Planet mit dünner, dichter Kruste – Merkur

Merkur wurde zuletzt von der US-amerikanischen Raumsonde Messenger aus der Nähe untersucht. Nach dem Ende der Mission Messengers schätzten Planetenwissenschaftler die Dicke von Merkurs Kruste auf rund 35,4 Kilometer. Ein Forscher von der University of Arizona (U of A, UA) ist anderer Meinung.

Ein Beitrag von Thomas Weyrauch. Quelle: University of Arizona.

Michael Sori, Mitarbeiter im Lunar and Planetary Laboratory der UA, nutzte neuste mathematische Modelle und kam mit ihrer Hilfe auf eine Dicke von Merkurs Kruste von rund 25,75 Kilometern. Gleichzeitig ermittelte er, dass die durchschnittliche Dichte der Kruste über der von Aluminium liegen müsse. Seine Erkenntnisse veröffentlichte Sori in der Studie „A Thin, Dense Crust for Mercury“ („Eine dünne, dichte Kruste für Merkur“).

NASA
Messenger über Merkur – künstlerische Darstellung
(Bild: NASA)

Sori benutzte für seine Berechnungen Daten, die Messenger geliefert hatte. Das mathematische Modell, das Sori verwendete, geht auf Isamu Matsuyama und Douglas Hemingway zurück, ersterer ist Professor am Lunar and Planetary Laboratory der UA, letzterer Wissenschaftler an der University of California (UC).

Die neuen Berechnungsergebnisse stützen die Annahme, dass die Kruste Merkurs im wesentlichen durch vulkanische Aktivität geformt wurde. Ein besseres Verständnis der Krustenbildung könnte auch zu einem besseren Verständnis der Entstehung des Planeten mit seiner eigentümlichen Struktur führen. Laut Sori hat Merkur beispielsweise den im Verhältnis zu seinen Gesamtabmessungen größten Kern aller Planeten in unserem Sonnensystem.

Der Kern von Merkur nimmt derzeitigen Annahmen zufolge rund 60 Prozent des Volumens des Planten ein. Der Erdkern beansprucht dagegen nur rund 15 Prozent des Erdvolumens.

Warum ist der Kern Merkurs so groß? Sori denkt, dass Merkur nach einem anfangs normal verlaufendem Entstehungsprozess auf Grund heftiger Einschläge große Teile seiner Kruste und seines Mantels verloren haben könnte. Für vorstellbar hält Sori auch, dass während der Entstehung Merkurs in relativer Sonnennähe der Einfluss des Sterns maßgeblichen Einfluss auf den Entstehungsprozess hatte. Sonnenwind könnte Material weggeblasen haben. Deshalb hätte Merkur dann früh in seiner Entwicklung einen bezogen auf sein Gesamtvolumen anteilig sehr großen Kern gehabt. Bis dato jedenfalls gibt es keine allgemein akzeptierte Antwort auf die Frage.

Als die Planeten im Sonnensystem und der Mond der Erde entstanden, bildeten sich ihre Krusten aus Mantelmaterial, das an die Oberfläche quoll und sich dort im Verlauf von Millionen von Jahren verteilte. Die Menge von Krustenmaterial repräsentiert den Anteil an Mantelmaterial, das an der Oberfläche schließlich zu Fels erstarrte.

NASA/Johns Hopkins University APL/Carnegie Institution of Washington
Merkur von Messenger aus gesehen
(Bild: NASA/Johns Hopkins University APL/Carnegie Institution of Washington)

Vor Soris Studie nahmen führende Wissenschaftler an, rund 11 Prozent von Merkurs ursprünglichem Mantel seien in felsige Kruste verwandelt worden. Beim Erdmond besteht die Kruste nach derzeitigen Erkenntnisstand aus rund 7 Prozent des Materials seines ursprünglichen Mantels. Laut Sori war der unterschiedliche Mantelmaterialanteil auf Grund der unterschiedlichen Entstehungsbedingungen der beiden Himmelskörper nicht notwendigerweise auffällig.

Die Kruste des Mondes bildete sich, als weniger dichtes mineralisches Material an die Oberfläche eines Ozeans aus flüssigem Fels (Magma) drang. Dichteres flüssiges Material bildete den Mantel. Oben auf dem Magmaozean kühlte sich aufgeschwommenes Material ab und bildete eine harte Kruste, die auf dem Mantel schwimmt. Die Kruste Merkurs dagegen ist gekennzeichnet durch eine riesige Anzahl von Vulkanausbrüchen, welche immer wieder heißes Magma an die Oberfläche beförderten und so eine relativ ebene, von erkalteter Lava geformte Kruste bildeten.

Warum der Krustenmaterialanteil bei Merkur höher liegen sollte war eine Eigentümlichkeit, der auf den Grund zu gehen bisher niemandem gelungen war. Jetzt könnte die Angelegenheit zu den Akten gelegt werden: Nach Soris Untersuchungen dürfte der Krustenmaterialanteil auch bei Merkur im Bereich von 7 Prozent des ursprünglichen Mantels liegen.

Sori nutze bei seinen Untersuchungen Abschätzungen von Dicke und Dichte der Kruste Merkurs, wofür er herausfinden musste, auf welchen Mechanismen der Gleichgewichtszustand (Isostasie) zwischen den Massen der Kruste und des Mantels darunter basiert.

Die natürlichste Form, die ein Himmelskörper theoretisch einnehmen kann, ist eine ideale Kugel, bei der alle Punkte der Oberfläche gleich weit vom Kern des Körpers entfernt sind. Isostasie sorgt aber dafür, dass Strukturen wie Berge und Täler an der Oberfläche erhalten bleiben.

Isostasie verursacht einen auf gleichgroße Oberflächenanteile bezogenen Massenausgleich. Ist die Masse eines Oberflächenanteils größer, wird solange Material auf die Kruste befördert, bis alle Anteile wieder die gleiche Masse besitzen.

Wikipedia
Isostasie-Theorien: 1 = Airy, 2 = Pratt (Blöcke der Erdkruste bzw. der Lithosphäre als Säulen mit ihrer Dichte in g/cm³, darunter die Asthenosphäre bzw. der Erdmantel)
(Bild: Wikipedia)

Die Pratt-Isostasie unterstellt, dass die Kruste eines Planeten Dichte-Variationen ausweist. Ein mit Bergen bedeckter Oberflächenanteil könnte deshalb die gleiche Masse wie ein gleich großer Oberflächenanteil mit flacher Oberfläche haben, wenn das Material, aus dem die Berge auf der Kruste bestehen, weniger dicht ist als das des flachen Landes. Die Grenze zum Mantel sei bei allen Oberflächenanteilen unabhängig von Gestalt und Dichte auf dem selben Niveau.

Vor Sori hat kein Wissenschaftler untersucht, ob bei Merkur Pratt-Isostasie vorliegt oder nicht. Sori nun hatte die Möglichkeit, auf eine topographische Karte Merkurs, also auf einen Katalog mit Daten zu Merkurs Oberflächenstrukturen, zuzugreifen. Eine Karte zu Daten der Dichteverteilung an Merkurs Oberfläche fehlte. Vorhanden waren aber Messdaten von Messenger zur Verteilung chemischer Elemente auf der Oberfläche Merkurs. Mit ihrer Hilfe erstellte Sori ein Modell für die Dichteverteilung.

Bekannt ist, aus welchen Mineralen Fels üblicherweise besteht, und aus welchen chemischen Elementen sich diese Minerale zusammensetzen. In einem bestimmten Mineral ist ein bestimmtes Element anteilig in einer bestimmten Menge enthalten. Weil auch die Dichte der Minerale bekannt ist, wurde die Erstellung einer Karte zur Dichteverteilung möglich.

USGS
Topographie des Merkur – höchste Berge rot, tiefste Täler blau
(Bild: USGS)

Beim Vergleich der Karten zu Dichteverteilung und zur Topographie trat Erstaunliches zu Tage. Man hätte erwarten könnte, das an Stellen der Oberfläche, für die die Topographische Karte Berge zeigen, auf der Karte für die Dichte-Variationen weniger dichtes Material an gezeigte wird, und für Stellen mit Tälern Material mit höherer Dichte. Beim Vergleich der Karten fiel jedoch auf, dass sich dichtes Material auch in Bergregionen fand, und weniger dichtes in Gebieten mit Tälern.

Die durch Messenger erfassten Daten zur Verteilung chemischer Elemente und das von Sori daraus entwickelte Modell zur Dichteverteilung passen offensichtlich nicht zur Annahme, dass es auf Merkur Pratt-Isostasie gibt. Liegt also eine andere Form von Isostasie vor?

Die Airy-Isostasie geht davon aus, dass die Höhe oder Mächtigkeit von Krustenabschnitten abhängig von der Topographie der Oberfläche erheblich variiert. Dort, wo an der Planetenoberfläche ein Berg zu sehen ist, könnte es am unteren Ende der Kruste ein Art nach unten zeigende Wurzel geben. Dabei könnten Berg und Wurzel genau die Masse an Mantelmaterial verdrängen, die sie selbst zusammen besitzen, genau so wie ein Eisberg mit seinen über und unter Wasser liegenden Bereichen und Massen in Summe die gleiche Masse an Wasser verdrängt. Auf Merkur sollte die Kruste in tiefliegenden Bereichen wie Kratern recht dünn sein, der Mantel nicht weit entfernt von der Oberfläche. Ein gebirgiger Planetenausschnitt würde die gleiche Dichte haben wie einer mit Kratern an der Oberfläche.

Für eine zweidimensionale Betrachtung funktionierte die beschriebene Betrachtungsweise laut Sori perfekt, für einen sphärischen Körper jedoch nicht wirklich gut. Eine jüngst von Isamu Matsuyama und Douglas Hemingway entwickelte Formel half aber. Sie verwendet den Druck, den die Kruste auf den Mantel ausübt, um die Mächtigkeit der Kruste zu bestimmen, statt eine Beziehung der Massen von Krusten- und Mantelanteilen, und liefert damit genauere Daten.

Sori ist sich sicher, dass sich seine Einschätzung zur Dicke der Kruste, die sich insbesondere auf Merkurs Nordhalbkugel bezieht, bestätigen wird, wenn weitere Daten am Merkur gesammelt werden können. Hinsichtlich seiner Abschätzung zur Dichte der Kruste ist Sori indes nicht so sicher.

Messenger hat zur Nordhalbkugel Merkurs deutlich mehr Daten erfasst als zur Südhalbkugel. Sori glaubt, dass sich die Abschätzung der Dichte der Oberfläche noch ändern wird, wenn mehr Daten zur gesamten Oberfläche vorliegen. Eine Anschlussstudie hält er schon jetzt für erforderlich.

Die nächste Raumsonde, die Merkur erreichen wird, ist BepiColombo. Das Raumfahrzeug entstand in einer Zusammenarbeit der Europäischen Raumfahrtagentur (European Space Agency, ESA) und der japanischen Agentur für Luft- und Raumfahrtforschung (Japan Aerospace Exploration Agency, JAXA). Es soll nach derzeitigem Planungsstand am 5. Oktober 2018 auf einer Ariane-5-ECA-Rakete gestartet werden. Einen Orbit um Merkur würde BepiColombo, wenn alles gut geht, dann am 5. Dezember 2025 erreichen.

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