Planetenentwicklung verläuft überraschend ähnlich

ALMA Beobachtungen von 870 planetenbildenden Scheiben in der Orion-A-Wolke zeigen, dass deren Staubmasse vor allem vom Alter abhängt. Eine Pressemitteilung der Universität Wien.

Quelle: Universität Wien 6. Mai 2022.

Orion – Eine Sternentstehungswolke in einer Entfernung von etwa 1350 Lichtjahren, beobachtet vom SPIRE-Instrument (Spectral and Photometric Imaging Receiver) an Bord des Herschel-Weltraumteleskops. Es zeigt die großräumige Verteilung von kaltem Staub. Die einzelnen Sternentstehungsgebiete sind durch ihre Beschriftung gekennzeichnet. Die Standorte der mit ALMA beobachteten planetenbildenden Scheiben (+) sind angegeben, während Scheiben mit Staubmassen über 100 Erdmassen als blaue Punkte erscheinen. Der berühmte Orionnebel, der mit bloßem Auge am Himmel zu sehen ist, beherbergt den Orion Nebula Cluster (ONC), der mehrere massereiche Sterne beherbergt, die intensive Strahlung aussenden. (Bild: S.E. van Terwisga et al./MPIA)

6. Mai 2022 – Ein Forschungsteam unter Beteiligung von Álvaro Hacar vom Institut für Astrophysik der Universität Wien hat mithilfe von ALMA die Massenverteilung von über 870 planetenbildenden Scheiben in der Orion A-Wolke untersucht und überraschende Ähnlichkeiten gefunden: Demnach nimmt die Staubmasse von planetenbildenden Scheiben nur mit ihrem Alter ab, die chemische Zusammensetzung und Dynamik der Ursprungswolke scheint keine Rolle zu spielen. Für die Analyse der beispiellos großen Stichprobe wurde zudem ein neues Verfahren zur Datenreduktion entwickelt.

Die Frage, wie ähnlich andere Planetensysteme unserem Sonnensystem sind, ist eine der spannendsten der heutigen astronomischen Forschung. Eine aktuelle Studie unter Beteiligung von Astrophysiker*innen der Universität Wien zeigt nun, dass sich Planetensysteme überraschend ähnlich entwickeln.

Für die aktuell im Journal Astronomy & Astrophysics veröffentlichte Studie, wurden über 870 planetenbildende Scheiben untersucht. Den Schlüssel bildete dabei die Scheibenmasse: Rund um junge Sterne bilden sich Scheiben aus Staub und Gas, die sich zu Ringen verdichten; mit der Zeit wachsen Felsbrocken und schließlich Planeten, wodurch dann die Masse der Staub-Gas-Wolke abnimmt.

„Bisher wussten wir jedoch nicht genau, welche Eigenschaften die Entwicklung von Planetenscheiben um junge Sterne dominieren“, sagt Hauptautor Sierk van Terwisga, Wissenschafter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg. Um zu untersuchen, wie dieser Prozess verläuft und wovon er beeinflusst wird, wählte das Astronom*innen-Team die Orion A-Wolke, eine große und bekannte Region mit jungen Sternen, die etwa 1.350 Lichtjahre von der Erde entfernt ist. „Die statistische Aussagekraft unserer Aufnahmen von 873 Scheiben um junge Sterne war entscheidend, um kleine Variationen in der Scheibenmasse in Abhängigkeit vom Alter und sogar von den lokalen Umgebungen innerhalb der Orion A-Wolke zu erkennen“, erklärt Álvaro Hacar vom Institut für Astrophysik der Universität Wien.

Hohe Korrelation zwischen Scheibenmasse und Alter
Die neuen Ergebnisse zeigen nun, dass die Scheibenmasse stark vom Alter des Systems aus Stern und Scheibe abhängt – zumindest, wenn die Scheiben nicht äußerlich, beispielsweise von sehr heißen Sternen in ihrer Nähe, beeinflusst werden. Mit anderen Eigenschaften der planetenbildenden Scheiben wie deren chemischer Zusammensetzung oder der Dynamik der Ursprungswolke, aus der die jungen Sterne mit ihren Scheiben hervorgegangen sind, fanden sich keine starken Zusammenhänge; hingegen war die Korrelation zwischen Scheibenmasse und Alter überraschend hoch. „Unsere Ergebnisse deuten also darauf hin, dass sich planetenbildende Scheiben ohne externe Einflüsse in ähnlicher Weise entwickeln“, so Hacar.

Künstlerische Darstellung einer typischen Planetenentstehungsscheibe um einen jungen Stern. Gas und Staub bilden dichte Ringe, aus denen sich Felsbrocken und letztlich Planeten formen. (Grafik: MPIA-Grafikabteilung)

Die Stichprobe geht auf frühere Beobachtungen mit dem Spitzer-Weltraumteleskop zurück, über das die Scheiben identifiziert werden konnten. Gemessen wurde die Scheibenmasse dann mithilfe des Atacama Large Millimeter/Submillimeter Array (ALMA), das sich in der chilenischen Atacama-Wüste befindet. Für die Studie wurde jede Scheibe bei einer Wellenlänge von 1,2 Millimetern angepeilt: „In diesem Spektralbereich wird der kalte Staub sichtbar, nicht jedoch alle Objekte, die größer als ein paar Millimeter sind – vom Felsbrocken bis zum Planeten. Wir haben daher wirklich nur die Masse gemessen, aus dem sich dann Planeten bilden könnten“, erklärt Hacar.

ALMA besteht aus 66 parabolischen Antennen, die wie ein einziges Teleskop funktionieren. Das Kombinieren und die Kalibrierung der Daten hätte bei einem so großen Datensatz nach dem Standardverfahren Monate gedauert. Daher entwickelte das Team auch ein neues Verfahren zur Datenreduktion, das auf parallelem Rechnen beruht und die Verarbeitungsgeschwindigkeit um den Faktor 900 steigerte. Die Berechnung und Aufbereitung der Daten für die Analyse – für die immerhin 3.000 CPU-Stunden zu leisten waren – konnte so in nur einem Tag bewältigt werden.

Hinweise auf verblüffend ähnliche Planetensysteme
Die Ergebnisse aus der Orion A-Wolke wurden von den Astronom*innen auch mit mehreren anderen Sternenentstehungsgebieten verglichen – und bis auf zwei fanden sich auch dort die starken Zusammenhänge zwischen Scheibenmasse und Alter. Die Studie zeige somit, dass „zumindest innerhalb der nächsten etwa 1.000 Lichtjahre alle Gruppierungen von planetenbildenden Scheiben die gleiche Masseverteilung bei einem bestimmten Alter aufweisen“, so Hauptautor van Terwisga. Das Ergebnis könnte sogar ein Hinweis auf die Entstehung von verblüffend ähnlichen Planetensystemen sein.

In einem nächsten Schritt will das Team mögliche Einflüsse von nahen Sternen im Abstand von einigen Lichtjahren untersuchen. „Die beispiellose Größe unseres Samples öffnet ein neues Fenster zur Untersuchung der Entstehung und Entwicklung ganzer Scheibenpopulationen auf Wolkenskalen“, betont Hacar von der Universität Wien.

Originalpublikation:
S.E. van Terwisga et al., „Survey of Orion Disks with ALMA (SODA). I: Cloud-level demographics of 873 protoplanetary disks“, Astronomy & Astrophysics (2022). DOI: arxiv.org/abs/2202.11057
arXiv: https://arxiv.org/abs/2202.11057
pdf: https://arxiv.org/pdf/2202.11057

Zusätzliche Information
Das Team besteht aus S.E. van Terwisga (Max-Planck-Institut für Astronomie, Heidelberg, Deutschland), A. Hacar (Institut für Astrophysik, Universität Wien, Österreich), E.F. van Dishoeck (Leidener Observatorium, Universität Leiden, Niederlande [LObs]; Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik, Garching bei München, Deutschland), R. Oonk (SURF, Leiden, Niederlande; LObs; Niederländisches Institut für Radioastronomie (ASTRON), Dwingeloo, Niederlande), und S. Portegies Zwart (LObs).

Das Atacama Large Millimeter/Submillimeter Array (ALMA) ist eine Partnerschaft zwischen der Europäischen Südsternwarte (ESO), der U.S. National Science Foundation (NSF) und den National Institutes of Natural Sciences (NINS) von Japan in Zusammenarbeit mit der Republik Chile. ALMA wird von der ESO im Namen ihrer Mitgliedstaaten, von der NSF in Zusammenarbeit mit dem National Research Council of Canada (NRC) und dem National Science Council of Taiwan (NSC) und vom NINS in Zusammenarbeit mit der Academia Sinica (AS) in Taiwan und dem Korea Astronomy and Space Science Institute (KASI) finanziert.

Diskutieren Sie mit im Raumcon-Forum:

Nach oben scrollen