel oder sechs Stunden im Raumanzug im Wasserbecken, kriegt man diese Gefühle viel eher, auch wenn man sich irgendwann daran gewöhnt. Im Weltraum hat er kein einziges Mal Angstgefühle bekommen, auch wenn er es ein paar Mal versucht hat, das hervorzurufen. Einer der Höhepunkte der Mission war das Andocken von Dragon an die ISS. Dazu gehörte das Steuern der Dragon durch die ISS-Besatzung, sowie das Greifen und Manövrieren der Dragon mit dem ISS-Roboterarm, um sie schließlich andocken zu können.

An Bord hat Kuipers sich um 55 Experimente gekümmert. Bei manchen davon war er selbst Versuchskaninchen oder arbeitete selbst dran, bei anderen ist man als Astronaut einen halben Tag damit beschäftigt, sie einfach nur zu installieren, und dann werden sie von der Erde aus weiter gesteuert. Manche Experimente gingen schief durch kleine Fehler und technische Probleme, die dann von den Astronauten gelöst werden mussten. Manchmal musste Kuipers auch Experimente machen, die er auf dem Boden nicht trainiert hatte; das war aber auch interessant, man konnte dann den Prozeduren nachgehen und wusste dann, was wo liegt. Nach dem Mehrwert von Experimenten gefragt gegen das Geld, das da ausgegeben wurde, antwortete Kuipers, die seien natürlich von Universitäten und Instituten weltweit. Er hat europäische, amerikanische und japanische Experimente gemacht, die schon auf der Erde gemacht worden waren. Im Weltraum hat man eine gute Möglichkeit, die Experimente bei Schwerelosigkeit zu machen; Experimente sind aber nur ein Teil der ganzen Raumfahrt. Die ISS ist ein Laboratorium, aber auch ein Testzentrum für Innovationen und gibt die Möglichkeit, sich auf die Zukunft im Weltraum vorzubereiten und schon erste Schritte zur Erweiterung des menschlichen Horizonts zu machen. Außerdem tragen die Experimente bei zum Sammeln von Erkenntnissen für Wissenschaft und Technologie.

In den Niederlanden sind 2 Tage nach der Landung die Sparmassnahmen zur Raumfahrt zurückgedreht worden; auf die Frage, ob er sich dieses Einflusses bewusst sei und ob er das noch weiter machen wolle, sagte er, man werde bei der Selektion als Astronaut bewusst gemacht, dass man irgendwo auch „Botschafter“ seines Landes für die Raumfahrt wird und Teil eines Teams ist. Viele andere Leute beschäftigen sich mit der Raumfahrt, aber auf den Astronauten sind alle Augen gerichtet.

Ob er seine heutige Popularität benutzen wird, öfter in den Medien aufzutreten, kann er noch nicht sagen. Er hat zwar nach seinem ersten Flug an einer Fernsehsendung mitgearbeitet, hat aber ansonsten hauptsächlich seine Arbeit bei der ESA. Er schließt aber nicht aus, neben dieser Arbeit ab und zu etwas an Öffentlichkeitsarbeit zu machen.

In der Zukunft hofft er, noch Menschen auf dem Mars und den Nachweis außerirdischen Lebens zu erleben.

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