Neu ausgewertete Daten zeigen, dass der Saturnmond Phoebe über mehr planetenähnliche Eigenschaften verfügt als bisher angenommen. Die Daten deuten darauf hin, dass es sich bei diesem Mond nicht um einen von Saturn eingefangenen Kometen, sondern vielmehr um ein Planetesimal handelt, auf dem in der Vergangenheit sogar eine geologische Entwicklung stattgefunden hat.
Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: JPL, CICLOPS.
Der etwa 212 Kilometer durchmessende Saturnmond Phoebe wurde im Jahr 1899 von dem US-amerikanischen Astronomen W. H. Pickering auf fotografischen Platten entdeckt, welche bereits mehrere Monate zuvor am 16. August 1898 aufgenommen wurden. Im Gegensatz zu den anderen größeren Monden des Saturn verfügt Phoebe über eine auffallend dunkle Oberfläche, welche lediglich etwa sechs Prozent des einfallenden Sonnenlichts reflektiert.
Diese geringe Albedo, welche auf eine andere chemische Zusammensetzung als bei den anderen, größeren Saturnmonden hindeutet, und die Tatsache, dass der Mond sich auf einer retrograden Umlaufbahn entgegen der Rotationsrichtung des Saturn um den Ringplaneten bewegt, legt die Vermutung nahe, dass es sich bei Phoebe um ein vom Saturn „eingefangenes“ Objekt handelt. Die Planetenforscher vermuteten dabei bereits seit längerem, dass Phoebe ursprünglich aus dem Kuipergürtel stammt, welcher sich außerhalb der Umlaufbahn des Planeten Neptun erstreckt und der die Heimat mehrerer Hunderttausend kleinerer Objekte darstellt.
Am 11. Juni 2004 passierte die Raumsonde Cassini Phoebe in einem Abstand von lediglich 2.068 Kilometern und konnte erstmals detaillierte Aufnahmen der Oberfläche dieses Mondes zur Erde übermitteln. Diese Aufnahmen zeigten, dass Phoebes Oberfläche extrem stark verkratert und von diversen Erdrutschen und linearen Strukturen überzogen ist. Die Auswertung der im Rahmen dieses Vorbeifluges durch verschiedene wissenschaftliche Instrumente gewonnenen Daten und ihr Einbezug in ein neues Computermodell über die chemischen, geophysikalischen und geologischen Vorgänge auf dem Mond deuten darauf hin, dass es sich bei Phoebe um ein Planetesimal, einem Überbleibsel aus der Frühzeit unseres Sonnensystems, handelt.
Des Weiteren bestätigen die ausgewerteten Daten die bisherige Annahme, dass sich Phoebe offenbar im Kuipergürtel jenseits der Neptunbahn gebildet hat. Die Daten deuten auch darauf hin, dass Phoebe bereits in seiner Frühzeit über das heute zu beobachtende kugelförmiges Aussehen verfügte, in seinem Inneren zunächst erwärmt wurde und dass sich im Inneren des Mondes dichteres, gesteinhaltiges Material konzentriert. Die mittlere Dichte des Mondes entspricht dabei der Dichte des Zwergplaneten Pluto, einem weiteren Objekt des Kuipergürtels.
„Im Gegensatz zu anderen primitiven Objekten wie etwa Kometen scheint sich Phoebe über einen bestimmten Zeitraum zunächst aktiv entwickelt zu haben, bevor der Mond [in seiner heutigen Form] erstarrte“, so die Planetenforscherin Julie C. Castillo-Rogez vom Jet Propulsion Laboratory (JPL) der NASA in Pasadena/Kalifornien. „Wir nehmen an, dass sich Objekte wie Phoebe einst sehr schnell gebildet haben. Sie stellen die einzelnen Bausteine dar, aus denen sich letztendlich die Planeten gebildet haben und geben uns Hinweise auf die Bedingungen, welche zu der Zeit geherrscht haben müssen, als die Planeten und ihre Monde entstanden sind.“
Ursprünglich, so die Planetenforscher, könnte Phoebe einmal über einen porösen Aufbau verfügt haben. In der Folgezeit ist Phoebe dann allerdings kollabiert und verfügt deshalb in der Gegenwart über eine um 40 Prozent höhere Dichte als die anderen größeren Saturnmonde. Die Wissenschaftler gehen allgemein davon aus, dass sich Objekte in der Größenordnung von Phoebe im Rahmen des Entstehungsprozesses unseres Sonnensystems als unregelmäßig geformte Objekte gebildet und in der Folge ihre Gestalt nicht mehr verändert haben.
Manche Objekte, welche sich ganz zu Beginn der Entstehungsphase unseres Sonnensystems geformt haben, könnten in ihrem Inneren jedoch eine größere Menge an radioaktives Material angesammelt haben. Durch den natürlichen Zerfall der radioaktiven Elemente wäre dann über einen begrenzten Zeitraum Wärme freigesetzt worden, welche nicht nur das Innere des Objektes erwärmte, sondern auch zu einer Neuformung der äußeren Struktur führte.
„Aufgrund der äußeren Form des Mondes, welche wir auf den Cassini-Aufnahmen sehen und den Modellen der wahrscheinlichen Kraterbildungsgeschichte, konnten wir ableiten, dass Phoebe schon zu Beginn fast kugelförmig war und nicht etwa zunächst eine unregelmäßige Form hatte, welche später durch Impakte und Kollisionen mit anderen Himmelskörpern kugelförmiger wurde“, so Peter Thomas von der Cornell University in Ithaca/USA, ein Mitarbeiter der Cassini-Mission.
Laut den Analysen der Wissenschaftler bildete sich Phoebe bereits innerhalb der ersten drei Millionen Jahre nach der Entstehung unseres Sonnensystems vor rund 4,55 Milliarden Jahren. Die Phase einer durch radioaktive Zerfallswärme bedingten Erwärmung dürfte, so die Studie, im Falle von Phoebe einige zehn Millionen Jahre gedauert haben. In diesem Zeitraum könnte Phoebe sogar flüssiges Wasser beherbergt haben. Dies wäre eine Erklärung für das Vorhandensein von wasserhaltigen Mineralen, welche durch das Visual Infrared Mapping Spectrometer (VIMS), einem der 12 wissenschaftlichen Instrumente an Bord der Raumsonde Cassini, auf der Mondoberfläche nachgewiesen wurden.
Einige hundert Millionen Jahre nach seiner Entstehung driftete der heutige Mond dann aus den äußeren Regionen in das innere Sonnensystem. Dabei geriet er schließlich in den gravitativen Einflussbereich des Saturn und wurde in seinen gegenwärtigen Orbit „gezwungen“. Dieses „Schicksal“ teilt Phoebe mit einer Vielzahl der insgesamt 62 bisher bekannten Monde des Saturn, welche sich in ihrer Größe, ihrer Zusammensetzung und den jeweiligen Umlaufbahnen teilweise drastisch voneinander unterscheiden. Bei vielen dieser Monde handelt es sich um kleinere, irreguläre Trabanten mit jeweils nur wenigen Kilometern Durchmesser, deren Bahnen nicht in der Äquatorebene des Planeten liegen. Auch bei diesen Saturnmonden dürfte es sich um Objekte handeln, welche im Laufe der Jahrmilliarden vom zweitgrößten Planeten unseres Sonnensystems „eingefangen“ wurden.
„Durch unsere Kombination der Cassini-Daten mit Computermodellen, welche zuvor schon bei anderen Objekten des Sonnensystems angewandt wurden, konnten wir praktisch die Zeit zurückdrehen, und so herausfinden, warum der Mond sich so deutlich vom Rest des Saturnsystems unterscheidet“, so Jonathan Lunine, ein weiterer an der Cornell University tätiger Mitarbeiter der Cassini-Mission.
Die hier vorgestellten Ergebnisse wurden kürzlich in der Fachzeitschrift Icarus publiziert.
Die Mission Cassini-Huygens ist ein Gemeinschaftsprojekt der US-amerikanischen Weltraumbehörde NASA, der europäischen Weltraumagentur ESA und der italienischen Weltraumagentur ASI. Das Jet Propulsion Laboratory (JPL) der NASA in Pasadena/Kalifornien, eine Abteilung des California Institute of Technology (Caltech), leitet die Mission im Auftrag des Direktorats für wissenschaftliche Missionen der NASA in Washington, DC.
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