Astronomen haben mit dem Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte eventuell zum ersten Mal einen noch in der Entstehungsphase befindlichen Planeten beobachtet, welcher in die Scheibe aus Gas und Staubpartikeln eingebettet ist, aus deren Material dieser sich gerade bildet. Weiterführende Beobachtungen könnten das Verständnis über die Prozesse erweitern, welche sich bei der Bildung eines neuen Planetensystems abspielen.
Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: ESO.
Ein internationales Astronomenteam unter der Leitung von Sascha Quanz von der ETH Zürich in der Schweiz hat die Scheibe aus Gas- und Staubpartikeln näher untersucht, welche den im südlichen Sternbild Fliege (lat. „Musca“) gelegenen Stern HD 100546 umgibt. Mit einer Entfernung von rund 335 Lichtjahren befindet sich dieser noch relativ junge Stern in kosmischen Maßstäben betrachtet fast in der unmittelbaren Nachbarschaft zu unserem Sonnensystem.
Bei ihren Untersuchungen fanden die Astronomen Anzeichen dafür, dass in der protoplanetare Scheibe, welche den Stern umgibt, ein Planet existiert, welcher sich anscheinend noch im Entstehungsprozess befindet. Sollten sich die Beobachtungsdaten bestätigen, so würde es sich bei diesem sich gerade bildenden Planeten um einen Gasriesen handeln, welcher dem Planeten Jupiter, dem größten und massereichsten Planeten in unserem Sonnensystem, ähnelt.
„Die Planetenentstehung war bisher ein Forschungsgebiet, in dem hauptsächlich mittels Computersimulationen gearbeitet wurde“, so Sascha Quanz. „Wenn es sich bei unserer Entdeckung wirklich um einen Planeten im Entstehungsstadium handelt, dann versetzt das die Wissenschaft zum ersten Mal in die Lage, Entstehung und Wechselwirkung eines Planeten mit seiner Geburtsumgebung in einer sehr frühen Phase empirisch zu untersuchen.“
Da sich die Planeten unseres Sonnensystems schon vor etwa 4,57 Milliarden Jahren gebildet haben, können Astronomen deren Entstehungsprozess nicht mehr direkt beobachten. Dennoch wurden die bisher erstellten theoretischen Modelle zur Entstehung von Planeten und Planetensystemen viele Jahre lang von den Beobachtungsbefunden in unserem Sonnensystem beeinflusst, da keine anderen Planetensysteme bekannt waren, welche als vergleichende Studienobjekte genutzt werden konnten. Seit aber im Jahr 1995 der erste Exoplanet entdeckt wurde, ist es den Astronomen gelungen, hunderte weitere Planetensysteme aufzuspüren. Dadurch bedingt ergeben sich mittlerweile völlig neue Möglichkeiten, um die bei der Planetenentstehung ablaufenden Prozesse eingehend zu untersuchen. Bisher wurde jedoch noch nie ein Planet entdeckt, welcher sich – noch eingebettet in die Materiescheibe um seinen jungen Zentralstern – im Prozess seiner Entstehung befindet.
Der Stern HD 100546 und die ihn umgebende Materiescheibe wurde in der Vergangenheit bereits mehrfach ausführlich von verschiedenen Wissenschaftlergruppen untersucht, da dort aufgrund der Struktur der protoplanetaren Scheibe bereits seit längerem ein größerer Gasplanet vermutet wird, welcher seinen Zentralstern mit dem sechsfachen Abstand der Erde zur Sonne umkreisen soll. Der jetzt entdeckte Protoplaneten-Kandidat umkreist seinen Zentralstern dagegen in einer mehr als 10 mal größeren Distanz von etwa 70 Astronomischen Einheiten, was einer Entfernung von rund 10,5 Milliarden Kilometern entspricht.
In unserem Sonnensystem befindet sich in dieser Entfernung zur Sonne der aus diversen Asteroiden und Zwergplaneten bestehende Kuipergürtel. Kontrovers an der neuen Entdeckung ist, dass diese Art von Umlaufbahn für einen Riesenplaneten nicht gut mit den gängigen Theorien bezüglich der Planetenentstehung in Einklang zu bringen ist. Ob sich der Planet während seines gesamten bisherigen Entstehungsprozesses auf seiner jetzigen Umlaufbahn befunden hat oder ob er erst nach seiner Bildung von weiter innen nach außen gewandert ist, konnte bisher nicht geklärt werden.
Laut den bisher gängigen Modellvorstellungen bilden sich Planeten, indem sie durch ihre dabei zunehmende Masse und Schwerkraft einen Teil des Scheibenmaterials einfangen, welches bei der Bildung des Zentralsterns nicht „verbraucht“ wurde. In ihrer neuen Aufnahme der protoplanetaren Scheibe von HD 100546 haben die Astronomen Belege gefunden, welche diese Hypothese unterstützen. Nahe an dem potentiellen Protoplaneten wurden in der Staubscheibe Strukturen entdeckt, welche auf Wechselwirkungen zwischen dem Planeten und der Scheibe zurückgehen könnten. Zudem zeigen im nahinfraroten Spektralbereich gewonnene Beobachtungsdaten Hinweise darauf, dass der Protoplanet seine unmittelbare kosmische Umgebung anscheinend „aufheizt“.
Adam Amara vom ETH, ein weiterer der an den Beobachtungen beteiligten Astronomen, äußerst sich bezüglich dieser Entdeckung folgendermaßen: „Die Erforschung von Exoplaneten ist ein extrem spannender Teilbereich der modernen Astronomie und direkte Abbildungen von Exoplaneten sind ein völlig neues Feld, das von den jüngsten Fortschritten in der Instrumentierung und Datenanalyse besonders profitiert. Für unsere Studie haben wir Analysemethoden verwendet, die eigentlich für die Kosmologie entwickelt wurden. Ein fruchtbarer Austausch zwischen verschiedenen astronomischen Disziplinen kann also zu außergewöhnlichen Fortschritten führen.“
Für ihre Beobachtungen nutzten die Astronomen die im nahinfraroten Spektralbereich arbeitende adaptive Optik NACO des Very Large Telescope (VLT) der Europäischen Südsternwarte (ESO) in den chilenischen Anden. Durch die Verwendung eines Koronografen konnte hierbei das von dem beobachteten Stern ausgehende gleißend helle Licht ausblendet werden, welches ansonsten das von dem Protoplaneten-Kandidaten reflektierte Licht überstrahlen würde. Durch den Einsatz einer adoptisierten Phasenplatte wurde der Bildkontrast in der unmittelbaren Umgebung des beobachteten Zentralsterns zusätzlich erhöht.
Obwohl die Existenz eines sich gerade bildenden Planeten die wahrscheinlichste Erklärung für die gewonnenen Daten ist, werden laut den beteiligten Astronomen weitere Untersuchungen nötig sein, um die Entdeckung zweifelsfrei zu bestätigen und andere Szenarien auszuschließen. Das beobachtete Helligkeitssignal könnte zum Beispiel anstatt von einem Protoplaneten auch von einem Hintergrundobjekt des HD 100546-Systems stammen, auch wenn dies als sehr unwahrscheinlich angesehen wird. Um ein solches Hintergrundobjekt ausschließen zu können, muss der potentielle Protoplanet über einen längeren Zeitraum beobachtet werden. Nur durch sich dabei ergebenden Positionsveränderungen könnte eindeutig nachgewiesen werden, dass es sich hierbei um ein Objekt handelt, welches den Stern HD 11546 umkreist. Ebenso könnte es sich statt um einen gerade in der Entstehung befindlichen Protoplaneten um einen bereits vollständig ausgebildeten Planeten handeln, welcher nach seiner Entstehung aus seiner ursprünglichen, näher am Zentralstern verlaufenden Umlaufbahn herausgeschleudert wurde.
Sollte es sich jedoch bestätigen, dass es sich bei dem neu entdeckten Objekt tatsächlich um einen Protoplaneten handelt, der sich – eingebettet in die den Zentralstern umgebende Materiescheibe – noch im Entstehungsprozess befindet, dann würde den Astronomen damit ein einzigartiges Laboratorium zur Verfügung stehen, mit dem sich die Prozesse, welche bei der Entstehung eines Planetensystems abspielen, im Detail beobachten und untersuchen lassen.
Die hier kurz vorgestellten Forschungsergebnisse von Sascha P. Quanz et al. wurden am heutigen 28. Februar 2013 in der Online-Ausgabe der Fachzeitschrift „Astrophysical Journal Letters“ unter dem Titel „A Young Protoplanet Candidate Embedded in the Circumstellar disc of HD 100546“ publiziert.
Diskutieren Sie mit im Raumcon-Forum:
Fachartikel von Sascha P. Quanz et al.: