Pluto-Atmosphäre: Ausdehnung trotz Abkühlung?

Trotz wachsenden Abstands zur Sonne und damit einhergehenden fallenden Temperaturen dehnt sich die Atmosphäre von Pluto neuesten Beobachtungen zufolge aus – scheinbar ein Widerspruch.

Ein Beitrag von Michael Stein. Quelle: Observatoire de Paris.

Aufnahme von Pluto und seinem Mond Charon durch das Weltraumteleskop Hubble .
(Foto: NASA)

Aufgrund der enormen Entfernung des Planeten von der Erde (wobei die Klassifikation von Pluto als „Planet“ vor dem Hintergrund des heutigen Wissenstands zumindest diskutabel erscheint) ist er selbst mit den leistungsfähigsten Teleskopen unserer Zeit nur als wenige Pixel große Scheibe abzubilden. Aussagen über seine Atmosphäre sind deswegen durch direkte Beobachtung nicht möglich, und bis jetzt gibt es auch keine Raumsonde, die Pluto passiert und unser Wissen über den äußersten Planeten unseres Sonnensystems hätte erweitern können. Erst für die Mitte des kommenden Jahrzehnts ist ein erster Vorbeiflug an dem eisigen Planeten durch die amerikanische Raumsonde New Horizons geplant.

Bis dahin gibt es für Wissenschaftler nur die Möglichkeit, bei den extrem seltenen so genannten „Okkultationen“ (= Bedeckungen) etwas über die Pluto-Atmosphäre herauszufinden. Bei diesen Ereignissen schiebt sich Pluto von der Erde aus gesehen vor einen Stern und bedeckt ihn kurzzeitig. Hätte der Planet keine Atmosphäre, dann würde das Licht des von Pluto verdeckten Sterns schlagartig verlöschen und am Ende der Bedeckung wieder ebenso schlagartig erscheinen. Da das Sternenlicht jedoch vor der vollständigen Abdunkelung für kurze Zeit durch die Atmosphäre des Planeten läuft können die Astronomen auf der Erde diesen Moment, in dem das Sternenlicht unruhig zu werden scheint, dafür nutzen, um Informationen über die Dichte und Zusammensetzung der Pluto-Atmosphäre zu erhalten.

Auch hierbei kommt das „Universal-Werkzeug“ der Astronomen, die Spektroskopie, zum Einsatz. Die in der Atmosphäre von Pluto enthaltenen chemischen Elemente prägen dem Sternenlicht ihren „Stempel“ auf, den wiederum Wissenschaftler mit geeigneten Instrumenten entdecken und auswerten können. Bei einer 1988 beobachteten Pluto-Okkultation wurde auf diese Weise eine Stickstoff-Atmosphäre entdeckt, die allerdings weniger als dünn zu nennen ist: Ihre Dichte beträgt nur wenige Millionstel der Dichte unserer Erdatmosphäre auf Meereshöhe.
Im vergangenen Jahr nun konnten erstmals seit 1988 wieder Pluto-Okkultation beobachtet werden, den Astronomen gelang dabei sogar die Beobachtung zweier dieser seltenen Ereignisse im Juli und August letzten Jahres. Im der Juli-Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Nature hat ein Wissenschaftlerteam unter Leitung von Prof. Bruno Sicardy vom Observatoire de Paris nun die erstaunliche Entdeckung veröffentlicht, dass bei dieser Beobachtungskampagne im Vergleich zu den Daten des Jahres 1988 mehr als eine Verdoppelung der Dichte der Pluto-Atmosphäre festgestellt werden konnte – und das, obwohl aufgrund der seitdem gestiegenen Entfernung des Planeten zur Sonne eher umgekehrt eine geringere Atmosphärendichte zu erwarten gewesen wäre!

Wie kommt es nun zu dieser im ersten Moment schwer nachvollziehbaren Beobachtung? Natürlich hat sich seit 1988 das Ausmaß der Strahlungsenergie, die Pluto von unserem Zentralgestirn erhält, aufgrund der gestiegenen Distanz zwischen den beiden Himmelskörpern verringert. Damit einhergehend ist auch eine weitere Abkühlung der nur 40° bis 60° über dem absoluten Nullpunkt liegenden Temperaturen auf Pluto zu erwarten. Diese Abkühlung wiederum, so hatte man angenommen, würde zu einer steigenden Kondensation der Atmosphäre führen, es sollte also ein ständig wachsender Anteil des gasförmigen Stickstoffs gefrieren und sich als Eis auf der Oberfläche niederschlagen, was die sowieso schon verschwindend dünne Atmosphäre weiter ausdünnen sollte.

Das nun im Gegenteil eine höhere Atmosphärendichte beobachtet werden konnte liegt wahrscheinlich daran, dass der seit 120 Jahren in absoluter Dunkelheit gewesene Südpol des Planeten seit 1987 dem Sonnenlicht ausgesetzt ist und daher Stickstoff in die Pluto-Atmosphäre ausgast. Natürlich wird dieser Prozess durch die ständig absinkende Temperatur des Planeten in einigen Jahren zum Erliegen kommen, zur Zeit allerdings ist die Situation auf Pluto vergleichbar mit der am Nachmittag eines heißen Tages auf der Erde: Obwohl die Sonne ihren Höchststand bereits am Mittag erreicht steigen die Temperaturen bis zum Nachmittag weiter, und erst mit einiger Zeitverzögerung beginnen sie zu sinken. Ähnliches passiert zur Zeit auf Pluto, nur dass es dort nicht um Verzögerungen von einigen Stunden, sondern um einige Jahrzehnte geht. Einem wissenschaftlichen Modell zufolge wird es noch etwa zehn Jahre lang auf Pluto einen steigenden Atmosphärendruck geben, bevor die Atmosphäre endgültig zu schrumpfen beginnt und zuletzt wahrscheinlich vollständig in Form von Eis auf die Planetenoberfläche herabregnet. Das ist übrigens auch der Grund dafür, warum die weiter oben erwähnte Pluto-Mission New Horizons möglichst bald starten soll: Die Wissenschaftler möchten den Planeten erreichen, solange es noch eine Atmosphäre zu beobachten gibt!

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